Seit dreieinhalb Jahren hat Marof K. bei der Kaufbeurer Schweißtechnik-Firma Burkhard gearbeitet. Als er am Morgen des 4. Juli nicht zur Arbeit erscheint, sind die Kollegen sicher: Ihm muss etwas passiert sein. Er war stets pünktlich und zuverlässig. Er hätte sich gemeldet, wenn er krank wäre. Tatsächlich ist Marof K., 32, etwas passiert: Er ist über Nacht in sein Heimatland Afghanistan abgeschoben worden.
Seine Chefin Tanja Burkhard ist stinksauer: „Seine Abschiebung ist eine absolute Sauerei“, sagt sie. Persönlich findet sie es „unfair“. Er habe eine Aufenthaltsgestattung bis 17. Juli und eine unbefristete Arbeitsgenehmigung gehabt. „Er hat unsere Werte angenommen, sprach gut Deutsch und hat mich als Chefin total akzeptiert.“ Er habe sich selbst finanziert. Der Afghane hatte als Produktionshelfer angefangen und war inzwischen Schweißhelfer. Der Betrieb wollte ihn zum Schweißer ausbilden. Die sind stark gesucht am Arbeitsmarkt. „Uns Firmen wird nahegelegt, wir sollen helfen, Flüchtlinge durch Arbeit zu integrieren – und dann so etwas“, sagt Burkhard.
16 der Afghanen lebten in Schwaben
Marof K. ist einer von 16 Afghanen aus Schwaben, die in dem inzwischen berüchtigten Flieger gesessen sind. Berüchtigt wegen der umstrittenen Äußerungen des Bundesinnenministers Horst Seehofer (CSU): Er hatte darüber gewitzelt, dass ausgerechnet an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben wurden. Er habe das nicht so bestellt, sagte Seehofer. Später stellte sich heraus, dass einer der Abgeschobenen sich umgebracht hat. Es hagelte Kritik. Seehofer betonte, dass die Bundesländer entscheiden, wer abgeschoben wird.
Der CDU-Innenexperte Armin Schuster nimmt Seehofer in Schutz. Die politische Debatte sei „moralisch völlig überladen“. „Wir schieben nach Afghanistan immer noch nur Gefährder und Straftäter ab. Das ist politischer Konsens in der Bundesregierung...“, sagte Schuster der Rheinischen Post. Tatsache ist, dass aus Seehofers Heimat-Bundesland Bayern 51 der 69 Abgeschobenen kamen. Alles Männer. Laut bayerischem Innenministeriums waren unter den Afghanen nur fünf Straftäter.
16 Afghanen stammten allein aus Schwaben, wie die Regierung von Schwaben bestätigte. Nach Recherchen unserer Redaktion sind darunter mehrere Männer, die gut integriert waren und feste Arbeitsstellen hatten. In ihren Fällen waren die Asylanträge abgelehnt worden. Sie stehen aber für zahlreiche Flüchtlinge, bei denen zwar möglicherweise korrekt nach dem Buchstaben des Gesetzes verfahren wird, die Menschen aus dem Umfeld die Entscheidung aber überhaupt nicht verstehen. „Diese Abschiebungen sind ein Hohn für alle ehrenamtlichen Asylhelfer“, sagt Günter Kamleiter vom Arbeitskreis Asyl in Kaufbeuren. Die Gruppe gibt es schon seit 28 Jahren, rund 100 Helfer arbeiten mit. „Unser Engagement wird mit Füßen getreten“, schimpft Kamleiter. Auch seine Kollegin vom Freundeskreis Asyl in Elchingen ist entsetzt. Birgit Möller spricht von einer menschenunwürdigen Praxis und hofft darauf, dass sich viele gegen diesen „brutalen Abschiebemarathon in Bayern“ wehren. Sie ist sich sicher, wer die jungen Menschen kennt, ihr Engagement verfolgt hat, ist wie sie fassungslos über viele Abschiebungen.
Nawid A. hätte am Tag der Abschiebung mündliche Prüfung gehabt
Neben Marof K. gibt es zum Beispiel den jungen Afghanen, der in Buchloe wohnte. Nach Angaben der Caritas wäre er im August acht Jahre in Deutschland gewesen, dann hätte die Niederlassungserlaubnis beantragt werden sollen. Der Mann arbeitete demnach seit fünf Jahren bei Amazon und hatte eine unbefristete Anstellung. Er sprach gut Deutsch, wohnte bei seiner deutschen Freundin. Sie wollten heiraten, das gestaltete sich aber wegen der Beschaffung der Dokumente schwierig.
Elias W., 25, wohnte in Kaufbeuren und besuchte eine Berufsintegrationsvorklasse. Sein Lehrer Markus Schiele beschreibt ihn als sehr aufgeschlossen und freundlich. Sein Deutsch sei prima. Er war Klassensprecher. Bei der Fußball-WM war er für Deutschland. Er stand kurz vor dem Schulabschluss. Jetzt lebt er in einer Flüchtlingsunterkunft in der afghanischen Hauptstadt Kabul.
Nawid A., 24, wohnte in Elchingen. Am Tag der Abschiebung hätte er seine mündliche Prüfung für den qualifizierenden Hauptschulabschluss in der Berufsintegrationsklasse Neu-Ulm gehabt. Als sie ihn am frühen Morgen holten, habe er sich mit einem Küchenmesser schwer verletzt. Trotzdem wurde er nach Kabul gebracht.
Auch ein junger Mann aus Altenstadt (Kreis Neu-Ulm), der Altenpfleger werden wollte, gehört nach Angaben von Birgit Möller zu den 69. Einen Ausbildungsvertrag habe er gehabt. Markus Anselment, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwaben, findet genau das nicht richtig: geflüchtete Menschen, die einen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben, die in den Betrieben fest einkalkuliert sind, einfach abzuschieben. Denn Fachkräfte werden doch händeringend gesucht.
Das bayerische Innenministerium verweist auf die geltende Rechtslage: „Der Besuch einer Schule oder ein Arbeitsplatz schützt nicht vor Abschiebung. Das ist geltendes Ausländerrecht“, sagt Sprecher Oliver Platzer. Es sei ausgeschlossen, dass die 51 abgeschobenen Afghanen aus Bayern eine qualifizierte Ausbildung absolviert hätten.
Marof K. hat sich inzwischen telefonisch bei seiner Ex-Chefin gemeldet. Er lebt jetzt bei seiner Familie in einem kleinen Dorf. Er werde von den Taliban verfolgt, berichten Bekannte.
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