Es ist eine dunkle Nebelnacht, typisch für den Herbst in Augsburg. Man sieht kaum die Hand vor Augen, in diesen ersten Stunden des 28. Oktober 2011. Und es bleibt ein dunkler Tag. Auch, als sich der Nebel langsam lichtet. Gegen 2.50 Uhr entdeckt eine Polizeistreife auf einem Parkplatz beim Kuhsee zwei Männer mit einer schwarzen Tasche. Der Beamte Mathias Vieth und seine Kollegin wollen die beiden kontrollieren. Doch die springen auf ein Motorrad, geben Gas, flüchten. Es kommt zu einer wilden Verfolgung über das Lechwehr „Hochablass“. Es ist der Beginn eines Mordfalls, der die Menschen bis heute bewegt. Auch die Ermittler, die damals den Fall aufklären mussten.
Die Verfolgung endet einige hundert Meter vom Lech entfernt, im Siebentischwald. Dort liegt das Motorrad plötzlich auf dem Weg. Die Polizisten vermuten einen Unfall, steigen aus. Da wird aus der Dunkelheit heraus das Feuer auf sie eröffnet. Die 30 Jahre alte Beamtin wird verletzt, der Familienvater Mathias Vieth, 41, stirbt im Kugelhagel.
Polizisten aus ganz Bayern suchen in Augsburg nach flüchtigem Polizistenmörder
Was in den Stunden danach geschieht, ist in Augsburg ohne Beispiel. 800 bis 1000 Polizisten werden aus ganz Bayern zusammengezogen, um die flüchtigen Polizistenmörder zu finden. Schwer bewaffnete Beamte durchkämmen den Wald. Doch die unbekannten Todesschützen bleiben verschwunden. Das Entsetzen und die Sorgen in der Bevölkerung sind groß. Der Druck auf die Ermittler auch. Eine 60-köpfige Sonderkommission arbeitet fieberhaft.
Klaus Bayerl ist damals Chef der Augsburger Kriminalpolizei, er leitet die Soko. Er erzählt jetzt erstmals, wie stark die Anspannung war. „Den Druck muss ihnen in dieser Situation niemand machen“, sagt er. „Den machen sie sich selbst.“ Die Fahnder machen Überstunden, sie schlafen wenig, der Fall ist immer in ihren Köpfen. Vielleicht drei Stunden in der Nacht habe er in dieser Zeit geschlafen, erzählt Bayerl. Es gibt kein Wochenende, keine Feiertage. Die Ermittler gehen hunderten Hinweisen und Spuren nach – zuerst vergeblich. Gezweifelt habe er nie, dass der Fall geklärt wird, sagt Bayerl, nachdenklich sei er zwischenzeitlich aber geworden.
Dabei gibt es die eine Spur, die zu den Mördern führen wird, zu diesem Zeitpunkt längst. Noch in der Mordnacht, nur rund eine Viertelstunde nach der Tat, haben Streifenpolizisten die entscheidende Entdeckung gemacht. Aber sie wird nicht sofort verfolgt – und landet als Notiz in einem Spind. Es geht um ein Auto, einen silberfarbenen Mitsubishi Colt. 200 Meter entfernt von dem Ort, an dem die Verfolgungsjagd begann, steht das Fahrzeug. Eine Streife der Schutzpolizei schaut sich den Wagen genauer an. Motorhaube und Getriebe sind warm. Sie leuchten mit Taschenlampen ins Innere. Die Vordersitze sind mit durchsichtiger Plastikfolie überzogen. Die Polizisten machen über die Einsatzzentrale eine Halterabfrage.
Mord in Augsburg: Verdächtiges Auto gehört einem unbescholtenen Münchner
Doch der Halter des Fahrzeugs ist ein unbescholtener Münchner. Die Polizisten empfehlen, das Auto im Blick zu behalten. Und einer macht sich eine Notiz. „Ich habe die Daten auf die Rückseite des Blocks geschrieben und ihn in meinem Stahlschrank verwahrt, weil ich mir gedacht habe, dass irgendwann noch jemand auf uns zukommt“, sagt der Beamte später.
Am Tag des Mordes geht der Hinweis zunächst unter. Das Fahrzeug verschwindet. Vermutlich ist es einer der Täter, der es unbehelligt wegfahren kann. Doch die Spur geht nicht verloren. Einen Monat später stoßen die Ermittler wieder auf sie. Erst jetzt erfahren die Ermittler der Soko auch das entscheidende Detail, berichtet der damalige Soko-Chef Klaus Bayerl – dass der Motor noch warm war. Der Halter des Autos wird befragt. Er berichtet, dass ein Verwandter den Wagen geliehen habe. Dann schrillen die Alarmglocken. Der Verwandte ist Rudolf Rebarczyk. Und Rebarczyk ist bekannt. Er hat 1975 in Augsburg schon ein Mal einen Polizisten erschossen – als er einen Überfall auf die Tankstelle an der A8 begehen wollte. Am Ende ist es eine Mischung aus Glück und akribischer Arbeit, die den Durchbruch bringt.
Nach Polizistenmord: Soko überwacht den vorbestraften Rudolf Rebarczyk
Die Soko beginnt, Rebarczyk zu überwachen. Er wird observiert, das Telefon angezapft. Man habe alles gemacht, „was rechtlich möglich war“, sagt Klaus Bayerl. Auch Rebarczyks Bruder, Raimund Mayr, gerät so in Verdacht. Er hat, zumindest nach außen, lange ein bürgerliches Leben gelebt – und kommt offenbar erst auf die schiefe Bahn, als sein Bruder fast 20 Jahre nach dem ersten Polizistenmord aus dem Gefängnis entlassen wird. Die Ermittler wissen jetzt, dass sie es mit Berufskriminellen zu tun haben. Sie wissen, dass sie Beweise finden müssen, weil sie von „Profis“ keine Geständnisse erwarten können.
Zwei Monate nach dem Mord, Ende Dezember 2011, schlägt die Polizei zu. Spezialkräfte verhaften die Brüder. Rebarczyk wird gestoppt, als er mit dem Auto unterwegs ist. Die Männer ahnen offenbar nicht, dass ihnen die Ermittler auf den Fersen sind. Rebarczyk sei, sagt Klaus Bayerl, „sichtlich überrascht“ gewesen. Die Polizisten finden Verstecke, in denen die Täter unter anderem die Tatwaffen gebunkert haben. Einiges liegt im Keller des Hauses, in dem Raimund Mayrs Tochter lebt. Die Beamten finden in einem Versteck auch eine Tasche, an der Blut des getöteten Polizisten haftet.
Brüder werden wegen des Mordes am Augsburger Polizisten Mathias Vieth verurteilt
Die Indizienkette reicht, um die Brüder wegen Mordes zu verurteilen, bei beiden wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Gegen Rebarczyk wird zudem Sicherungsverwahrung verhängt, er wird wohl nie wieder freikommen. Bei Raimund Mayr wird es davon abhängen, wie sich seine Gesundheit entwickelt, er ist an Parkinson erkrankt.
Am Tatort im Siebentischwald steht heute ein Gedenkstein. An diesem Donnerstag wird dort des getöteten Beamten gedacht. Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) wird einen Kranz niederlegen. Ist Klaus Bayerl stolz, dass seine Soko den Fall gelöst hat? Stolz, sagt er, sei das falsche Wort. Es sei vor allem ein Drama, das Familie und Kollegen von Mathias Vieth bis heute belaste. Und: „Es war wichtig, diese Leute aus dem Verkehr zu ziehen.“