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A8 bei Augsburg: Viele Unfälle auf A8: Polizeichef fordert Tempo 120

Wenn es Nacht wird auf der A8, heißt es durchatmen für die Polizei. Dann sinkt das Unfallrisiko erheblich.
A8 bei Augsburg

Viele Unfälle auf A8: Polizeichef fordert Tempo 120

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    Das Tempolimit ist wie der FC Bayern. Wie Fast Food oder Heidi Klum. Entweder man ist leidenschaftlicher Anhänger oder pflegt seine Abneigung. So viel zum grundsätzlichen Gefühl.

    Natürlich ist das Tempolimit eine ernstere Sache als Lieblingsverein oder Leibspeise, komplexer, politischer, mitunter noch emotionaler. Manche sehen darin eine Frage von Leben und Tod, andere das Ende der Freiheit. Und so steht Josef Sitterer am endlich nicht mehr stürmischen Donnerstagmorgen mit kritischem Blick auf einer Brücke, die die A8 überspannt, und sagt: „Schauen Sie, wenn der Lkw jetzt auf die mittlere Spur zieht, der Autofahrer nach links ausweicht und von hinten einer mit 180 kommt, dann haben wir genau die Situation, die hier das große Problem ist.“

    Der kritische Blick ist kraft seines Amtes nötig: Sitterer, Uniform, graue Haare, ein ruhiger, freundlicher Mann, leitet die Autobahnpolizei in Gersthofen bei Augsburg. Dieser Ort aber macht ihn noch ein Stück kritischer. Unter der Brücke rauscht der Verkehr auf sechs Spuren vorbei, um diese Zeit so zügig wie sonst nur nachts. Der 40-Tonner mit Tempo 80, die Limousine doppelt so schnell. Im Moment ist genug Platz für alle da. Aber wehe, der Berufsverkehr naht. Dann kann es sein, dass Sitterers Kollegen wieder ausrücken müssen. Der Anblick am Unfallort ist nicht schön.

    „Die Folgen der Unfälle sind heute heftiger“: Josef Sitterer, Chef der Autobahnpolizei in Gersthofen bei Augsburg.
    „Die Folgen der Unfälle sind heute heftiger“: Josef Sitterer, Chef der Autobahnpolizei in Gersthofen bei Augsburg. Foto: Marcus Merk

    Und weil hier eben einiges aus dem Ruder gelaufen ist, wovon Sitterer gerade noch in seinem Büro erzählt hat, steht seit geraumer Zeit ein Tempolimit auf der A8 zur Diskussion. Geht es nach dem Polizisten, vordringlich auf einem neun Kilometer langen Streifen zwischen Neusäß und Friedberg. Davon abgesehen diskutiert Deutschland – mal wieder – über eine grundsätzliche Geschwindigkeitsbeschränkung auf den Autobahnen. Und das bringt den Puls der Leute richtig in Fahrt.

    Warum das Tempolimit so polarisiert

    Die Aufregung ist immer gewaltig, wenn das Thema hochkocht. Da sagen die einen kopfschüttelnd, dass Deutschland das einzige EU-Land ohne generelles Tempolimit sei und mit niedrigeren Geschwindigkeiten auf Autobahnen etwa die Hälfte aller tödlichen Unfälle vermieden werden könne. Und die anderen, dass auf 30 Prozent der Autobahn-Kilometer die Geschwindigkeit eh beschränkt sei und es auf den übrigen 70 Prozent nicht überproportional viele tödliche Raser-Unfälle gebe. Die einen argumentieren mit 424 Unfalltoten (2018), die anderen damit, dass es 1999 noch 911 waren.

    Und Politiker und Lobbyisten lassen sich zu Aussagen hinreißen, die Leserbriefspalten füllen und noch mehr Shitstorms in der digitalen Welt erzeugen. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann beispielsweise plauderte 2017 in die Fernsehkamera: „Was dem Ami die Waffe ist, ist dem Deutschen das Rasen – das kriegst du halt nicht weg.“ Aufschrei im Publikum, ein Hin und Her, und – zack – war die Entrüstung schon wieder weg.

    Neues Kapitel der Endlosdebatte: an diesem Freitag ab 9.30 Uhr im Bundesrat, Drucksache 591/1/19, Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, Tagesordnungspunkt 50 von 63.

    Polizei-Chef Sitterer geht es erst mal um „sein“ Revier. Deshalb der Vorschlag, den Verkehr von der A8-Brücke aus zu beobachten. „Wir haben kein Raserproblem“, sagt er. „Wir haben dann ein Problem, wenn dichter Verkehr, Fahrstreifenwechsel und hohe Geschwindigkeiten zusammenkommen.“

    Ein einziges Trümmerfeld: Ein Lastwagen nach einem tödlichen Unfall auf der A8 bei Edenbergen.
    Ein einziges Trümmerfeld: Ein Lastwagen nach einem tödlichen Unfall auf der A8 bei Edenbergen. Foto: Marcus Merk

    Ein paar Minuten zuvor hat Josef Sitterer auf der Polizeistation die jüngste Statistik auf den Tisch gelegt. 2018 – aktuellere Zahlen liegen noch nicht vor – gab es zwischen Zusmarshausen und Adelzhausen 984 Unfälle, ein Drittel davon zwischen Neusäß und Friedberg. 2015, das Jahr, in dem der sechsspurige Ausbau zwischen Günzburg und Augsburg vollendet wurde, waren es 876. Die Zahl der Verletzten verdoppelte sich sogar von 62 auf 122, wenn sich Unfälle bei mindestens Tempo 130 ereigneten. Die Zahl der Toten blieb bei hohen Geschwindigkeiten mit jeweils einem gleich.

    Bislang ist nur am Derchinger Berg ein kurzes Stück zwischen Friedberg und Dasing auf 100 begrenzt, und auch nur bei Nässe. Rechtfertigen die Unfallzahlen nun ein großflächigeres Tempolimit?

    "Nicht angepasste Geschwindigkeit" ist der Hauptgrund für Unfälle auf der A8

    Ein zweiter, genauerer Blick. Als Hauptunfallursache nennt die Polizei zuvorderst „nicht angepasste Geschwindigkeit“ (41 Prozent). Es folgen Sicherheitsabstand (22 Prozent) und Überholen (18).

    Ein dritter Aspekt. Die Autobahndirektion Südbayern räumt ein, dass die Unfallrate zwischen Neusäß und Friedberg mit einem Wert von 0,42 überdurchschnittlich hoch sei. Dieser steht für die Zahl der Unfälle bezogen auf die Strecke von einer Million gefahrener Autobahn-Kilometer. Der Wert 0,2 gilt als normal. Auch der weitere Streckenverlauf bis zum Kreuz Ulm/Elchingen weist erhöhte Unfallraten auf.

    Die Stimmen derer, die raschen Handlungsbedarf sehen, mehren sich. Es tut sich auch was. Das Bundesverkehrsministerium plant den Bau einer Anlage für die digitale Geschwindigkeitsregulierung (Telematik). Ein zweistelliger Millionenbetrag für die Strecke von Dachau-Fürstenfeldbruck nach Augsburg steht bereit. Die Umsetzung wird jedoch Jahre dauern. Stellt sich die Frage: Was tun bis dahin?

    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat versprochen, die Situation vor Ort überprüfen zu lassen. Die CSU-Bundestagsabgeordneten Volker Ullrich, Hansjörg Durz, Georg Nüßlein und Katrin Staffler schlagen bis zur Realisierung der Telematik-Anlage „ein auf die Unfallschwerpunkte zeitlich befristetes Tempolimit von 120 Stundenkilometer“ vor. Womit sie bei Polizei-Chef Sitterer offene Türen einrennen. Er sieht das ähnlich, „wegen mir auch nur zwischen sechs und 20 Uhr“. In dieser Zeit passieren 80 Prozent aller Unfälle.

    Fragt man Josef Sitterer, was sich auf der A8 vor allem verändert habe, antwortet er: „Die Folgen der Unfälle sind heute heftiger.“ Und ein Tempolimit würde zu weniger Unfällen führen? „Wohl nicht“, sagt er ehrlich. „Die Aufmerksamkeitsdefizite bleiben.“ Aber die Folgen wären eben nicht so gravierend.

    Sogar einer, der gerne 200 fährt, ist für das Tempolimit auf der A8

    Raststätte Augsburg-Ost. Während draußen Autos und Lastwagen lautstark über den Asphalt donnern, geht es im Restaurant gemütlich-ruhig zu. Ewald Kalteiß hat sich an einen der vielen freien Tische gesetzt. Seine Reisegefährten: ein Laptop, ein Buch, eine Tasse Kaffee. Der 72-Jährige fährt jede Woche einmal von München nach Ulm und zurück. „Die Strecke Augsburg-Ulm ist besonders berüchtigt“, sagt er und spielt auf die häufigen Unfälle an. Er selbst fahre immer zwischen 120 und 130 Stundenkilometer. „Da komme ich am besten durch.“

    Anstrengend findet Kalteiß, dass er den Rückspiegel ständig im Auge behalten müsse. „Einige fahren mit sehr hoher Geschwindigkeit.“ Er sei auch oft auf Autobahnen in der Schweiz oder in Frankreich unterwegs, wo es sich wegen der Tempolimits deutlich entspannter fahre. „Das erhöht die Sicherheit und würde wahrscheinlich auch den Schadstoff-Ausstoß reduzieren. Mich stört nur, dass es noch keine aussagekräftigen Daten zum Zusammenhang von Geschwindigkeit und Schadstoffbelastung gibt“, sagt er.

    Insgesamt leidet die Debatte über ein Tempolimit bis heute unter dem Fehlen einer wirklich umfassenden wissenschaftlichen Untersuchung. Es gibt viel Schwarz und viel Weiß, aber wenig Grau. Nach dem aktuellen ZDF-Politbarometer sind zwei Drittel der Deutschen für ein Limit von wenigstens 130, ein Drittel lehnt eine Begrenzung ganz ab.

    Zwei Drängeleien mit hoher Geschwindigkeit, zwei blinkerlose Spurwechsel und einen Polizeiwagen auf dem Standstreifen entfernt in Richtung Ulm liegt der Rastplatz Burgauer See. Im dortigen Restaurant ist etwas mehr los. Eine Gruppe, die aus dem Winterurlaub kommt und mit dem Kleinbus nach Heidelberg unterwegs ist, macht Mittagspause. Auch Stefan Fuchs. Auch er ist für ein Tempolimit – „obwohl ich hier gerne 200 fahre“.

    In Deutschland komme er am besten voran, wenn er auf der linken Spur unterwegs ist, erzählt Fuchs. Und das gehe eben nur mit hoher Geschwindigkeit, denn: „Es fahren immer wieder Drängler auf, sogar wenn ich 180 fahre.“ Und trotzdem will er ein Tempolimit? „Mit dem Schnellfahren spart man sowieso nur ein paar Minuten.“

    Seine Mitreisende Heike Delke dagegen lehnt ein Tempolimit ab. „Natürlich wäre es ökologisch sinnvoll. Aber ich fahre ab und zu gerne schnell.“ Ihren Sportwagen könne sie sonst nie mehr ausfahren und die Autoindustrie würde auf den stark motorisierten Fahrzeugen sitzen bleiben, sagt sie. Zwar sei sie meistens mit etwa 130 Stundenkilometern unterwegs, aber wenn sie in der Stimmung sei und es die Verkehrslage zulasse, gebe sie auch mal Gas. „Als Autofahrer sollte man selbst entscheiden dürfen.“ Gegen Drängler helfe auch ein Tempolimit nicht, sagt Delke noch, die gebe es ja auch jetzt schon auf Straßen mit Geschwindigkeitsbeschränkung.

    Am Eingang der Raststätte werden die Reisenden von einem Ständer mit Sprüche-Schildern empfangen. „Echte Männer fahren Motorrad“ steht auf einem, auf einem anderen „Echte Männer fahren Fahrrad“. Ein Paar in schwarzen Klamotten macht eine Pause auf dem Heimweg ins Ruhrgebiet. Der Mann mit Brille und Glatze stellt sich freundlich als Chris Krone vor. Tempolimit? Nein! „Das sollte jeder selbst entscheiden dürfen.“ Er selbst sei trotzdem nur mit 120 unterwegs – fahrzeugbedingt. Viel schneller laufe sein altes Auto nicht.

    Seine Freundin macht einen anderen Vorschlag: Warum nicht ein generelles Tempolimit während des Berufsverkehrs? Sei weniger los auf den Straßen, spreche auch nichts gegen hohe Geschwindigkeiten.

    Und damit ab in den Bundesrat, quasi durch die Hintertür. Denn eigentlich sollen sich an diesem Freitag die Länder in der von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) angestoßenen Novelle der Straßenverkehrsordnung vor allem mit mehr Sicherheit für Radfahrer beschäftigen. Weil das Papier jedoch durch mehrere Fachausschüsse ging, steht in der 82 Seiten dicken Beschlussvorlage plötzlich auch die Empfehlung, die allgemeine Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen aufzuheben und durch eine „Geschwindigkeitsbeschränkung“ von 130 zu ersetzen. Begründung: „Ein allgemeines Tempolimit auf bundesdeutschen Autobahnen ist geeignet, zur Harmonisierung der europaweiten Verkehrsverhältnisse beizutragen, den Kraftstoffverbrauch sowie klimaschädliche Emissionen zu reduzieren und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.“ Und es geht noch weiter: Am Rande ist sogar von generell Tempo 30 in geschlossenen Ortschaften die Rede.

    Das hat Potenzial für einen doppelten Aufschrei im Land. Dabei schien die Autobahn-Debatte im Oktober 2019 erst mal beendet zu sein. Damals war ein Antrag der Grünen für ein Tempolimit im Bundestag krachend gescheitert. Doch das Thema gärte weiter. Umweltverbände machten Druck. Kürzlich rückte ausgerechnet der ADAC, Sprachrohr von gut 20 Millionen Autofahrern, von seinem kategorischen Nein ab. Die CSU, vehementer Gegner einer generellen Lösung, antwortete mit der Kampagne „Tempolimit? Nein danke!“ und fand im Internet schon knapp 200.000 Unterstützer. Und die Deutsche Umwelthilfe hat schon die Gegenkampagne am Start.

    Warum das Tempolimit die Deutschen so aufwühlt, kann sich Polizei-Chef Sitterer oben auf der A8-Brücke nur so erklären: „Viele glauben, dass ihnen ein Stück Freiheit genommen wird.“ Da ist er also immer noch, der Wunsch nach freier Fahrt für freie Bürger.

    Wie Söder auf der A94 ein Tempolimit im Rekordtempo einführte

    Dass die Tempo-130-Begrenzung tatsächlich durch den Bundesrat geht, ist mehr als fraglich. Mehrere unionsgeführte Länder haben schon abgewunken, auch Bayern. Außerdem müsste die Bundesregierung die Verordnung nicht zwingend umsetzen, sie könnte auch die ganze Novelle abblasen.

    Übrigens: Im Oktober wurde auf der A94 München-Passau ein neues 33 Kilometer langes Teilstück freigegeben. Schnell häuften sich die Beschwerden von Anwohnern, und zwar wegen Lärms. Anfang Januar machte sich Ministerpräsident Markus Söder vor Ort ein Bild von der Lage – und kündigte postwendend ein Tempolimit für den kompletten neuen Abschnitt an, zunächst bis 31. Juli. Bis zur Umsetzung dauerte es nur gut drei Wochen. Seit 1. Februar gilt maximal Tempo 120.

    So kann’s auch gehen.

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