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Anschlag auf das olympische Dorf: Olympia 1972 in München: "Warum habe ich ihn nicht erschossen?"

Anschlag auf das olympische Dorf

Olympia 1972 in München: "Warum habe ich ihn nicht erschossen?"

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    Das Archivbild aus dem Jahre 1972 zeigt einen bewaffneten Polizeibeamten im Trainingsanzug während der Olympischen Spiele in München. Er schirmt den Block im Olympischen Dorf ab, in dem acht palästinensische Terroristen israelischen Geiseln genommen hatten.
    Das Archivbild aus dem Jahre 1972 zeigt einen bewaffneten Polizeibeamten im Trainingsanzug während der Olympischen Spiele in München. Er schirmt den Block im Olympischen Dorf ab, in dem acht palästinensische Terroristen israelischen Geiseln genommen hatten.

    Olympia 1972 -  das waren die heiteren Spiele, die Olympiade, bei der Silvia Sommerlath ihren Carl Gustaf von Schweden kennenlernte und Joachim Fuchsberger Stadionsprecher war. Die Sicherheitsvorkehrungen waren lax, und alle genossen das Leben. Doch dann, am 5. September, änderte sich alles. "Gegen 4.30 Uhr hörte ich eine Explosion, wie ein Schuss", erinnerte sich der israelische Ringer Gad Tsabary am Donnerstag in München bei Dreharbeiten für eine Fernsehdokumentation.

    Palästinensische Terroristen hatten das Olympische Dorf überfallen und zwölf israelische Sportler als Geiseln genommen. Auch Tsabary war dabei. Aber er konnte fliehen. Für die anderen brachen die letzten Stunden ihres Lebens an: Am nächsten Tag kamen sie bei einem Befreiungsversuch auf dem Fliegerhorst in Fürstenfeldbruck ums Leben.

    Hochdramatische Stunden - für die überlebenden Sportler hält diese Dramatik bis heute an, und einige kämpfen noch immer damit, dass sie am Leben blieben, während ihre Freunde und Kollegen sterben mussten. "Es ist nicht einfach mit dem Glück, davon gekommen zu sein, wenn eine ganze Nation um diejenigen trauert, die kein Glück gehabt haben, sondern zu Tode kamen", sagte der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD).

    Hat er die anderen durch seine Flucht im Stich gelassen?

    Für Tsabary war die Zeit danach der Horror. "Ich habe mich sehr schrecklich gefühlt." Alpträume plagten ihn, und schließlich suchte er Hilfe bei einem Psychologen. Schuldig fühlte er sich aber nicht - auch wenn manche in Israel Tsabary und den anderen ankreideten, durch ihre Flucht die anderen im Stich gelassen zu haben.

    Die Spiele hatten so schön angefangen. Sicherheitskontrollen gab es keine, schließlich glaubten alle nur an das Gute. "Das sollte eine Insel aus Frieden, Sicherheit und Freundschaft sein", sagt Shaul Paul Ladany, der damals mit 35 Jahren als Leichtathlet in München war. "Wer einen Sportanzug oder eine Sportjacke trug, konnte ohne Probleme ins Olympische Dorf." Auf Karten waren zudem die Quartiere der einzelnen Nationen eingezeichnet - leicht auffindbar für jeden.

    Der Sportschütze Zelig Shtorch konnte sogar seine Sportwaffe in sein Apartment schmuggeln. Das bot ihm eine einmalige Chance, als die Terroristen das Quartier stürmten. "Ich stand hinter einem Vorhang mit einer geladenen Waffe, vor mir war nur ein Terrorist", erzählt er mit bebender Stimme. Was tun? Still halten, um die anderen nicht zu gefährden? Oder abfeuern? Doch da war dieser Kontakt zwischen Polizei und Geiselnehmern und die Hoffnung, dass vielleicht doch alles gut werden würde. Und so schoss der damals 25-jährige Shtorch nicht und ist nun seit 40 Jahren in einem Teufelskreis gefangen. "Seitdem frisst es sich in mich hinein: Ich wusste nicht, wieso habe ich ihn nicht erschossen? Hätte dann vielleicht einer mehr überlebt?" Und dann die andere Seite: "Wäre nur einer deshalb umgekommen, hätte ich mein Leben lang getrauert." Er hat sich nun der Erinnerungsarbeit verschrieben und führt Reisegruppen ins Olympische Dorf.

    Die Olympischen Spiele gingen weiter: Die Sportler hatten Verständnis

    Wut gegenüber den deutschen Behörden verspürt keiner. "Es ist das Wesen des Terrorismus, völlig unerwartet zuzuschlagen", sagt der damalige Schwimmtrainer Avraham Melamed. Ladany fand selbst den vielfach kritisierten Plan zur Befreiung der Geiseln gar nicht so schlecht. "Aber die Ausführung war völlig amateurhaft!"

    Dass die Spiele danach weitergingen, dafür haben die Sportler Verständnis. "Es war sehr hart für uns. Wir haben unsere Freunde beweint", sagt Henry Hershkovitz, damals als Sportschütze bei der Olympiade. Trotzdem war er für die Fortsetzung. "Wir durften den Terroristen nicht geben, was sie wollten. Das wäre sonst ein Sieg für die Terroristen gewesen."

    Die Dokumentation wird am 7. Juli auf dem Bezahlsender Biography Channel ausgestrahlt. AZ, dpa-lby

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