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Bayern: Scharia-Gerichte: Im Schatten der Justiz

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Scharia-Gerichte: Im Schatten der Justiz

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    Die Spitze des Minaretts einer Moschee, vor dem am Himmel stehenden Halbmond: Ministerin Beate Merk will keine Scharia-Gerichte in Bayern.
    Die Spitze des Minaretts einer Moschee, vor dem am Himmel stehenden Halbmond: Ministerin Beate Merk will keine Scharia-Gerichte in Bayern. Foto: dpa (Archiv)

    Imam Sidigullah Fadai aus Afghanistan lebt seit 31 Jahren in Deutschland. In München kümmert er sich um die staatsbürgerliche Weiterbildung von Imamen. Fadai sagt, der Islam gebiete es, sich an das Rechtssystem des Landes zu halten, in dem man lebt.

    Aber er weiß, dass nicht alle so denken. Er weiß, was in den Moscheen geschieht, er kennt Männer, die sich zu „Friedensrichtern“ ernannt haben und die sich über deutsche Gerichte stellen. Vor allem, wenn es um Ehe- und Familienprobleme oder um häusliche Gewalt geht, gilt deren Wort. Fadai kennt geschiedene junge muslimische Frauen, die gerne wieder heiraten würden, es aber nicht dürfen. Auch in finanziellen Angelegenheiten haben „Friedensrichter“ und Imame in diesen Kreisen oft das Sagen. Etwa, wenn ein Schwarzarbeiter Lohn von seinem Auftraggeber einklagen will. Fadai sagt: „Insider wissen, dass es in jedem Lebensbereich eine Paralleljustiz gibt.“

    Schattenjustiz

    Diesen Zustand will Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) aber nicht dulden. „Eine Schattenjustiz, die nicht in Einklang mit dem deutschen Recht steht und im Verborgenen stattfindet, können wir hier auf gar keinen Fall dulden“, sagt sie. Merk hat zum Kampf gegen Scharia-Gerichte aufgerufen. Sie hat sich bei Staatsanwaltschaften, Anwälten, Insidern und Integrationsbeauftragten informiert und was sie erfahren hat, ist alarmierend: Selbst ernannte „Friedensrichter“ und Imame, die vorbei an geltenden Gesetzen und bayerischen Gerichten Recht sprechen, sind keine Seltenheit.

    Salafismus - Strömung des Islamismus

    Zur islamistischen Strömung gehört der Salafismus. Diese religiöse und politische Bewegung orientiert sich an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam. Das arabische Wort «Salaf» steht dabei für Ahnen und Vorfahren. Viele Salafisten tragen lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde.

    In Deutschland stehen Teile der Salafisten-Bewegung im Verdacht, ein Sammelbecken für gewaltbereiten Islamismus zu sein und Verbindungen zu Terrornetzwerken zu pflegen. Nach dem jüngsten Verfassungsschutzbericht üben viele salafistische Einrichtungen vor allem auf junge Muslime Anziehungskraft aus. Das Gedankengut könne eine Radikalisierung fördern.

    Dem Ministerium wurde von Fällen berichtet, in denen „Friedensrichter“ die Konfliktparteien beeinflussten und so die Strafverfolgung behinderten. Opfer und Täter, die bei der Polizei umfassend ausgesagt hatten, schwiegen plötzlich vor Gericht. Grund für das Schweigen ist oft eine „Friedensvereinbarung“, die den Täter durch Schweigen oder Falschaussagen entlasten soll. Für das Opfer wurde im Gegenzug ein Schmerzensgeld ausgehandelt. Der Imam profitiert von solchen Verhandlungen: Er kann mit einer nennenswerten Spende rechnen.

    Keine gesicherten Zahlen

    Oft sind es Familienangelegenheiten, die so gelöst werden. Vor allem für Frauen besteht aber die große Gefahr, dass sie nicht zu ihrem Recht kommen. Denn die „Friedensrichter“ sind immer Männer und urteilen häufig nach traditionellem islamischem Recht und nach patriarchalischen Vorstellungen. Doch das Justizministerium hat so auch erfahren, dass es schwierig ist, solche Fälle aufzudecken. Es liegen keine gesicherten Zahlen vor, wie oft Imame oder „Friedensrichter“ in Bayern tätig werden.

    Das meiste passiert heimlich. Es ist noch kein einziger Fall aktenkundig geworden, in dem ein Urteil im Schatten der offiziellen Justiz gefällt wurde, bestätigt der Münchner Generalstaatsanwalt Christoph Strötz. Es gab noch kein einziges förmliches Ermittlungs- oder Strafverfahren. Um das Problem zu lösen, seien keine Gesetzesänderungen notwendig, sagt Beate Merk. Es genüge, die existierenden Regelungen konsequent anzuwenden.

    Arbeitsgruppe für Aufklärungskampagne gegründet

    Merk will mit einer Aufklärungskampagne den Kampf gegen die Schattenrichter aufnehmen. Es geht ihr vor allem darum, Vertrauen in die Rechtsordnung aufzubauen. Bereits Ende 2011 wurde eine Arbeitsgruppe einberufen, in der Richter, Staatsanwälte, Anwälte, Polizisten, Mitarbeiter verschiedener Ministerien, der Islamwissenschaftler Mathias Rohe und der Integrationsbeauftragte der Staatsregierung, Martin Neumeyer, sitzen. Ein Teil der Gruppe beschäftigt sich mit vertrauensbildenden Maßnahmen. Der andere Teil kümmert sich darum, Richter und Staatsanwälte für das Thema zu sensibilisieren.

    Aber ist es denn so schlimm, wenn Menschen ihren Streit außergerichtlich von einer Vertrauensperson schlichten lassen? Schließlich ist immer die Rede von überlasteten Gerichten. Natürlich sei so etwas rechtsstaatlich nicht unerwünscht, so Beate Merk. Problematisch werde es, wenn „Friedensrichter“ anfangen, Zwang auszuüben und ihre Macht zu missbrauchen. Und „Friedensrichter“, die Strafen verhängen, überschritten klar eine Grenze.

    So sollen nun Imame weitergebildet werden. In den Kommunen, in denen mit Unterstützung der Deutschen Islamkonferenz Imame unterrichtet werden, soll es zusätzlich Einheiten geben zum Thema Streitbeilegung und deutsches Recht. Der Verein für Imam-Weiterbildung „München Kompetenz“ hilft dabei. Der Verein wird geleitet von Sidigullah Fadai. Deutsche Imame, denen vorsorglich das Verbot einer „Schattenjustiz“ eingeimpft wird – das wäre ein echtes Novum.

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