Weit kommen sie nicht, die Maskenverweigerer am Münchner Hauptbahnhof. Dutzende Polizisten warten in der Bahnhofshalle und nehmen genau in den Blick, wer da von außerhalb ankommt. Es ist Samstagmittag und die Beamten sind außergewöhnlich achtsam, denn es ist ein außergewöhnlicher Tag. Die Querdenken-Bewegung ist in München angekommen. Die Bilder aus Berlin, wo marodierende Rechte den Bundestag zu stürmen versuchten, soll es in München nicht geben. Die Zeichen, die die Polizei von Anfang an setzt, sind unmissverständlich.
Um die Corona-Demonstration in München wurde sich im Voraus schon juristisch gestritten
Wann, wo und wie quergedacht werden soll, ist lange unklar. Erst in den frühen Morgenstunden – nach langem Hin und Her von Anordnungen, Gerichtsbeschlüssen und Eilanträgen – ist klar: Der Demonstrationszug Richtung Theresienwiese beginnt um 13 Uhr am Odeonsplatz. Mehr als 500 Menschen dürfen den Auflagen zufolge nicht teilnehmen, doch es sind deutlich mehr, die sich versammeln und dann losziehen.
Der Zug biegt nach links in den Oskar-Miller-Ring ab. An seiner Spitze fährt ein Transporter, auf dem drei Frauen mit Holzstöcken trommeln und verschiedene Redner die Stimmung anheizen. Immer wieder betonen die Veranstalter – allen voran der Rechtsanwalt Markus Haintz –, die Demo-Teilnehmer kämen aus der Mitte der Gesellschaft. Und tatsächlich demonstrieren dort auch Menschen – vor allem Eltern und Lehrer –, die keine Weltverschwörung wittern, sondern schlicht Sorgen artikulieren. „Ich muss mit Maske unterrichten, so geht es doch nicht weiter“, sagt eine Frau mit Regenbogen-Schirm in der Hand und Tränen in den Augen.
Wirklich mehrheitsfähig sind die meisten der diffusen Themen dennoch nicht. Es geht gegen die Corona-Maßnahmen, aber auch angeblich geplante Zwangsimpfungen, den Einfluss Chinas und der USA, Bill Gates, das 5G-Netz. Für viele scheint die Demonstration eine Möglichkeit zur Selbstvergewisserung zu sein, und gleichzeitig die Bestärkung, dass man nicht allein ist im Spiel „Wir gegen das System“. „Ständig werden wir belogen – von der Politik, von den Medien, von allen. Wir müssen uns wehren“, sagt eine Demonstrantin aus der Nähe von Mannheim.
Corona-Demo in München: Zahl deutlich überschritten, Polizei stoppt den Zug
Auf der Gabelsbergerstraße stoppt die Polizei den Protestzug. Zu viele Teilnehmer, heißt es, 3000 statt 500. Und: Rund zwei Drittel würden keine Masken tragen. Kurzzeitig droht die Stimmung zu kippen, doch zu Gewaltausbrüchen wie in Berlin kommt es nicht. Die Veranstalter lösen den Demonstrationszug um kurz nach 14 Uhr auf. Alle sollen rechtzeitig zur Kundgebung auf der Theresienwiese kommen.
Auf dem Goetheplatz, nur rund zehn Gehminuten von der Theresienwiese entfernt, hat sich die Gegendemonstration formiert, ein Bündnis aus knapp 50 meist linken Organisationen, darunter auch die Antifa. Im Schatten der Bäume tragen fast alle der rund 900 Demonstranten eine Maske. Obwohl der Platz voll ist, werden Abstände meist eingehalten. Die Stimmung ist friedlich. „Ich bin hier, weil ich gegen Nazis bin, die hier heute demonstrieren“, sagt Anouk, 17 Jahre alt, Schülerin.
Auf der Theresienwiese versammeln sich – stehend, auf Picknickdecken oder im Klappstuhl – rund 10.000 Menschen. Darunter sind auch extrem Rechte. Sie tragen T-Shirts mit der Reichsflagge oder dem Schriftzug der QAnon-Bewegung. Es sind aber – zumindest äußerlich – nur wenige Einzelne. Auf dem weitläufigen Areal sind mehr Lederhosen als Deutschlandfahnen zu sehen, auch eine Israel-Fahne wird hochgehalten.
Querdenken-Gründer Michael Ballweg tritt ans Mikrofon, so recht will der Funke aber nicht überspringen – auch, weil die Veranstaltung mehrfach von der Polizei unterbrochen wird. Die Besucher halten sich nicht an Abstände und Maskenpflicht, immer wieder werden Demonstranten unter Buhrufen von Polizisten weggetragen.
Corona-Demo in München: Redner verbreiten umstrittene Thesen
Dass die Teilnehmer auseinandergehen sollen, passt aber ins Kalkül, große Bilder zu kreieren. Immer wieder werden die Teilnehmer aufgefordert, ihre Hände zu heben und damit Herzen zu formen. Friede, Freiheit, Heiterkeit soll die Botschaft sein. Das hindert viele Redner – darunter Ärzte, Ex-Polizisten, ein junges Mädchen und der ehemalige ARD-Moderator Jürgen Fliege – aber nicht daran, zumindest umstrittene Thesen zu verbreiten. Arzt Heiko Schöning behauptet, die Corona-Krise sei ein Organisiertes Verbrechen der weltweiten Eliten.
Die Veranstaltung geht um 19.30 Uhr friedlich zu Ende. Die Bilanz der Polizei, die mit 1500 Beamten im Einsatz war: 120 Anzeigen, die meisten wegen Missachtung der Maskenpflicht, und zwei Festnahmen.
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