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100 Jahre Freistaat: Die vielen Gesichter des Katholizismus

100 Jahre Freistaat

Die vielen Gesichter des Katholizismus

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    Der Katholizismus hat Bayern geprägt, was sichtbar wird an der Mariensäule (linkes Bild) oder am Kötztinger Pfingstritt (drittes Bild von links). Prägend auch Papst Benedikt XVI. Beschädigt wurde der Ruf der Kirche als moralische Instanz durch Skandale wie bei den Domspatzen (im Bild der Regensburger Dom).
    Der Katholizismus hat Bayern geprägt, was sichtbar wird an der Mariensäule (linkes Bild) oder am Kötztinger Pfingstritt (drittes Bild von links). Prägend auch Papst Benedikt XVI. Beschädigt wurde der Ruf der Kirche als moralische Instanz durch Skandale wie bei den Domspatzen (im Bild der Regensburger Dom).

    Der Katholizismus im Freistaat in 155 Zeitungszeilen? Geht das? Vielleicht! Denn vielleicht sagen die beiden folgenden Episoden mehr darüber aus als manche wissenschaftliche Abhandlung.

    Episode eins: „,Petrus‘, sagte der liebe Gott, ,mit dem können wir da heroben nichts anfangen, für den habe ich eine andere Aufgabe. Er muß meine göttlichen Ratschlüsse der bayrischen Regierung überbringen; da kommt er jede Woche ein paarmal nach München‘“, schrieb Ludwig Thoma in seiner bereits 1911 veröffentlichten Satire „Der Münchner im Himmel“. Alois Hingerl, dieser Grantler vor dem Herrn, war des sehr froh und suchte das Hofbräuhaus auf. Die Regierung warte „heute noch vergeblich auf die göttliche Eingebung“.

    Episode zwei: In München steht nicht nur ein Hofbräuhaus. Im Zentrum der Landeshauptstadt steht auf dem Marienplatz die Mariensäule aus dem 17. Jahrhundert. Die Gottesmutter ist die „Patrona Bavariae“, die Schutzheilige Bayerns. Der Vatikan erklärte sie erst am 26. April 1916 dazu. Jedenfalls: Als die Marien-Statue nach dem Zweiten Weltkrieg, den sie in der Frauenkirche überstand, 1945 wieder auf ihre Säule gestellt und neu geweiht wurde, betete der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber in den Trümmern: „...lass die Baumeister der neuen Ordnung erkennen, dass nur Christus Jesus der Grundstein für diesen Neuaufbau sein kann und dass all unser soziales Arbeiten für die Volksgemeinschaft von christlichen Gesetzen und Grundsätzen getragen sein muß.“

    Auf der einen Seite ist da also eine verbreitete Volksfrömmigkeit, gerade in ländlicheren Regionen. Ein tief verwurzelter, gelebter Glaube – das Werte-Fundament des Freistaats. Der Glaube wird sichtbar durch die Mariensäule, Kreuze, Wallfahrten, Prozessionen. Auf der anderen Seite ist da diese Haltung gegenüber „der Obrigkeit“, die katholische Kirche eingeschlossen, wie sie in Gestalt des Alois Hingerl aufscheint. Eine Haltung der Unabhängigkeit, die sich in humorvoller, auch beißender Kritik ausdrückt.

    100 Jahre Freistaat, 100 Jahre Katholizismus – für Manfred Heim, Professor für Bayerische Kirchengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, ist das trotz aller berechtigten Kritik an der katholischen Kirche eine „Erfolgsgeschichte“. Und zwar weil der Katholizismus eine identitätsstiftende, verbindende, eben prägende Wirkung in und für den Freistaat habe. „Die katholische Religion spielt im Leben der Menschen im Freistaat nach wie vor eine große Rolle – selbst wenn sie kirchenfern sind“, sagt Heim. Er verweist auf katholische Feiertage, katholische Vereine und Verbände oder die Caritas-Einrichtungen. Zudem gab und gibt es Wechselwirkungen zwischen Kirche, Kultur und Politik, so Heim, die Jahrhunderte zurückreichen.

    Man kann die letzten 100 Jahre Katholizismus im Freistaat als Erfolgsgeschichte erzählen. Insbesondere wenn man auf das, etwa karitative, Engagement ungezählter Katholiken in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft blickt. Noch immer ist gut die Hälfte der Bayern römisch-katholisch, mehr als 6,5 Millionen Menschen.

    Prägend: Kirchenmänner wie Michael Kardinal von Faulhaber, der 1917 Erzbischof von München und Freising wurde und dies bis zu seinem Tod im Jahr 1952 blieb. Faulhaber, sagt Professor Manfred Heim, sei „Galionsfigur eines Wiederaufbaus in jeder Hinsicht“ gewesen. Herausragend: die katholischen Widerstandskämpfer im Dritten Reich; höchst ambivalent das Verhalten der Institution katholische Kirche und ihrer Vertreter zum NS-Staat – zwischen Hitler-Begeisterung, Kooperation und Protest.

    1951 weihte Faulhaber schließlich einen gewissen Joseph Ratzinger zum Priester. Jenen Mann aus Marktl, dessen Weg vom Theologieprofessor in die höchsten Ämter führen sollte, die es in der katholischen Kirche überhaupt gibt. 2005 wurde Ratzinger zu Papst Benedikt XVI., zum „bayerischen Papst“. Das war ebenso sensationell wie sein Rücktritt im Februar 2013.

    Die letzten 100 Jahre Katholizismus im Freistaat lassen sich jedoch auch als eine Geschichte der Skandale erzählen. Diese verdüstern zunehmend das Bild der katholischen Kirche als moralische Instanz. Die „Domspatzen“ oder „Ettal“ stehen nicht länger nur für den weltberühmten Regensburger Knabenchor und die oberbayerische Benediktinerabtei, sondern auch für körperliche und sexuelle Gewalt.

    Innerhalb der katholischen Kirche wurden über Jahrzehnte hinweg Kinder misshandelt und missbraucht. Es wurde vertuscht. Dass der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa Papst Benedikt XVI. am 21. April 2010 wegen Prügel- und Veruntreuungsvorwürfen seinen Rücktritt anbieten musste, war dann in der jüngeren Geschichte des deutschen Katholizismus ein einmaliger Vorgang. Der vorerst letzte Skandal, ein Finanzskandal, spielt im Bistum Eichstätt. Weiterer Verlauf ungewiss. Wie die Zukunft des Katholizismus im Freistaat.

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