Der so kuschelig aussehende Spielteppich hat es ausgemacht. In der Grundschule musste sich die sechsjährige Anna-Nicole Heinrich für einen Religionsunterricht entscheiden, da sie nicht getauft war: Sie ging in den Raum, der auf sie freundlicher wirkte. Der, mit dem coolen Teppich. Dort wurde evangelische Religion unterrichtet.
Anna-Nicole Heinrich ist heute 25 Jahre alt und neuerdings das Oberhaupt des evangelischen Kirchenparlaments. Sie führt die 13. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an und hat – als jüngste in der Geschichte der EKD – den Titel der Präses. Bereits in ihrer Vorstellungsrede rief Anna-Nicole Heinrich dazu auf, sich „raus aus der Bubble“ zu bewegen, was bedeutet: Die evangelische Kirche muss aus ihrer Komfortzone.
Erster Termin auf dem ökumenischen Kirchentag in Frankfurt
Ein paar Tage nach der Wahl sitzt Heinrich in einem Büro der Universität Regensburg, dort, wo sie normalerweise 20 Stunden in der Woche als wissenschaftliche Mitarbeiterin arbeitet. An diesem Tag nutzt sie den Raum als Rückzugsort für Interviews. „Es ist schon echt viel los zurzeit. Viele Presseanfragen und Reaktionen auf meine Wahl“, erzählt die 25-Jährige. Anfragen, Termine, Privatnachrichten – da muss eben das Abendessen kurz dazwischen geschoben werden. Auch als Präses macht sie keine große Sache daraus, während des Interviews eine Pizza zu essen.
Sie bekommt viele positive Nachrichten, berichtet sie, auch von Leuten, mit denen sie nicht gerechnet habe. „Mein alter Rektor hat sich gemeldet und mich beglückwünscht“, sagt Heinrich und lacht. „Oder auch Rolf, 68 Jahre alt, hat mir auf Instagram geschrieben, er feiere mich voll.“ Als Präses habe sich die 25-Jährige in den ersten Tagen um viele Formalia kümmern müssen. Am Wochenende besuchte Heinrich den ökumenischen Kirchentag in Frankfurt. Die Herbstsitzung der Synode zu planen, wird eine ihrer nächsten großen Aufgaben sein.
Heinrich kommt aus keiner christlichen Familie. Ihr Weg zum Glauben verlief über den evangelischen Religionsunterricht, den damals ein junger Gemeindereferent gehalten habe sowie über die Jugendgruppen in ihrer Heimat Nittenau bei Regensburg. Sie selbst habe sich erst zwischen Kindes- und Jugendalter taufen lassen. „Ich habe zu meiner Mama gesagt: Ich will getauft werden. Und sie meinte dann: Okay, was müssen wir dafür tun?“ Gemeinsam seien sie zum Pfarrer gegangen. Die 25-Jährige ist froh darüber, so frei aufgewachsen zu sein: „Ich durfte immer machen, was ich will.“
Ihre Vorgängerin Irmgard Schwaetzer ist 79 Jahre alt
Ihre Wahl zur Präses hat sie nicht von langer Hand geplant: „Erst drei Tage vor der Synode habe ich öffentlich gesagt: Okay, ich würde es versuchen“, erzählt Heinrich, die bereits zuvor in Gremien der EKD aktiv war. Ebenfalls versuchen wollte es die 41-jährige Grünen-Politikerin Nadine Bernshausen. Auch sie hätte Heinrichs Meinung nach für einen Generationenwechsel gestanden. „Ich hoffe und glaube nicht, dass ich nur wegen meines Alters zur Präses gewählt wurde. Ich denke, ich konnte bei den Diskussionen inhaltlich überzeugen“, sagt die junge Studentin. Ihre Vorgängerin, Irmgard Schwaetzer, war 79 Jahre alt. Nicht nur wegen ihres Alters und ihres modernen Auftretens zeichnet sich Heinrich von den bisherigen Kirchenvorsitzenden ab. Auch ihre Sprache ist eine andere. „Ich muss versuchen, dass ich weniger Wörter wie „geil“ oder „mega“ benutze“, sagt Heinrich und lacht. „Aber ich red’ eben so wie ich red’. Und ich glaube nicht, dass dieses ehrwürdige Amt beschädigt wird durch die Art, wie ich spreche.“
Zu dieser Art gehört als junge Frau im studentischen Umfeld auch das Gendern: „Da achte ich im Alltag darauf.“ Anders als ihre Vorgängerinnen, vor Schwaetzer (FDP) war Katrin Göring-Eckardt (Grüne) Präses der EKD, hat Heinrich keinen parteipolitischen Hintergrund. Trotzdem bezieht die 25-Jährige Stellung in politischen Belangen – und setzt sich unter anderem für die Seenotrettung ein.
Dass sie für eine moderne und progressive Kirche stehen möchte, zeigt die Regensburgerin in den Sozialen Medien wie Instagram oder Twitter. So beantwortet sie beim Gang durch die WG-Küche Fragen ihrer Zuschauer, beispielsweise „Wie lange bist du eigentlich Präses?“. Heinrich antwortet mit einem Schmunzeln: „Sechs Jahre. Schon mega lang. Aber Challenge accepted (übersetzt:Mission angenommen).“ Langes drumherum-Reden ist nicht ihr Ding. In einem der Interviews, die die Studentin in diesen Tagen gibt, fordert sie auch von der Kirche mehr Pragmatismus: „Oft hängen wir zu sehr an unseren eigenen Strukturen fest oder beraten Sachen zu Tode.“
Junge Leute haben oft zu wenig Selbstbewusstsein zur Kirche zu stehen
Wer denkt, nur ältere Leute sitzen in der Kirche, hat nicht Recht, findet Heinrich: „Es gibt viele junge Menschen, die sich engagieren und Bock haben, aber das eben nicht nach Außen tragen. Da fühle ich mich als Präses jetzt verantwortlich, das darzustellen.“ Junge Menschen hätten oft die Hürde, den Glauben offen zu bekennen, berichtet die Studentin aus Erfahrung: „Früher habe ich zu anderen Leuten gesagt: „Ich fahr mit Freunden in den Urlaub“ und nicht: „Ich fahr mit der evangelischen Jugendgruppe“. Das war irgendwie uncool. Mittlerweile habe ich das Selbstbewusstsein.“
Neben ihrer Präses-Arbeit muss die 25-Jährige das alltägliche Leben weiter meistern: Dazu gehört ein Job an der Uni, der Master in Philosophie und Digital Humanities aber auch ihr Partner, mit dem sie in einer Wohngemeinschaft mit zwei weiteren Freunden lebt. Das Präses-Amt ist ein Ehrenamt, für Heinrich aber auch ein großes Hobby.
Ob sie es heute bereut in den Raum mit dem schöneren Teppich gegangen zu sein? Heinrich lacht und schüttelt den Kopf: „Auf keinen Fall“, sagt sie. „Wäre ich in den katholischen Unterricht gegangen, hätte ich mich später bestimmt auch in der Jugendarbeit eingebracht. Aber mich vielleicht für andere Dinge eingesetzt.“
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