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Arnstein: Trauer um Teenager lässt Arnstein zusammenrücken

Arnstein

Trauer um Teenager lässt Arnstein zusammenrücken

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    Rund 8200 Menschen leben in dem Ort Arnstein nahe Würzburg.
    Rund 8200 Menschen leben in dem Ort Arnstein nahe Würzburg. Foto: Timm Schamberger, dpa

    Symbolträchtiger könnte der Ort kaum sein. Seit Jahrhunderten ist die Darstellung des toten Jesus im Schoße von Gottesmutter Maria, die Pieta eines unbekannten Meisters aus dem 15. Jahrhundert in der spätgotischen Kirche

    Jetzt treffen sich dort die Menschen aus der Region, die um die sechs jungen Leute aus ihrer Mitte zu trauern, die das schreckliche Unglück in einem nahen Gartenhaus am Wochenende das Leben gekostet hat. (Lesen Sie dazu auch: Trauer in Arnstein: Sechs Jugendliche starben an Kohlenmonoxidvergiftung).

    Rechts vom Altar, unter der Pieta, leuchten Kerzen, stehen Bilder stehen und Schilder mit den Namen der Toten: Rebecca, Florian, René, Felix, Kevin und Michael. Jeder Name steht für ein ausgelöschtes Leben. Im Minutentakt kommen Ältere, Junge, Paare, kleine Gruppen. Die einen zünden Kerzen an, andere haben Blumen dabei und legen sie nieder. Minutenlang halten die Menschen inne, viele beten, die meisten wischen sich Tränen aus dem Gesicht. Ein Stadt, eine ganze Region trauert.

    Viele Arnsteiner besuchen den Trauerort

    Draußen, vor der mächtigen Kirche, erzählt eine Frau, sie sei gekommen, weil ihr Enkel ein Freund der Toten war. Gemeinsam hätten sie Billard und Basketball gespielt, sich nach der Schule etwas aus den Augen verloren. „Aber der Kontakt ist geblieben. Wenn ich mir vorstelle, mein Enkel...“ Die Stimme stockt, Tränen fließen. Ein Mann berichtet, er sei hier, weil er Ausbilder eines der Toten gewesen ist. Noch am Freitag habe er sich mit ihm über die Pläne nach der anstehenden Gesellenprüfung unterhalten. „Und dann diese Nachricht am Montagmorgen.“ Er werde noch einmal wiederkommen nach Maria Sondheim – mit der ganzen Belegschaft seines Betriebs.

    „Gut zu sehen, dass dieser Trauerort so angenommen wird“, sagen Pfarrvikar Johannes Werst und Diakon Artur Eisenacher. Die Wallfahrtskirche ist seit vielen Jahrhunderten ein Zufluchtsort, in die Menschen in und nach Notlagen gepilgert sind. So sei auch dieses Mal. Egal, wie nahe einer den Toten gestanden habe, egal, ob er gläubig sei oder nicht, die Kirche biete den geschützten Raum, „seiner Trauer ganz individuell Ausdruck zu verleihen“.

    Auch Franz Josef Sauer, der zweite Bürgermeister von Arnstein, ist gekommen. In Vertretung der erkrankten Bürgermeisterin Anna Stolz trägt er die politische Verantwortung im 8200-Einwohner-Städtchen mit seinen zwölf Gemeindeteilen. Seit er am Sonntagmittag alarmiert wurde, ist er kaum zur Ruhe gekommen. „So etwas hat es bei uns noch nie gegeben“, sagt er, Arnstein ist bundesweit in aller Munde, Medienvertreter aus der ganzen Republik wollen vom Ort des grausamen Geschehens berichten. Souverän beantwortet Sauer die Fragen, bittet aber gleichzeitig energisch, die Privatsphäre der betroffenen Familien zu achten.

    "Ich bin selbst Vater", sagt der zweite Bürgermeister

    Auch Sauer fällt der Umgang mit der Trauer schwer. Was sind die richtigen Worte, was könnte dem Angehörigen eines Opfers in seinem Schmerz gut tun? „Ich bin selbst Vater von zwei Söhnen im ähnlichen Alter“, sagt er, „vielleicht macht man intuitiv dann doch das Richtige“. Ein Blick in die Augen, ein Händedruck von Vater zu Vater, von Vater zu Mutter.

    Der zweite Bürgermeister ist jedenfalls froh, in dieser schwierigen Zeit die Kirchengemeinden an seiner Seite zu haben. Der Gottesdienst am Montagabend in der Stadtpfarrkirche Sankt Nikolaus habe beispielhaft gezeigt, wie die ganze Stadt, wie die ganze Region in der Trauer zusammensteht. Die Kirche war voll, viele standen an den Seite und unter der Empore.

    Er sei erstaunt gewesen, wie viele junge Leute den Gottesdienst besucht haben, sagt Franz Josef Sauer, „darunter sicher viele, die sonst nicht viel mit der Kirche am Hut haben“. Er habe viele Tränen gesehen, so der zweite Bürgermeister, „aber auch viel Nachdenklichkeit“. Manch einer, so hofft er, lerne im Angesicht des Todes vielleicht wieder mehr das eigene Leben wertzuschätzen. Anders als in manchem Computer- oder Videospiel habe der Mensch „eben nicht sieben Leben“.

    Die Frage nach dem Warum

    Simon Mayer, der stellvertretende Dekan aus Karlstadt, gehörte zu den Priestern, die den Gottesdienst am Montag begleitet haben. Auf lange Predigten und gemeinschaftlichen Gesang habe man bewusst verzichtet, so eine Tragödie mache sprachlos. Lieber habe man den Angehörigen, die in die Kirche gekommen waren, zeigen wollen, dass sie in ihrer Trauer nicht alleine sind. Auch in Sankt Nikolaus standen die Schilder mit den Namen der Jugendlichen.

    Für viele stelle sich die Frage nach dem Warum, so Mayer. Wo war Gott, warum hat er das zugelassen? Der Pfarrer weiß, dass eine Antwort darauf nur schwer zu geben ist. Für ihn als gläubigen Menschen war Gott auch bei dieser Tragödie dabei, eine Antwort nach dem Sinn kann er aber nicht geben. Mayer ermutigt die Gläubigen, Zweifel und Ratlosigkeit auszudrücken. „Wir dürfen auch Gott anklagen“, sagt er. Daraus könne die Kraft erwachsen, einen Weg aus der Trauer zu finden.

    Fest mit eingebunden in die Trauergestaltung sind auch die Gemeinden Eußenheim (Lkr. Main-Spessart) und Wasserlosen (Lkr. Schweinfurt), kommen doch zwei der Todesopfer von dort. Die Bürgermeister Dieter Schneider und Anton Gößmann waren ebenso zum Gottesdienst am Montag gekommen wie Anna Stolz und

    „Niemand muss, aber jeder kann Hilfe in Anspruch nehmen“

    Die Gedenkstätte in der Wallfahrtskirche soll so lange erhalten bleiben, wie sie benötigt werde. Manch einer brauche einfach länger als andere, bis er sich dorthin aufmacht, sagt Werst. „Andere machen die Trauer ganz mit sich alleine aus.“ Möglichst vielfältig und niederschwellig sollen die Angebote sein. „Niemand muss, aber jeder kann Hilfe in Anspruch nehmen.“ Dafür stünden die Seelsorger in der Region bereit, auch die Vertreter der evangelischen Kirche. In Maria Sondheim liegen eigens Prospekte der Notfallseelsorge aus, deren Vertreter stünden in engem Kontakt zu den Einsatzkräften vom Sonntag.

    Gegebenenfalls vermitteln die Kirchengemeinden auch Psychotherapeuten. Die Stadt Arnstein konzentriert ihre Gesprächsangebote auf die Jugendzentren, die es in allen zwölf Gemeindeteilen gibt. An Jugendpfleger Tobias Meierl könne sich jeder wenden, der reden möchte oder fürchtet, dass sein Kumpel Hilfe braucht.

    Derweil bleibt die Trauer vorerst das beherrschende Gefühl in der Stadt und der Umgebung. Die toten Teenager waren in vielen Vereinen engagiert. Einer war in der Jugendfeuerwehr, ein anderer spielte in der Dorfkapelle mit, sagt Sauer. „Ihr Verlust reißt Löcher, die bleiben.“ Auch an den Arbeitsplätzen, auch an den Schulen. Da gilt es noch einiges an Trauerarbeit zu bewältigen. „Andererseits“, sagt Sauer, „muss das Leben auch weitergehen“. Mit dem Arnsteiner Karnevalsverein (AKV) sei er sich einig gewesen, die für das kommende Wochenende geplanten Faschingsveranstaltungen abzusagen. Anschließend soll dann aber wieder „angemessen“ gefeiert werden. „Wir dürfen nicht auf Dauer in Schmerz und Trauer versinken“.

    "Es war ein Unglücksfall"

    Eine Gefahr scheint nun gebannt. Nämlich die, dass wilde Spekulationen über mögliche Todesursachen, angeheizt durch einzelne Medien, das Miteinander im Werntal vergiften. Seit Dienstagnachmittag kennen die Arnsteiner die genaue Todesursache. Es sei wichtig, dass nun feststehe, dass die sechs Freunde an einer Kohlenmonoxidvergiftung gestorben sind, sagt Franz Josef Sauer. „Es war ein Unglücksfall. Vorwürfe in welche Richtung auch immer sind da komplett fehl am Platz.“ (mit Klaus Gimmler)

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