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Amoklauf in München: Die Trauer einer Familie: ZDFinfo zeigt Film über Amok-Opfer

Amoklauf in München

Die Trauer einer Familie: ZDFinfo zeigt Film über Amok-Opfer

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    Am 22. Juli 2016 tötete ein 18-Jähriger neun Menschen, bevor er sich selbst erschoss. Blumen und Kerzen erinnerten vor dem Olympia-Einkaufszentrum an die Opfer.
    Am 22. Juli 2016 tötete ein 18-Jähriger neun Menschen, bevor er sich selbst erschoss. Blumen und Kerzen erinnerten vor dem Olympia-Einkaufszentrum an die Opfer. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Arbnor legt ein Foto seiner Schwester nieder, und einen weißen Teddy. Drumherum Blumen - und Bilder von anderen Opfern. "Eigentlich hasse ich diesen Ort", sagt der 22-Jährige. "Aber es ist der letzte Ort, an dem sie war." Vor knapp einem Jahr hat der Amokläufer David S. hier am Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) in München neun Menschen erschossen. Arbnors Schwester Armela Segashi, 14, war das erste Opfer. "Weil sie meine jüngere Schwester war, hatte ich immer so ein Gefühl, ihr Beschützer zu sein." An diesem 22. Juli 2016 gelang ihm das nicht.

    Zum Jahrestag porträtiert ZDFinfo Armelas Familie. "Schatten des Verbrechens" von Gunnar Mergner und Carsten Frank wird an diesem Donnerstag um 20.15 Uhr ausgestrahlt. Die ZDF-Reporterin Sarah Tacke begleitet den Bruder, die Schwester und die Eltern Armelas auf ihrem schweren Weg zurück ins Leben. 

    Viele Tränen. Trauer in Großaufnahme. Ein bewegendes und sehr persönliches Porträt der Familie. Die Reporterin hält sich hier nicht im Hintergrund, sie tritt in zahlreichen Gesprächssequenzen ins Bild.  

    Der Amoklauf: Schüsse. Menschen in Panik. Schwer bewaffnete Polizisten. Das unzählige Male geklickte Video vom Amokläufer. "Ich bin ein Deutscher", ruft David S. vom Dach eines Parkhauses am OEZ. Kurz davor hat der 18-Jährige, selbst aus einer Familie mit iranischen Wurzeln, gezielt auf Armela und ihre Freunde im McDonald's-Restaurant am OEZ geschossen. Die Jugendlichen wollten eine Woche vor Ferienstart den Notenschluss feiern. David S. fragte Armela, ob es ihr schmecke, heißt es im Film. Dann feuerte er. Er kannte sie nicht. 

    Der Film rückt die Opfer des Amoklaufs in den Mittelpunkt

    Der Hass des psychisch kranken Schülers, der sich nach der Tat erschoss, richtete sich den Ermittlern zufolge gegen Jugendliche, die von Alter, Aussehen, Herkunft und Lebensstil denen ähnelten, die ihn über Jahre gemobbt und gedemütigt hatten: junge Menschen südosteuropäischer Herkunft.

    Der Amoklauf von München - eine Chronologie

    Am Freitag, 22. Juli 2016, läuft ein 18-Jähriger am Olympia-Einkaufszentrum in München Amok. Die Chronologie der Ereignisse.

    17.52 Uhr: Der Alarm vom Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) im Norden der Stadt geht bei der Polizei ein. Die ersten Schüsse fallen bei einem Schnellrestaurant. Von diesem Zeitpunkt an sind überall in München Polizeisirenen zu hören.

    18.33 Uhr: Die Polizei bestätigt: Im OEZ hat es eine Schießerei gegeben. Ob Menschen verletzt oder getötet wurden, ist zunächst unklar. "Es ist wohl etwas Größeres", sagt eine Sprecherin.

    19.05 Uhr: Die Warnung der Polizei an die Bevölkerung geht über Twitter raus: "+++ACHTUNG+++ Meiden Sie die Umgebung um das #OEZ - Bleiben Sie in Ihren Wohnungen. Verlassen Sie die Straße!+++" Wenig später wird die Warnung ausgeweitet - vom OEZ auf alle öffentlichen Plätze. "Meiden Sie öffentliche Plätze in #München. Die Lage ist noch unübersichtlich."

    gegen 19.30 Uhr: Ein Internetvideo taucht auf. Es zeigt einen Menschen, der aus einem Fast-Food-Restaurant offensichtlich in München kommt und mit einer Handfeuerwaffe wahllos auf Menschen schießt. Die Quelle dieses Videos, das auf Twitter veröffentlicht wurde, ist zunächst unklar.

    19.33 Uhr: Nun gibt es auch in der Innenstadt einen Großeinsatz der Polizei. Es herrscht Panik zwischen Fußgängerzone und Karlsplatz (Stachus). Schwer bewaffnete Polizisten sind vor Ort. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) ist auf dem Weg in die Landeshauptstadt.

    19.41 Uhr: Gerüchte machen sich breit über angebliche weitere Schießereien. Die Polizei reagiert auf Twitter: "Gerüchte um eine #Schießerei in der City bekannt. Die Lage ist noch unklar! Bitte meidet öffentliche Plätze sowie U/S-Bahn" - Dann stellt die Polizei klar, dass es am Stachus in der Innenstadt einen Fehlalarm gegeben hat.

    19.42 Uhr: Der U-Bahn-Verkehr in der Innenstadt ist eingestellt.

    20.01 Uhr: Es fahren keine Trambahnen, U-Bahnen und Busse mehr. Der Nahverkehr ist auf Anweisung der Polizei eingestellt worden.

    20.10 Uhr: Der Hauptbahnhof wird evakuiert - wegen eines Polizeieinsatzes, teilt die Deutsche Bahn mit. Auch der Zugverkehr ist jetzt eingestellt.

    20.11 Uhr: Die Münchner Polizei geht davon aus, dass es am Olympia-Einkaufszentrum drei Attentäter gegeben hat. "Zeugen melden drei verschiedene Personen mit Schusswaffen", schreibt die Polizei auf Facebook. Zur Zahl der Opfer gibt es bis zu diesem Zeitpunkt keine Erkenntnisse.

    20.13 Uhr: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer und Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) setzen ein Krisentreffen in der Staatskanzlei in München an.

    20.16 Uhr: Die Stadt München ruft den "Sonderfall" wegen einer "Amoklage" aus. Die Bürger werden über das Smartphone-Warnsystem Katwarn aufgefordert, ihre Wohnungen nicht zu verlassen.

    20.24 Uhr: Unruhe und teilweise Panik herrscht in der Stadt. Nach der Sperrung des Hauptbahnhofs flüchten Menschen über Bahngleise, wie Augenzeugen berichten.

    20.26 Uhr: Ärzte und Schwestern sind zu Münchner Krankenhäusern gerufen worden - zur Vorsorge. "Es wurde der Alarm Massenanfall Verletzte ausgelöst", sagt der Sprecher des Universitäts-Klinikums Großhadern.

    20.42 Uhr: Die Polizei spricht von einer "akuten Terrorlage" in München.

    20.44 Uhr: Drei Täter mit "Langwaffen" sind nach Polizeiangaben auf der Flucht.

    20.55 Uhr: Feuerwehr und Rettungskräfte in München sind mit einem Großaufgebot im Einsatz. "Alles, was verfügbar ist, ist im Einsatz", sagt ein Sprecher der Münchner Feuerwehr.

    21.16 Uhr: US-Präsident Barack Obama sagt Deutschland seine Unterstützung zu.

    21.23 Uhr: Die Polizei twittert: unbekannte Zahl von Verletzten und sechs Tote.

    21.32 Uhr: Nach den Tätern wird im gesamten Stadtgebiet und im Umland gefahndet. Gerüchte über den angeblichen Tod eines Täters kann ein Sprecher der Polizei zunächst nicht bestätigen.

    21.33 Uhr: Die Bundesregierung stellt sich auf eine Krisenlage wegen der tödlichen Attacken in München ein. Im Kanzleramt kommen Mitarbeiter zusammen, um die Geschehnisse in München zu verfolgen und Kontakt mit allen zuständigen Stellen zu halten.

    22.12 Uhr: Die Polizei hat Spezialeinheiten aus mehreren anderen Bundesländern angefordert, darunter die GSG9 der Bundespolizei.

    22.27 Uhr: Die Polizei meldet: "Die Zahl der Toten steigt auf 8."

    22.38 Uhr: Nach dem Fund einer weiteren Leiche - ein Mann - im näheren Umfeld des Münchner Olympia-Einkaufszentrums prüft die Polizei, ob es sich um einen Täter handeln könnte. Sie untersucht auch einen Rucksack, den er getragen hat - und der auf einem Video zu sehen ist.

    23.12 Uhr: Es ist klar, dass der Mann, der beim OEZ tot gefunden wurde, gewaltsam gestorben ist.

    23.32 Uhr: Die Polizei nennt die Zahl der Augenzeugen: rund 100. Sie werden von einem Kriseninterventionsteam betreut.

    1.05 Uhr: Die Zahl der Verletzten hat sich erhöht. Die Verletzungen reichen laut Polizei von leicht bis schwer.

    1.25 Uhr: Die öffentlichen Verkehrsmittel fahren wieder, wie die Polizei twittert. 

    1.30 Uhr: Entwarnung für München: Die Polizei ist sich so gut wie sicher, dass es sich bei dem Attentäter um einen Einzeltäter gehandelt hat. Der Mann habe sich selbst vermutlich getötet, teilen die Ermittler mit.

    1.39 Uhr: Die Polizei gibt eine neue Opferzahl bekannt. Nach dem Attentat in München ist die Zahl der Toten auf zehn gestiegen.

    2.24 Uhr: Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um einen 18 Jahre alten Deutsch-Iraner, teilt die Polizei mit.

    2.26 Uhr: Am Freitagabend und in der Nacht gab es nach Angaben der Polizei 2300 Einsatzkräfte in München.

    Samstag, 23. Juli 2016, 8.30 Uhr: Die Polizei bestätigt, dass am frühen Morgen eine Wohnung im Stadtteil Maxvorstadt durchsucht wurde. Das mehrstöckige Wohnhaus wurde weiträumig abgesperrt, Ermittler trugen Kartons aus dem Haus. Laut Medienberichten soll es sich um die Wohnung handeln, in der der mutmaßliche Täter mit seinem Vater wohnte.

    12.00 Uhr: Die Tat sei ein "klassischer Amoklauf" gewesen, einen Terror-Bezug gebe es nicht, sagen die Ermittler bei einer zweiten Pressekonferenz am Mittag. Zudem gebe es Hinweise auf eine psychische Erkrankung des 18-jährigen Täters.(Quelle: AZ)

    Armelas Familie stammt aus dem Kosovo. Der Täter, seine rechtsradikale Gesinnung und sein womöglich somit - entgegen der Einschätzung der Ermittler - doch auch rechtsextremes Motiv spielen in dem Film keine Rolle. Er rückt ganz die Opfer in den Mittelpunkt. Armelas Vater Smajl sagt einen wichtigen Satz: "Mit dem Täter habe ich mich nicht mal zwei Sekunden beschäftigt. Ich denke nie an den."

    Sarah Tacke beschreibt: Wie Bruder Arbnor am Abend des 22. Juli die Krankenhäuser abklappert. Wie Vater Smajl zum OEZ läuft, mit dem Pass der Tochter die ganze Nacht an der Absperrung steht, um etwas über ihr Schicksal zu erfahren. Und wie morgens, kurz nachdem er wieder zu Hause ist, Polizei und Kriseninterventionsteam vor der Türe stehen. 

    Die Beerdigung in der Heimat im Kosovo. 15 000 Menschen kamen laut Film. Die Heimkehr in die Wohnung. Arbnor: "Ihre Zahnbürste war noch da, ihre Schuhe lagen noch vor der Tür. In ihrem Zimmer lag noch die Wasserflasche, die sie am letzten Abend getrunken hat. Ich hab die Wasserflasche versteckt, ihre Schuhe alle weggenommen. Damit, wenn meine Eltern kommen, sie diese Sachen nicht im ersten Augenblick sehen müssen."

    Arbnor studiert Sportmanagement; nun lässt er die Ausbildung ruhen, um den Eltern zu helfen. Er erledigt Behördenkram, etwa Anträge über das Opferentschädigungsgesetz. Ausgleich findet er bei Freunden, beim Fußball. Schwester Arberia findet Halt in ihrer Ausbildung als zahntechnische Fachangestellte. Gespräche mit einer Therapeutin hat sie erst mal abgebrochen - sie habe immer die ganze Stunde geweint.

    Anderen Mut machen

    Der Vater, der seine Familie als Busfahrer ernährte, kann nicht mehr arbeiten. Mit seiner Frau Nazmije sucht er eine neue Wohnung. Ihre Eigentumswohnung im Münchner Norden wollen sie verkaufen - den Erinnerungen, der Vergangenheit entfliehen. "Ich kann das seelisch nicht mehr ertragen", sagt Smajl. Trotz Hilfen durch die Behörden und ihre große Familie im Kosovo bleibt das Leben der Segashis schwierig.

    "Der Amokläufer hat sie emotional kaputt gemacht, in die Arbeitsunfähigkeit getrieben, ihr Umfeld und ihren Alltag vergiftet", diagnostiziert der Film. Er will anderen von Leid Betroffenen Mut machen, Hilfe zu suchen. Und er will, dass die Opfer nicht vergessen werden: Armela mit ihrem Traum vom eigenen Make-Up-Salon. Und ihre Familie, die bis heute mit ihrem Schicksal ringt. Von Sabine Dobel, dpa

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