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Analyse: Nach dem Wahldebakel: Söders Fehler kommen nicht zur Sprache

Analyse

Nach dem Wahldebakel: Söders Fehler kommen nicht zur Sprache

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    Söder zögerte im falschen Moment. Und er kam im falschen Moment aus der Deckung.
    Söder zögerte im falschen Moment. Und er kam im falschen Moment aus der Deckung. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Gute Witze oder bittere Wahrheiten oder beides? So ganz genau weiß man das noch nicht in der CSU. Deshalb zuerst zu den vielsagenden Witzen, die seit der Wahlschlappe der Union bei der Bundestagswahl in der

    Witz Nummer 1: Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder sitzt auf der Regierungsbank im Plenarsaal und denkt darüber nach, wie er ein packendes Signal des Aufbruchs ins schöne Bayernland senden könnte. Schließlich steht schon 2023 der nächste Landtagswahlkampf vor der Tür – für die CSU traditionell die „Mutter aller Schlachten“. Söder schaut nach links und nach rechts zu seinen Ministerinnen, Ministern und dem einzigen Staatssekretär der CSU und denkt sich: So eine Regierungsumbildung, um mit frischen Gesichtern und einer runderneuerten CSU-Mannschaft zur Wahl anzutreten, das könnte die Rettung sein. Dann schaut er nach vorne in die Leichenbittermienen seiner Abgeordneten und erkennt, dass die Idee wahrscheinlich doch nicht so gut ist. Die Neuen im Kabinett, so die bittere Erkenntnis, wären wahrscheinlich auch nicht besser.

    Wen soll ich in Berlin anrufen?

    Witz Nummer 2: Ein altgedienter CSU-Landtagsabgeordneter steht etwas hilflos im Steinernen Saal und zeigt sich höchst verwirrt. „Wen, bitteschön, muss ich da in Zukunft anrufen, wenn in Berlin eine Ampelkoalition regiert und ich daheim im Stimmkreis eine neue Autobahnausfahrt oder eine Umgehungsstraße brauche?“ Eine Mitgefühl heuchelnde SPD-Abgeordnete antwortet: „Dann sagst Du das mir, ich sag’s unserem Bundeskanzler Olaf Scholz und der sagt’s dann dem neuen Verkehrsminister Toni Hofreiter von den Grünen. Dann schau mer mal.“ Und ein daneben stehender Grüner setzt noch eine Gemeinheit oben drauf: „Du kannst es auch uns sagen, dann sagen wir es direkt dem Toni, aber dann solltest Du vorsichtshalber einen Radweg mit Umgehungsstraße fordern.“

    Witz Nummer 3: Zwei CSU-Abgeordnete diskutieren die Wahlschlappe und die Frage, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind. Sagt der eine: „Klare Sache. Unser Markus sagt: Der Armin Laschet und seine CDU sind schuld. Das war doch ein völlig inhaltsleerer Wahlkampf, den die

    Falsche Analyse legt Grundstein für nächste Niederlage

    Dass sich Selbstironie und Sarkasmus in der einst erfolgsverwöhnten Partei in dieser Weise Bahn brechen, hat einen Grund. Schon seit dem ersten drastischen Wahldebakel der CSU in diesem Jahrhundert, dem Absturz bei der Landtagswahl 2008, missachtete die Parteiführung die altbekannte Mahnung ihres Übervaters Franz Josef Strauß, dass eine falsche Analyse nur den Grundstein für die nächste Niederlage legt. Mehrfach wurde versprochen, der Sache schonungslos, transparent und ohne Ansehen der Person auf den Grund zu gehen. Doch dazu kam es nie. Und dazu kommt es offenbar auch jetzt nicht. Die „Basiskonferenzen“ in den CSU-Bezirken finden hinter verschlossenen Türen statt. Dort gilt, wie frustrierte Parteimitglieder berichten, nur das, was der Parteivorsitzende sagt. Kritik am Chef sei unerwünscht.

    Die Eckpunkte von Söders Analyse sind bekannt: Ich wäre der bessere Kanzlerkandidat gewesen. Ich hätte einen offensiveren und weitaus dynamischeren Wahlkampf geführt. Die CDU-Führung wollte mich nicht. Selber schuld. Jetzt haben wir die Bescherung. Punkt.

    Das ist vermutlich nicht falsch, aber es ist offenkundig unzureichend. Söders Botschaft an seine Parteibasis folgt einer Logik, die ein ehemaliger gescheiterter Kanzlerkandidat, Peer Steinbrück (SPD), einst mit den schönen Worten „Hätte, hätte, Fahrradkette“ umschrieben hat. Obendrein hat Söders Version der Ereignisse offensichtlich einen entscheidenden Schwachpunkt: Sie endet im Kern mit dem 20. April 2021, also dem Tag, an dem er nach einem erbitterten Machtkampf seinem Konkurrenten Laschet die Kanzlerkandidatur für die Union wohl oder übel überlassen musste. Was danach folgte, klammert Söder weitgehend aus.

    Selbst wenn die Entscheidung für Laschet ein grundlegender Fehler war, so war es doch nicht der Einzige. Es gab Fehler im Vorfeld der Entscheidung und es folgten hinterher weitere. Der frühere CSU-Chef Horst Seehofer sprach in solchen Fällen von „Sekundärfehlern“, die nicht selten zu einer Verschlimmerung der Situation führen. Das ist es, was CDU-Politiker Söder vorwerfen: Er habe zwar vielleicht nicht die ganze Misere verursacht, aber er sei schuld, dass am Ende der Union jene zwei oder drei Prozent der Stimmen fehlten, die Laschet zum Kanzler gemacht hätten.

    Darüber könnte die CSU mit ihrem Parteivorsitzenden reden

    Hier also ein paar Anregungen, worüber die CSU mit ihrem Parteivorsitzenden reden könnte, wenn sie denn wollte.

    Fehler Nummer 1: Söder ging Anfang des Jahres davon aus, dass die Union in der öffentlichen Meinung weit vorne liegt und im Herbst mit den zunächst ebenfalls sehr starken Grünen eine neue Regierung wird bilden können. Gleichzeitig war er der Meinung, dass seine persönlichen Beliebtheitswerte ihn zum idealen Kandidaten machten. Er richtete seine ganze Politik darauf aus, missachtete aber, als er sich mit Laschet auf einen Machtkampf einließ, eine altbekannte Grundregel: Konservativ-bürgerliche Wähler mögen keinen Streit.

    Fehler Nummer 2: Söders Kalkül fußte auf einer Strategie, mit der er es in den Jahren zuvor an die Spitze von Staat und Partei in Bayern gebracht hatte: Er setzte auf seine Zugkraft an der Basis und im Mittelbau der Union und präsentierte sich den Kandidatinnen und Kandidaten von CDU und CSU als starker Anführer, der ihnen ihre Mandate im Bundestag sichern kann. Er setzte auf öffentliche Konfrontation statt auf vertrauliche Verhandlung. Das Problem dabei: Was vor Jahren in der CSU funktioniert hat, funktionierte in der CDU nicht. Oder, wie der Volksmund sagt: Wer nur einen Hammer hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.

    Fehler Nummer 3: Söders Bewerbung für die Kanzlerkandidatur war schlecht vorbereitet und kam zu spät. Hätte er sein „Angebot“ gleich zu Jahresbeginn unterbreitet, als die CDU noch nach einem neuen Parteichef suchte, dann wären seine Chancen wahrscheinlich größer gewesen. Die CDU hat der CSU, das lehrt die Geschichte, die Kanzlerkandidatur nur in Momenten der eigenen Schwäche überlassen. Söder zögerte im falschen Moment. Und er kam im falschen Moment aus der Deckung.

    Fehler Nummer 4: Nachdem er an der Hartleibigkeit Laschets und der CDU-Granden gescheitert war, gelang es dem CSU-Chef nicht, über seinen Schatten zu springen, ins Glied zurückzutreten und Laschet mit allem, was er hatte, zu unterstützen. Er stänkerte, stichelte, kritisierte einen Wahlkampf im „Schlafwagenmodus“ und ließ bis zuletzt alle wissen, dass er der bessere Kandidat gewesen wäre. Söders Groll war stärker als seine Fähigkeit zur Selbstkontrolle.

    Fehler Nummer 5: So treffend die Kritik am Schlafwagenwahlkampf der CDU auch gewesen sein mochte – der CSU gelang es nicht, einen zugkräftigen eigenen Wahlkampf aufzuziehen. Nicht nur der CDU fehlte es an zündenden Zukunftsthemen, auch die CSU hatte in ihrem bayerischen Zusatzprogramm nicht recht viel mehr als steuerpolitisches Klein-Klein zu bieten. Wer zum soundsovielten Mal die Mütterrente für alle Mütter fordert, muss sich die Gegenfrage gefallen lassen: Habt ihr das in all den Jahren in der Bundesregierung immer noch nicht durchgesetzt?

    Was kann die CSU in der Situation tun?

    All diese Fehler hängen zusammen. Und wer lange genug mit alten CSU-Parteistrategen telefoniert, der könnte die Liste problemlos verlängern. Was ist in so einer Situation zu tun? Wie kann man es besser machen? Eine mögliche Antwort findet sich auf der Homepage der SPD. Die Sozialdemokraten, die im Jahr 2021 wie Phönix aus der Asche wieder stärkste Kraft im Bundestag wurden, laborieren schon weitaus länger an einer tief greifenden Identitätskrise.

    Nach vielen Pleiten hatte sich der Parteivorstand 2017 ein Herz gefasst und den SPD-Wahlkampf von Politikexperten und Marketingprofis analysieren lassen. Heraus kam ein 108 Seiten starkes Papier mit dem Titel „Aus Fehlern lernen“. Dort ist schonungslos, haarklein und ohne Ansehen der Personen aufgelistet, was alles falsch gemacht wurde im Wahlkampf 2017 und – ganz wichtig! – in all den Jahren davor. Eines der zentralen Ergebnisse lautet: „Sicher ist nur: Erneuerung wird nur im Team funktionieren. Und nur, wenn das individuelle Ego wieder hinter die gemeinsame Sache zurücktritt. Nur dann wird auch das Vertrauen der Basis zurückkehren.“

    Der SPD-Vorstand hat das für die Verantwortlichen wenig schmeichelhafte Papier nicht nur zur Kenntnis, er hat es auch ernst genommen. Und er hat es veröffentlicht. Jeder konnte nachlesen, wie es zur Entfremdung zwischen Basis und Parteiführung kam oder was geschieht, „wenn Kontrollverlust die Glaubwürdigkeit ramponiert“, weil eine Partei Antworten schuldig bleibt. Die Pointe ist: Die SPD hat im Wahlkampf 2021 die Ratschläge beherzigt. Das Ergebnis ist bekannt.

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