Der Storchenexperte Anton Burnhauser ist ein gefragter Mann. In Benningen wollen die Leute, dass der große Schreitvogel bei ihnen auf dem neuen Museum am Rande des Rieds Quartier bezieht, Ottobeuren bietet drei mögliche Standorte rund um den Marktplatz. Burnhauser wird sich vor Ort umsehen, ob es dem Storch dort im Unterallgäu gefallen könnte. Wichtig seien geeignete Nahrungsflächen im Umfeld des Horstes. Der Biologe hat jahrzehntelange Erfahrung mit der Ansiedelung von Störchen. Die Zahl der Brutpaare nahm zuletzt stetig zu. Heuer waren es in Schwaben 83.
Der Klimawandel beeinflusst auch das Brutgebiet der Störche
Früher reagierte Burnhauser eher ablehnend, wenn er Anfragen aus dem Allgäu bekam. „Wir tun der Art hier keinen Gefallen“, warnte er. „Das Klima ist zu rau, die Nestjungen fallen leicht nasskaltem Wetter zum Opfer.“ Doch inzwischen sieht er das anders. Wegen der zunehmenden Erwärmung zieht es die Störche immer weiter Richtung Alpen. Ein weiterer Grund: Der Wiesenanteil ist dort deutlich höher. Der Lebensraum in Flussauen wie dem Mindel- oder Zusamtal ist mit 32 Paaren inzwischen ziemlich ausgereizt.
Überall, wo sich ein Storchenpaar ansiedelt, ist die Begeisterung groß. Vier Wiederbesiedelungen nach langer Pause gab es dieses Jahr. In Fristingen (Kreis Dillingen) bezog das Paar Quartier auf dem Gasthaus „Zum Storchennest“ – so wie früher. „Wenn man den Storch anlocken will, gelingt dies am besten mit einem attraktiven Nestaufbau.“ Das klappte in Grimolzhausen (Kreis Aichach-Friedberg) und in Staudheim (Kreis Donau-Ries). Stadel in der Reischenau und Wilmatshofen bei Fischach (Kreis Augsburg) sind sogar echte Neuansiedlungen.
Für die Störche wurden Sicherheitsmaßnahmen an Strommasten getroffen
Was die Zahl der Brutpaare angeht, ist Burnhauser zufrieden. Nicht jedoch mit dem Nachwuchs. Nur 152 Junge wurden flügge. Das sind im Schnitt 1,8 pro Familie. In einem Jahr wie diesem, ohne ausgeprägte nasskalte Wetterlagen mit vielen Nestlingsverlusten, hätten es weit über zwei sein müssen.
Dass viele Jungstörche den Stromtod sterben, das ist Vergangenheit. In den 80er Jahren waren es vor dem Wegzug ins Winterquartier bis zu 15 Prozent. Doch inzwischen sind in enger Kooperation mit den LEW und kleineren Stromversorgern nahezu alle gefährlichen Strommasten in den Weißstorch-Lebensräumen abgesichert. „Das rechne ich den Unternehmen hoch an“, sagt Burnhauser. Dass immer weniger Störche durch Stromleitungen umkommen, sei mit ein Grund für die anhaltende Bestandserholung. Von den Sicherheitsmaßnahmen profitierten auch andere Vögel, die sich in luftiger Höhe eine Ruhepause gönnen.
Gefährlich seien immer noch Stromleitungen, die Täler überspannen. Wenn die Altstörche mit ihren Jungen in der Dämmerung von der Futtersuche zurück aufs Nest fliegen, seien diese schlecht zu sehen. Doch auch hier könne man etwas tun: In die Leitungen eingehängte Kunststofflappen machen sie besser sichtbar. „Das sieht nicht schön aus, funktioniert aber.“
Der wenige Storchennachwuchs wird bestimmt durch Futternot
Der Grund, warum der Nachwuchs zu wünschen übrig lässt, liegt Burnhausers Überzeugung nach woanders: Es mangelt an Nahrung. Heutzutage leben unsere Störche überwiegend von Regenwürmern, Feldmäusen und Heuschrecken. Die finden sie besonders in feuchten Wiesen. „Für Regenwürmer war es zu trocken, Feldmäuse gab es keine, und Heuschrecken kommen erst ab Juni.“ Wo die Störche nicht ausweichen konnten, in Wiesengräben, Feuchtmulden und Tümpel, litten sie akute Futternot.
Deshalb rät Burnhauser allen Gemeinden, die sich einen Storch wünschen oder ihr Brutpaar auch in den kommenden Jahren auf dem Kirchturm sehen wollen, in den Lebensraum zu investieren. Und er regt runde Tische an. „Die Leute sollten sich im Winter Gedanken machen, was sie rund um den Horst im Nahrungsgebiet verbessern können.“ Eine Webcam mit Blick in die Kinderstube sei zwar nett, löse aber das Futterproblem nicht.
Baumaßnahmen in Horstnähe stören die Schreitvögel
Das Rezept für ein Aktionsprogramm sei eigentlich einfach: eine Handvoll größerer Nahrungsbiotope, günstig verteilt um den Horst, mit flachen Ufern und genügend Feuchtigkeit auch bei Trockenheit. „Das Allerwichtigste ist, dass sie schon ab Ende Mai schrittweise freigemäht werden und keine Gehölze aufkommen.“ Der Schreitvogel muss freien Zugang haben, um seinen hohen Futterbedarf an Fröschen, Molchen, Egeln und Kleinfischen auch dann decken zu können, wenn auf den Wiesen nichts zu finden ist. Hundebesitzer und Freizeitsportler sollten einen Bogen um die Nahrungsbiotope machen.
Bei einer anderen Störquelle macht Burnhauser inzwischen beste Erfahrungen. Bei Baumaßnahmen in Horstnähe wird er rechtzeitig informiert, zuletzt in Zusmarshausen (Kreis Augsburg) und Alerheim (Kreis Donau-Ries). Dort standen Dachsanierungen an. Es wurde ein Kompromiss gefunden, die Jungstörche flogen wohlbehalten aus.