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Analyse: Die neue bayerische Koalition hat ein Frauenproblem

Analyse

Die neue bayerische Koalition hat ein Frauenproblem

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    Ilse Aigner und Markus Söder: Sie ist Landtagspräsidentin, er der Ministerpräsident von Bayern.
    Ilse Aigner und Markus Söder: Sie ist Landtagspräsidentin, er der Ministerpräsident von Bayern. Foto: CHRISTOF STACHE, afp

    20. Oktober 1994. Der neue Bayerische Landtag tritt zu seiner ersten Sitzung zusammen. „Zum Auftakt geben die Frauen den Ton an“, schreibt unser Münchner Korrespondent an diesem Tag. Weil erstmals in der Geschichte des Freistaats mit der damals 70-jährigen Alterspräsidentin Anneliese Fischer eine Frau den Landtag eröffnet. Sie sagt: „Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass Frauen in Gesellschaft und Politik in verstärktem Maße Verantwortung tragen.“

    Mit Renate Schmidt von der SPD gibt es 1994 auch die erste Fraktionschefin. Und noch eine Frau rückt bei der Auftaktversammlung in den Vordergrund – als Schriftführerin: Die damals 29-jährige Elektrotechnikerin Ilse Aigner aus dem Chiemgau, die die zweitjüngste Abgeordnete ist und „die bereits als die Miss Landtag der kommenden Legislaturperiode gehandelt wird“. Netter Randaspekt aus heutiger Sicht: Assistiert hat ihr der damals jüngste Abgeordnete, der 27-jährige Markus Söder aus Nürnberg.

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    So war das also vor fast 25 Jahren, als im Bayerischen Landtag von den 213 Abgeordneten plötzlich 44 Frauen waren. Eine kleine Revolution. In den Jahren danach stieg der Frauenanteil kontinuierlich an – bis auf knapp ein Drittel im Jahr 2008.

    Und heute? Sind wir fast auf den Stand von vor 20 Jahren zurückgefallen. 55 Frauen sind im neuen Landtag – und fast dreimal so viele Männer, nämlich 150. Im bundesweiten Vergleich liegt der Freistaat damit – ansonsten immer um die Top-Platzierung bemüht – auf dem fünftletzten Platz. Nur in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg sitzen noch weniger Frauen in den Parlamenten. Im Bundestag stellen Frauen übrigens 30,9 Prozent der Abgeordneten.

    Grünenchefin Katharina Schulze: „Ein Armutszeugnis - im Jahr 2018“

    „Es ist ein Armutszeugnis“, sagt die Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. „Wir haben das Jahr 2018.“ Und in diesem Jahr sind eben mit der FDP und der AfD zwei besonders männerdominierte Parteien mit einem Frauenanteil von unter zehn Prozent ins Parlament eingezogen. Bei der CSU liegt der Frauenanteil bei 21 Prozent. Bei den Freien Wählern, dem neuen Regierungspartner, bei 22,2 Prozent. Ein weiterer Männerverein in einem Land, in dem 51 Prozent der Bevölkerung weiblich sind. Sind wir also auf dem Weg zurück zu einem bayerischen Macho-Parlament? Wo nur bei den Grünen und der dezimierten SPD die Frauen den Anteil stellen, den sie auch in der Gesellschaft haben?

    Dabei war auch die CSU auf einem guten Weg. Ein Ministerpräsident Horst Seehofer rief in seiner Anfangszeit ausdrücklich die „neue CSU“ aus. Die Partei sollte zur „Mitmachpartei“ werden, „jünger, weiblicher und moderner“, wie er gebetsmühlenartig betonte. In seinem ersten Kabinett, das er vor zehn Jahren zusammen mit der FDP bildete, ließ Seehofer keine CSU-Minister mehr zu, die älter als 60 Jahre waren. Und auf einem Parteitag setzte er eine Frauenquote in Parteigremien auf Landes- und Bezirksebene durch.

    Seehofers Spitzenpersonal besteht nur aus Männern

    Dann ging der CSU-Chef nach Berlin. Verhandelte die Große Koalition. Und während die CDU und die SPD ihre Ministerposten in der neuen Bundesregierung paritätisch mit Frauen und Männern besetzten, vergaben die Christsozialen die drei großen Ministerien Inneres, Verkehr und Entwicklung an – Männer. Für Dorothee Bär, die einzige Frau in der Runde, blieb der Posten einer Staatsministerin im Kanzleramt.

    Viel Hohn und Spott erntete „Frauen-Förderer“ Seehofer dann auch für das Foto, das bei der Vorstellung seiner Führungsmannschaft im Innenministerium entstand. Es zeigt aufgereiht das Spitzenpersonal des CSU-Chefs, das unter seiner Leitung die verschiedenen Bereiche des Ministeriums führt: drei parlamentarische und fünf beamtete Staatssekretäre. Allesamt Anzugträger, allesamt Männer.

    In Bayern regiert derweil Markus Söder. Der nächste Ministerpräsident, der bei der Kabinettsumbildung Anfang des Jahres die neue Staatsregierung ein „Signal für Erneuerung und Aufbruch“ nennt. „Das gesamte Kabinett wird jünger, und es wird weiblicher“, sagte er im Landtag bei der Vereidigung des Kabinetts. In Wirklichkeit gab’s genau eine Staatssekretärin mehr als zuvor.

    Fünf CSU-Frauen waren bisher Ministerinnen. Noch bastelt Söder an seinem Kabinett, aber wie es aussieht, werden eher weniger als mehr Spitzenämter mit Frauen besetzt werden. Wobei Insider berichten, dass der Ministerpräsident vielleicht sogar den bisher „heiligen“ Regionalproporz zugunsten einer geschlechtergerechten Postenverteilung vernachlässigen könnte.

    Jetzt muss der Ministerpräsident liefern

    Denn selbst in weiten Teilen der CSU scheint langsam ein Sinneswandel stattzufinden. Die gerade ausgeschiedene Landtagspräsidentin Barbara Stamm beispielsweise sagt: „Ich war ja immer gegen eine Quote, aber heute bin ich völlig anderer Meinung“. Und die Chefin der Frauen-Union und CSU-Vize Angelika Niebler sagt: „Jetzt ist der Ministerpräsident gefordert.“

    Die Frauen-Union hat bei ihrer Landesversammlung im Oktober ausdrücklich gefordert: „Einen geringeren Frauenanteil als im letzten Kabinett darf es nicht geben“. Denn wenn man Volkspartei sein wolle, müsse man auch den Querschnitt der Gesellschaft repräsentieren. Diese Erkenntnis habe sich auch in ihrer Partei längst durchgesetzt, sagt Niebler. „Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem.“ Zusammen mit der oberbayerischen Bezirksvorsitzenden Ilse Aigner verlangt Niebler eine Strategie, um mehr Frauen in Direktmandate zu bringen.

    Denn, das betont auch Barbara Stamm, die selbst trotz des Listenplatzes 1 aus dem Landtag geflogen ist: „Das Defizit bei uns in der CSU ist, dass Frauen insgesamt so wenige Direktmandate haben. Über die Liste ist dieses Mal kein einziger Abgeordneter in den Landtag gekommen. Doch bei den Direktmandaten kommen Frauen bei uns nicht so zum Zug.“ Es liegt also an der Basis, die im Stimmkreis jeden einzelnen Kandidaten aufstellt.

    Ob eine von oben verordnete Quoten hilft, wenn an der Basis die Frauen fehlen? Bei Grünen und SPD jedenfalls funktioniert die Frauenquote. Junge Frauen wollen die Quote meistens nicht. Sie möchten durch Leistung vorankommen und nicht als „Quotenfrauen“. Wenn sie älter werden, sind die meisten Frauen dann dafür. Weil sie erlebt haben, dass sich sonst nichts oder nur langsam etwas ändert.

    Ilse Aigner, die als die Schriftführerin im Landtag 1994 auf sich aufmerksam machte, ist inzwischen bekanntlich Landtagspräsidentin. Und auch wenn sie, wie am Mittwoch bei einem Staatsakt in München, ein paar Schritte vor ihrem einstigen Assistenten Markus Söder den Festsaal betritt: Er hat es zum Ministerpräsidenten von Bayern geschafft.

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