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Allgäu: Sensationsfund "Udo": Experten wollen bald nach weiteren Knochen graben

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Sensationsfund "Udo": Experten wollen bald nach weiteren Knochen graben

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    Paläontologen haben im Allgäu Fossilien entdeckt, die ein neues Licht auf die Entwicklung des aufrechten Ganges werfen. Nun will Udo-Entdeckerin Professor Madelaine Böhme, nach weiteren Knochen suchen.
    Paläontologen haben im Allgäu Fossilien entdeckt, die ein neues Licht auf die Entwicklung des aufrechten Ganges werfen. Nun will Udo-Entdeckerin Professor Madelaine Böhme, nach weiteren Knochen suchen. Foto: Sebastian Gollnow

    Eine echte Berühmtheit ist Udo im Ostallgäuer Pforzen noch nicht. Fossiler Sensationsfund in der Nachbarschaft? Angelika Zinker zuckt mit den Schultern, das sagt ihr jetzt nichts. Und die Ausgrabungen in der über 100 Jahre alten Tongrube Hammerschmiede? Klar, die kennt die

    Aber das mit Udo kann ja noch werden in der 2300-Seelen-Gemeinde bei Kaufbeuren. Immerhin ist der etwa 11,6 Millionen Jahre alte Menschenaffe, den Wissenschaftler für den ältesten Hominiden mit aufrechtem Gang halten, erst am Mittwoch ins Rampenlicht getreten. Mit etwas Nachhilfe klappt es dann aber doch noch mit der Begeisterung in und um Pforzen. „So eine wissenschaftliche Sensation direkt vor der Haustür, das finde ich spannend“, sagt etwa Sebastian Pohl aus der Nachbargemeinde Irsee. Mit der Evolution kennt sich der 34-Jährige aus und weiß, was ein „Missing Link“ ist, ein fehlendes Bindeglied in der Menschheitsgeschichte. Udo gilt als solches.

    Pforzener Bürgermeister ist mächtig stolz auf Udo

    Herbert Hofer dagegen ist nicht nur angetan – er ist mächtig stolz auf Udo. Mit Lederjacke und lehmverschmierten Schuhen steht der Pforzener Bürgermeister am Donnerstag in jener Tongrube, die die Skelettreste des Menschenaffen und drei seiner Artgenossen freigegeben haben. Hofer ist umringt von Kamerateams, wirkt aber trotz des Medienrummels, der über die Gemeinde hereingebrochen ist, entspannt.

    Großer Medienrummel in der Pforzener Tongrube Hammerschmiede: Der spektakuläre Fund von 11,6 Millionen Jahre alten Menschenaffen lockte am Donnerstag Journalisten aus ganz Deutschland an.
    Großer Medienrummel in der Pforzener Tongrube Hammerschmiede: Der spektakuläre Fund von 11,6 Millionen Jahre alten Menschenaffen lockte am Donnerstag Journalisten aus ganz Deutschland an. Foto: Mathias Wild

    Dass etwas Großes auf die Gemeinde zukomme, war ihm schon länger bewusst. Bereits im Sommer 2017, nachdem erste größere Relikte des Ur-Allgäuers freigelegt worden waren, hatte die Entdeckerin, die Tübinger Professorin Madelaine Böhme, den Rathauschef „vorgewarnt“. Aber dass der Fund so bedeutend sein würde, hätte Hofer nicht gedacht. „Wissenschaftlich gesehen ist das eine Sensation“, sagt er. Darum sei der Gemeinde daran gelegen, die Funde öffentlich auszustellen. Wie, das müsse sich noch zeigen. Für Pforzen allein sei ein Museum „eine Nummer zu groß“.

    Vorstellbar wäre eine Kooperation mit der Universität Tübingen, die seit 2011 für die Grabungen in der Tongrube verantwortlich ist. Auch Heidi Ziems aus Eggenthal, einer Gemeinde in der Nähe der Hammerschmiede, würde sich über einen öffentlichen Schauraum sehr freuen. „Das würde die Gegend hier aufwerten.“

    Sensationsfund Udo: Wird er zum Katalysator für den Tourismus?

    Das dürfte ganz nach dem Gusto von Landrätin Maria Rita Zinnecker sein, die den Pforzener Fund als „Weltsensation“ und Katalysator für den touristischen Rang des nördlichen Ostallgäus einstuft. „Das werden wir in jedem Fall begleiten und weiterentwickeln.“ Zinnecker könnte sich sogar ein Ausstellungszentrum vorstellen – „so etwas geht aber nur mit öffentlicher Förderung“. Dabei schielt sie auf EU-Fördertöpfe, aber auch auf den Freistaat. Stefan Bosse, Oberbürgermeister des benachbarten Kaufbeuren, ist ebenfalls begeistert von Udo und würde es begrüßen, wenn der Landkreis hier „etwas entwickelt“. „Das Thema hat großes Potenzial. Und wir stehen Gewehr bei Fuß, zu unterstützen, wenn es gewünscht ist.“

    Bayerns Wissenschaftsminister Bernd Sibler sieht in den freigelegten Überresten einen „sensationellen Fund auf bayerischem Boden, der für die Forschung einen herausragenden Wert hat.“ Zur Zukunft jedoch trifft Sibler keine verbindliche Aussage. Er sagt lediglich: „Die Fundstelle und die Objekte sind hochinteressant. Ich begrüße es sehr, diese für die Wissenschaft – und im besten Fall für den Freistaat – zu sichern.“

    Universität Tübingen vermutet weitere wichtige Fossilien

    Wie es mit der Fundstelle weitergehen wird, das war am Donnerstag auch Thema bei einer Führung durch die Tongrube, kurzfristig anberaumt vom Bauunternehmen Josef Geiger. Die Oberstdorfer Firma hat die Grube seit etwa 25 Jahren gepachtet und baut dort Ton und Lehm ab. „Auch wir schätzen die Bedeutung der Funde als sehr hoch ein“, sagt Geiger-Vertreter Christoph Heim. Daher mache das Unternehmen seit Jahren Kompromisse und spare Flächen aus, die für die Wissenschaft relevant seien. „Es ist uns wichtig, wirtschaftliche Nutzung und wissenschaftliche Ansprüche unter einen Hut zu bringen.“ Konkret bedeutet dies laut Heim auch, dass die Geiger-Bagger die oberen Ton- und Lehmlagen in einer Stärke von gut vier Metern abtragen. Die Forscher müssten dann nur noch etwa 50 bis 100 Zentimeter tief graben,, um auf die relevanten Schichten zu stoßen.

    Bislang umfasst das Grabungsareal in der mehrere Hektar großen Lehmgrube gut 1000 Quadratmeter – weitere 4000 bis 5000 Quadratmeter könnten laut Universität Tübingen ebenfalls wichtige Fossilien enthalten und sollten daher unberührt bleiben. Ob diese Flächen möglicherweise als Naturdenkmal eingestuft und damit komplett unter Schutz gestellt werden, wie es die Landrätin ins Spiel gebracht hat, wollte Heim am Donnerstag nicht bewerten. Er verweist aber darauf, dass in der Hammerschmiede auch die Verkehrssicherungspflicht zu beachten sei. Sprich: „Die Grube ist Privatgelände – und wir werden strikt darauf achten, dass hier kein freier Zugang erfolgt.“ Dabei denkt er auch an potenzielle Hobbygräber, für die die Grube absolut tabu sei.

    Udo-Entdeckerin Professor Madelaine Böhme wird wohl im Mai 2020 wieder in Pforzen graben. „Ich hoffe, dass wir vielleicht einen kompletten Schädel der neuen Art ,Danuvius guggenmosi‘ finden. Auch ein Fuß wäre super. Dann könnten wir noch mehr über die Biologie herausfinden.“

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