Wegen des Zuwanderungsstroms im Spätsommer und Herbst waren viele Notunterkünfte eingerichtet sowie Bundespolizisten und Helfer mobilisiert worden. Seit der Schließung der Grenzen auf der Balkanroute kommen jetzt nur noch wenige Flüchtlinge zu uns. Das hat sich die Lage deutlich verändert. Ein Überblick.
Wie viele Flüchtlinge kommen pro Tag noch an den Grenzen an?
Derzeit reisen durchschnittlich nur noch rund 150 Flüchtlinge pro Tag über die deutsch-österreichische Grenze nach Deutschland ein. Die Zahl ist seit Mitte Februar stark rückläufig. Im Januar waren es noch rund 2500 Flüchtlinge pro Tag, im Februar noch rund 1500.
Wie hat sich die Arbeit der Bundespolizei vor Ort verändert?
Die Bundespolizisten waren in den vergangenen Monaten in erster Linie für die Registrierung der ankommenden Asylbewerber an den Grenzen zuständig. Durch die geringe Anzahl an Einreisenden können sie nun andere Aufgaben übernehmen. So setzt die Bundespolizei derzeit mehr Personal für Grenzkontrollen ein. Durch temporäre Grenzkontrollen an Landstraßen und mit sogenannten Binnengrenzfahndungen im Inland will sie Schleusern das Handwerk legen. Da ein Einreisen nach Deutschland über die Balkanroute nicht mehr möglich ist, nehmen die illegalen Schleusungen derzeit wieder deutlich zu. Polizeikräfte von den Grenzen abzuziehen, ist nicht geplant.
Sind noch freiwillige Helfer an den Grenzen?
Die vielen freiwilligen Helfer, die die Flüchtlinge mit Essen und Kleidung versorgt haben, werden kaum noch gebraucht. Nur noch vereinzelt kommen kleinere Gruppen Asylsuchender an der deutsch-österreichischen Grenze an. In solchen Fällen reagieren die Freiwilligen meist spontan und kommen zu den Grenzübergängen. Die Helfer halten sich aber nicht durchgehend an den Grenzen auf.
Stehen die Notunterkünfte und Warteräume nun leer?
Viele der Sport- und Mehrzweckhallen in den Gemeinden, die von den Ländern als Notunterkünfte für Flüchtlinge genutzt wurden, können jetzt wieder an Vereine und Schulen übergeben werden. Der Regierungsbezirk Oberbayern etwa hat die Zahl der Notaufnahmeeinrichtungen von 20 bereits auf 4 reduzieren können. In den vom Bund betriebenen Warteräumen in Erding und Straubing sieht die Situation ähnlich aus - aktuell halten sich dort kaum Flüchtlinge auf. Auch in Nordrhein-Westfalen werden derzeit viele der Notunterkünfte geschlossen. Bis einschließlich April sollen 37 der insgesamt 47 Notunterkünfte aufgegeben werden. In Berlin sind ebenfalls viele der Notunterkünfte nicht mehr voll belegt.
Müssen die Gemeinden trotzdem noch viele Flüchtlinge aufnehmen?
Da weniger Flüchtlinge ankommen, müssen die Gemeinden auch weniger Asylbewerber aufnehmen. Die Länder verteilen die einreisenden Flüchtlinge vorrangig auf die staatlich betriebenen Einrichtungen. Die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen beispielsweise setzen darüber hinaus auf einen weiteren Ausbau der vom Staat betriebenen Einrichtungen, um die Belastung auf die Kommunen zu verringern. Auch die sogenannte Zuweisung von Flüchtlingen an Kommunen erfolgt nur noch dann, wenn die Gemeinden ihr Soll bei der Aufnahme von Flüchtlingen noch nicht erfüllt haben.
Wie wirken sich die rückläufigen Flüchtlingszahlen auf die Situation in den Gemeinden aus?
Was bedeutet "Königsteiner Schlüssel" bei Verteilung der Flüchtlinge?
Wer als Flüchtling nach Deutschland kommt, muss sich erst mal registrieren lassen. Meist passiert das in der am nächsten gelegenen Erstaufnahmeeinrichtung im jeweiligen Bundesland.
Die Verteilung auf die Länder geschieht dann nach dem «Königsteiner Schlüssel». Grundlage für dessen Berechnung sind Bevölkerungszahl (ein Drittel) und Steuereinnahmen (zwei Drittel).
Die Quote wird von der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz jährlich neu ermittelt.
2015 nimmt Nordrhein-Westfalen die meisten Flüchtlinge auf, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg. Die niedrigsten Quoten haben Bremen, das Saarland und Mecklenburg-Vorpommern.
Den «Königsteiner Schlüssel» an sich gibt es seit 1949: Die Bundesländer einigten sich damals im hessischen Königstein auf einen Schlüssel zur Finanzierung von Forschungseinrichtungen außerhalb der Universitäten.
Das Instrument wird inzwischen aber auch für andere Fragen rund um die Lastenverteilung unter den Ländern genutzt. Seit Anfang 2005 dient der Schlüssel als Basis für die Verteilung von Asylbewerbern. dpa
Die Situation in den Kommunen entspannt sich langsam. Vor allem die Unterbringung der Flüchtlinge stellt die Gemeinden nicht mehr vor solch große Herausforderungen wie noch vor einigen Monaten. Die finanzielle Belastung wird sich in den kommenden Monaten aber weiter erhöhen: Viele der Asylbewerber, deren Anträge genehmigt werden, beziehen Arbeitslosengeld II, bis sie Arbeit gefunden haben. Diese finanzielle Belastung müssen zum Teil die Kommunen stemmen.
Werden die vielen freiwilligen Helfer in den Unterkünften überhaupt noch gebraucht?
Die meisten Erstaufnahmeeinrichtungen sind derzeit noch ausgelastet. Die Aufgaben der freiwilligen Helfer liegen nun vor allem bei der Beratung und Integration der Flüchtlinge. Viele Freiwillige können sich jetzt intensiver einzelnen Menschen widmen. Vor einigen Monaten stand noch die Erstversorgung im Mittelpunkt der Arbeit.
Werden die vielen liegengebliebenen Asylanträge nun schneller bearbeitet?
Die Bearbeitungszeiten werden sich langfristig verkürzen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet damit, in diesem Jahr die Anträge von 500 000 neu ankommenden Flüchtlingen bearbeiten zu können - zusätzlich zu den rund 600 000 bis 700 000 Asylanträgen, die noch unbearbeitet sind.
Wie schnell können der Bund und die Länder reagieren, wenn plötzlich wieder mehr Flüchtlinge ankommen?
Der Bund und die Länder sind auf einen möglichen Anstieg der Flüchtlingszahlen vorbereitet. Durch Ausweichrouten und bessere Wetterbedingungen schließt das Bundesinnenministerium einen erneuten Zuwanderungsstrom nicht aus. Die Bundespolizei hat ihre Kräfte an den Grenzen bislang nicht reduziert, um flexibel zu bleiben. Auch die vom Bund betriebenen Warteräume in Erding und Straubing werden mit weniger Personal weiter betrieben. Der Personaleinsatz kann jedoch schnell wieder erhöht werden. Auch die Kommunen sind vorbereitet: In Bayern etwa gibt es einen Notfallplan, der die kurzfristige Unterbringung von Flüchtlingen vorsieht. dpa