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Allgäu: Sensationsfund im Allgäu: Menschenaffe Udo wird zum Filmstar

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Sensationsfund im Allgäu: Menschenaffe Udo wird zum Filmstar

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    Die Paläontologin Madelaine Böhme ist Udos Entdeckerin. Der Sensationsfund aus dem Allgäu spielt nun eine Hauptrolle in der Arte-Dokumentation „Europa – Wiege der Menschheit?“.
    Die Paläontologin Madelaine Böhme ist Udos Entdeckerin. Der Sensationsfund aus dem Allgäu spielt nun eine Hauptrolle in der Arte-Dokumentation „Europa – Wiege der Menschheit?“. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Der eine wirbelt durch die Wissenschaftsgeschichte, der andere rockt durch sein junges Leben: Udo und Udo werden zu Filmstars. Während der 11,6 Millionen Jahre alte, aufrecht gehende Menschenaffe in der Dokumentation „Europa – Wiege der Menschheit?“ eine der Hauptrollen spielt, macht Namenspatron Udo Lindenberg auf der Kinoleinwand sein Ding. Seit der Sensationsfund aus dem Allgäu im November der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, steht er weltweit im Rampenlicht. Aber wie hat es Udo jetzt in eine Arte-Dokumentation geschafft?

    Alles begann mit einem fossilen Unterkiefer aus Griechenland und einem Backenzahn aus Bulgarien. Sie markieren den Beginn einer Reise, während der sich die Paläontologin Madelaine Böhme, Udos Entdeckerin, bald fragen wird: „Könnten unsere Wurzeln tatsächlich in Europa liegen?“ Um dieser Frage nachzugehen, begab sie sich mit einem Filmteam um den Kaufbeurer Produzenten Marcus Uhl auf eine Spurensuche. „Ich finde es aus journalistischer Sicht spannend, dabei zu sein, wenn sich ein Paradigma ändert“, sagt Autor und Regisseur Florian Breier. Ein Paradigma, an dem lange niemand zu kratzen wagte: Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika. Schien diese Annahme vor ein paar Jahren noch wie in Stein gemeißelt, beginnt sie für viele Forscher zu bröckeln. Das liegt nicht nur an Funden aus Europa, darunter auch die Sensationsfunde aus dem Allgäu, sondern ebenso an Fossilien, die in Asien aufgetaucht sind.

    "Udo": Wissenschaftler zweifeln am Ursprung in Europa

    Gleichermaßen gibt es Wissenschaftler, die keinerlei Belege für die „Out of Europe“-Theorie sehen. „Die Wiege der Menschheit nach Europa verlegen zu wollen, zeugt von diesem ewigen Eurozentrismus in der Wissenschaft“, sagt etwa Friedemann Schrenk. Und mit Blick auf Menschenaffe Udo fügt der Paläoanthropologe hinzu: „Die Aussage – aufgrund der neuen Funde –, der Mensch sei in Bayern entstanden und nicht in Afrika, ist so sinnvoll wie die Aussage, das Handy des 21. Jahrhunderts sei in China erfunden worden, weil es dort im 6. Jahrhundert Abakusse gab.“ Vor 15 Millionen Jahren, als das Klima in Europa dem in Afrika entsprach und es Landverbindungen mit Europa gab, seien die europäischen Menschenaffen aus Afrika expandiert, erklärt Schrenk. Am Ende des Miozäns, also vor etwa sechs Millionen Jahren, „sind die Menschenaffen in Europa samt und sonders ausgestorben“. Und es gebe keinerlei Funde, die auf eine Rückausbreitung nach Afrika schließen lassen. Dementsprechend sei es für den Übergang von Menschenaffen zu Vormenschen in Afrika „völlig irrelevant, welche Entwicklungen in Europa ein paar Millionen Jahre früher stattfanden“.

    Paläontologin Böhme hält es dagegen für plausibel, dass unsere frühen Vorfahren im Wechsel verschiedener Klimaphasen umherzogen, ohne sich an die heutigen Grenzen zwischen Kontinenten zu halten. „Das hat ja vor sieben Millionen Jahren keinen Primaten interessiert, wie wir diese Landmassen heute nennen“, sagt auch Filmemacher Breier. Demnach könnten sich unsere Urahnen also auf den Weg von Europa nach Afrika gemacht haben.

    Haben sich die Linien von Mensch und Affe schon in Europa getrennt?

    Um zu verstehen, warum Madelaine Böhme begann, an der „Out of Africa“-Theorie zu zweifeln, muss man zu dem Unterkiefer aus Griechenland zurückkehren. Der während des Zweiten Weltkriegs aufgetaucht ist und später lange Zeit als verschollen galt. Bis ihn die Paläontologin tatsächlich wiederfand – und zwar in einer Tupperdose. Ganz unscheinbar lag das Fossil in einem Safe des Geologischen Instituts der Uni Erlangen. Böhme und ihr Team untersuchten den Unterkiefer im „Hightech-Labor“, ebenso wie den Zahn aus Bulgarien. Beide ordnete sie der Gattung „Graecopithecus freybergi“, kurz „El Graeco“, zu. An den Fossilien fand Böhme Merkmale, die nahelegten: „El Graeco“ ähnelt mehr afrikanischen Vormenschen-Arten als ausgestorbenen Menschenaffen. Die Fundstücke datierten die Forscher auf etwa 7,2 Millionen Jahre zurück. Damit war „El Graeco“ deutlich älter als die ältesten potenziellen Vormenschen Afrikas. Für Böhme drängte sich die Frage auf: Könnten sich die evolutionären Linien von Mensch und Affe schon früher getrennt haben, und zwar nicht in Afrika, sondern in Europa?

    War "Udo" der letzte gemeinsame Vorläufer von Mensch und Menschenaffe?

    Dann kam Udo. „Der Generalist“, wie Breier sagt. Er rüttelt nochmals heftig an der „Out of Africa“-Theorie. Denn auch seine Überreste tauchten in Europa auf, genauer: in der Hammerschmiede, einer Tongrube am Ortsrand der Gemeinde Pforzen im Ostallgäu. Womöglich war er der letzte gemeinsame Vorläufer von Mensch und heutigem Menschenaffen – so zumindest die Sicht von Böhme und ihrem Team.

    Friedemann Schrenk dagegen sagt: „Danuvius guggenmosi“, wie Udo offiziell heißt, ist kein Urahn des Menschen. „Die ,aufrecht-kletternde‘ Fortbewegung des Guggenmos-Fundes ist von der Konstruktion und Funktion her völlig anders als der dauernde aufrechte Gang frühester Menschen und kann dafür überhaupt kein Vorläufer sein.“

    Name des Vorfahrs erinnert an den Hobbyarchäologen Guggenmos

    Der Name des nun entdeckten Menschenaffen Danuvius guggenmosi erinnert an den Hobbyarchäologen Sigulf Guggenmos. Er hatte nach Angaben der Universität Tübingen 1972 in der ehemaligen Ziegelei "Hammerschmiede" in Pforzen im Ostallgäu erstmals Fossilien in dieser Fundstätte entdeckt. Der aus dem bayerischen Westendorf stammende Guggenmos stieß in mehr als 40 Jahren auf unzählige Fundstücke vor allem aus der Steinzeit beziehungsweise aus der Zeit der Römer. Am bedeutendsten war dabei die Entdeckung einer Brandopferstätte auf dem Grund des Forggensees. Guggenmos ist 2018 im Alter von 76 Jahren gestorben. 

    In der Tongrube in Pforzen graben die Universität Tübingen und das Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment unter Leitung von Madelaine Böhme seit 2011 vor allem nach Tierresten. Insgesamt wurden bisher rund 15.000 Fossilien von 115 Wirbeltier-Arten geborgen. Darunter finden sich Fische, Riesensalamander, Schildkröten, Vögel, Elefanten, die weltweit ältesten Pandas - und eben auch die rund zwölf Millionen Jahre alten Knochenreste von Danuvius guggenmosi. Gegraben werden darf in der Grube allerdings nur mit einer offiziellen Genehmigung und in ausgewiesenen Flächen.

    Wie gehen Breier und Uhl in ihrer Dokumentation mit diesem Zwiespalt um? „Es wäre journalistisch fahrlässig gewesen, wenn man die Gegenthese nicht vorgestellt hätte, den wissenschaftlichen Stand nicht in den Fokus rückt“, sagt Produzent Uhl. Daher war es dem Kaufbeurer wichtig, andere renommierte Forscher zu Wort kommen zu lassen – etwa die amerikanische Professorin Carol Ward, die sich schon lange mit den afrikanischen Vormenschen beschäftigt. Oder den kanadischen Anthropologen David Begun, der sagt: „Man kann die Funde aus Europa nicht ignorieren.“

    „Niemand leugnet, dass wichtige Kapitel der Menschwerdung in Afrika stattgefunden haben“, sagt Breier. „Aber was Madelaine Böhme meint, ist, dass es ein noch älteres Kapitel gibt als das afrikanische.“ Das eben auch in Europa gespielt habe – in einer der Hauptrollen: Udo, der aufrecht gehende Menschenaffe aus dem Allgäu.

    Der Film „Europa – Wiege der Menschheit?“ ist am Samstag, 8. Februar, ab 21.40 Uhr auf Arte zu sehen.

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