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100 Jahre Freistaat: Wie sich Schwaben zum Aufsteiger in Bayern gemausert hat

100 Jahre Freistaat

Wie sich Schwaben zum Aufsteiger in Bayern gemausert hat

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    Auf älteren Karten endet Bayern dort, wo Spätzle gegessen werden. Schwaben kam erst 1806 dazu - mit Auswirkung auf Mentalität und Politik bis heute.
    Auf älteren Karten endet Bayern dort, wo Spätzle gegessen werden. Schwaben kam erst 1806 dazu - mit Auswirkung auf Mentalität und Politik bis heute. Foto: Ulrich Wagner/Imago

    Die bayerischen Schwaben und die Altbayern – das ist eine lange, wechselvolle, stürmische Beziehungsgeschichte, die vor über zwei Jahrhunderten im Jahre 1806 begann. Damals sind die

    „Wir kämpfen nicht gegen München“, erklärte der Kreistag von Schwaben und Neuburg im Jahre 1928. „Aber wir wollen, dass unser Bayernland altbayerische, fränkische, schwäbische Stammeseigenart achtet“. Die Monarchie war zehn Jahre zuvor gestürzt, der republikanische „Freistaat“ gegründet worden. Am Gefühl der Schwaben, nicht richtig dazuzugehören und in München mit ihren Anliegen nicht gehört zu werden, hatte sich trotz des Umsturzes der politischen Verhältnisse nicht viel geändert. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, ehe der Stamm der Schwaben in

    Schwaben hat glänzende Zukunftsaussichten

    Heute ist Bayerisch-Schwaben ein starkes Stück Bayern, das maßgeblich zum ökonomischen Erfolg des Landes beiträgt und glänzende Zukunftsaussichten hat. Vergessen ist die lange Durststrecke, die der Regierungsbezirk mit seinen rund 1,8 Millionen Einwohnern hinter sich hat. Endgültig Geschichte ist das Gefühl, in Bayern nicht gut aufgehoben zu sein. Aus den bayerischen Schwaben, die von vielen Bundesbürgern gerne mit den Württemberger Schwaben in einen Topf gerührt werden, sind überzeugte Bayern geworden. Die Franken genehmigen sich zwischendurch mal den spielerischen Tagtraum von einer Art Sezession, wenn sie sich über die „Münchner“ und deren altbayerischen, die eigenen Interessen befördernden Dirigismus ärgern. Im Schwäbischen ist das kein Thema. Auch die Allgäuer, die auf der politischen Landkarte zu den Schwaben gehören und bundesweit eine gut identifizierbare, sozusagen eigenständige „Marke“ sind, haben längst ihren inneren Frieden mit dem Leben in Bayern gemacht.

    Viel ist darüber gerätselt worden, warum sich die Schwaben und die Altbayern so lange so schwer miteinander getan haben und es bis heute immer wieder knirscht zwischen dem uralten bayerischen und dem erst unter Napoleon hinzugekommenen bayerischen Stamm. Nun ja, es hatte und hat wohl vor allem mit den unterschiedlichen Temperamenten und Mentalitäten, der jeweiligen historischen Herkunft, dem in 1000 Jahren gewachsenen bayerischen Staatsverständnis und dem immerwährenden Wettkampf der bayerischen Regionen um ein möglichst großes Stück am gesamten zur Verfügung stehenden Kuchen zu tun.

    Der Schwabe ist sparsam

    Der Schwabe neigt dazu, sein Licht unter den Scheffel zu stellen. Er ist sparsam – nicht nur im Umgang mit dem Geld, sondern auch mit Gesten und öffentlich zur Schau gestellten Gefühlen. Die Lust an der Selbstdarstellung ist ihm fremd. Er verfolgt seine Ziele hartnäckig, doch gerne auf Umwegen. Der Altbayer ist temperamentvoller, „offen heraus“ und irgendwie unkomplizierter. Er kann sehr direkt und, wie es der ehemalige Landtagspräsident Franz Heubl einmal in seiner Charakterstudie über Franz Josef Strauß gesagt hat, ein bisschen brutal sein. Der Altbayer ist weder grüblerisch noch – was Schwaben nachgesagt wird – nachtragend. „Der Schwabe“, so hat es der Heimatforscher Alfred Weitnauer beschrieben, „will die Welt fortlaufend besser und rentabler machen, der Baier will sie genießen“. Natürlich gibt es den

    Und dann ist da die altbayerische Tradition des Zentralismus, die auf den Widerstand der seit altersher in freien Reichsstädten organisierten, selten an einem Strang ziehenden Schwaben stoßen musste. Die Altbayern waren stets auf ihr Zentrum, auf München ausgerichtet. Zwischen Iller und Lech, im unruhigeren Schwaben, gab es jahrhundertelang einen Fleckerl-Teppich von Einzelherrschaften und Einzelterritorien. Die Schwaben, so hat es der langjährige schwäbische IHK-Präsident Hans Haibel in den 1990erJahren formuliert, täten sich von ihrer Geschichte her einfach schwerer, sich politisch durchzusetzen.

    Die Spätzle als Sinnbild schwäbischer Zersplitterung

    Haibel wählte einen interessanten, kulinarisch inspirierten Vergleich. Die Schwaben kämen „zerrissen wie ihre Spätzle“ daher, die Oberbayern seien wie der von ihnen bevorzugte „feste Knödel“. Die Spätzle als Sinnbild schwäbischer Zersplitterung: Damit spielte Haibel auch auf das notorische Problem der Schwaben an, in München nicht geschlossen um gemeinsame Anliegen der Region zu kämpfen. Wenn jede Unterregion – wie es über viele Jahre hinweg der Fall war – nur auf ihre Interessen achtet, ist den altbayerischen Zentralisten nicht beizukommen. Das mangelnde Zusammengehörigkeitsgefühl mag auch erklären, warum die Schwaben über lange Zeit mit wichtigen Projekten in

    An politischen Talenten hat es den Schwaben ja nie gefehlt, wobei es der langjährige Bundesfinanzminister Theo Waigel mit Abstand am weitesten gebracht hat. Er schaffte es sogar, Nachfolger von CSU-Chef Strauß zu werden – verlor jedoch den Kampf um das Amt des Ministerpräsidenten. Das ganze Erbe von Strauß in den Händen eines Schwaben – das wollten die Altbayern nicht hinnehmen. Und auch Waigel konnte auf dem Höhepunkt seiner Macht nicht verhindern, dass München-Nürnberg glatt verlor. Nicht Augsburg, sondern Ingolstadt kam zum Zug. Fortan klagten die Schwaben noch lauter über ihre Benachteiligung, derweil sich die Altbayern über die ewige Jammerei der

    "Nicht im Schatten, sondern unter der Sonne Münchens"

    Gründlich verfahren, wie das Verhältnis zwischen den Schwaben und den Altbayern damals war, mutet die in den Jahren nach der Jahrtausendwende begonnene positive Entwicklung überraschend an. Vieles kam da zusammen. Die Schwaben hörten auf, ihr Schicksal zu beklagen – und fingen an, gemeinsam dicke Bretter in München zu bohren. Sie traten selbstbewusster auf und trieben ihre Projekte gegen den Widerstand in Münchner Amts- und Landtagsstuben voran. Die Altbayern nahmen endlich zur Kenntnis, dass Schwaben „nicht im Schatten, sondern unter der Sonne Münchens“ (der langjährige Bezirkstagspräsident Georg Simnacher) vorankommen wollte und dazu die Unterstützung des Freistaats brauchte. Und in Ministerpräsident Horst Seehofer, einem Oberbayern, hatten die Schwaben und die Augsburger plötzlich einen Fürsprecher.

    Das Augsburger Zentralklinikum, in den 1970iger Jahren ohne eine medizinische Akademie gegründet, wird zur Universitätsklinik. An der anfangs rein geisteswissenschaftlich ausgerichteten Augsburger Uni sind nun auch Naturwissenschaften vertreten. Die drei Hochschulen Schwabens wurden ausgebaut, Fraunhofer-Forschungsinstitute angesiedelt.

    Probleme gibt es in Schwaben trotzdem

    Im Südwesten Bayerns ist ein Netz von anwendungsorientierten Technologiezentren und „Innovationparks“ entstanden, die sich um die speziellen Kompetenzfelder der florierenden Wirtschaftsregion kümmern. Der Ausbau der Autobahnen A8 und A96 sowie der B17 hat den von einem starken Mittelstand getragenen Wirtschaftsstandort gestärkt. Aus dem „Jammertal Schwaben“ (Ex-Finanzminister Faltlhauser, ein Altbayer) ist eine boomende bayerische Region geworden, die laut der Prognos AG zu einem „deutschen Spitzenstandort“ aufsteigt.

    Es gibt noch genug Probleme zu lösen: den Fachkräftemangel, die teils ungenügende Bahnanbindung, das Defizit an Jobs in Forschung und Entwicklung. Und ganz spannungsfrei ist die Beziehung zwischen den Schwaben, die vom Zuzug aus dem Großraum München profitieren, und den Altbayern auch heute nicht.

    Aber die Schwaben haben es geschafft, sich in Bayern zu behaupten. Ganz erstaunlich findet Horst Seehofer „die Kraft, die aus dieser Region erwächst und dank eines fundamentalen Mentalitätswechsels freigesetzt wurde“. Macht weiter so, lautet die Botschaft Seehofers. Die Schwaben werden es als Ermunterung empfinden, auch unter dem neuen fränkischen Ministerpräsidenten Markus Söder ihre Flagge selbstbewusst zu hissen.

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