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Immobilien: 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen? Industrie hat erhebliche Zweifel

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400.000 Wohnungen pro Jahr bauen? Industrie hat erhebliche Zweifel

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    In guten Zeiten sind viele neue Wohngebäude entstanden. Jetzt aber holen steigende Zinsen und hohe Baukosten die Bauunternehmen ein
    In guten Zeiten sind viele neue Wohngebäude entstanden. Jetzt aber holen steigende Zinsen und hohe Baukosten die Bauunternehmen ein Foto: Ulrich Wagner

    Jahrelang ist es am Immobilienmarkt bergauf gegangen. Ob Eigenheim oder Wohnungen, alles war heiß begehrt, die Preise stiegen und stiegen. Ein Bauboom hatte das Land erfasst. Doch binnen eines halben Jahres hat sich der Markt abrupt gedreht. Zahlreiche Bauunternehmen legen ihre Projekt auf Eis.

    „Es steht alles“, sagt zum Beispiel Stephan Deurer, Inhaber der Eco Family Group in Augsburg, die Wohnquartiere entwickelt, aber auch Bürogebäude konzipiert. Jetzt wankt das wichtige Regierungsziel von Bundeskanzler Olaf Scholz, 400.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen. „Wir empfanden die Zahl schon immer als unrealistisch, aber jetzt sind die Rahmenbedingungen so bescheiden, dass es nicht den Hauch einer Chance gibt, das Ziel zu erreichen“, ist Deurer überzeugt.

    Die gestiegenen Baukosten legen Projekte lahm

    Insbesondere die Baukosten hätten den Markt „ultimativ gekillt“, beschreibt Deurer die Entwicklung der letzten Monate. Die Preise für Betonstahl hätten zum Beispiel eine Achterbahnfahrt hinter sich. Kostete Betonstahl zum Jahresanfang rund 800 Euro pro Tonne, ging es im Frühjahr auf 1300 Euro pro Tonne und mehr hinauf. Auch wenn die Stahlpreise zuletzt nachgaben, bleiben andere Produkte teuer. Die Kosten summieren sich und machen Projekte am Ende unrentabel, erklärt Deurer. Im Geschosswohnungsbau sei man unlängst noch von Baukosten in Höhe von rund 3000 Euro pro Quadratmeter ausgegangen. „Rechnet man die heutigen Preise hoch, liegen wir innerhalb weniger Monate bei 5500 Euro bis hinauf zu 8000 Euro pro Quadratmeter“, sagt er. „Setzt man die Kosten in Relation zu den Einkommen der Menschen und den Mieten, sieht man schnell, dass die Diskrepanz groß geworden ist – deshalb steht alles.“

    Der Unternehmer ist mit seiner Befürchtung nicht allein. Auch in der Wohnbaugruppe Augsburg hat man Zweifel, ob das Regierungsziel zu erreichen ist. Die Gesellschaft ist zu 100 Prozent in Besitz der Stadt Augsburg, zählt in ihrem Bestand rund 10.500 Wohnungen und baut derzeit rund 270 neue. Bereits in den vergangenen Jahren haben Herausforderungen das Bauen erschwert, sagt Geschäftsführer Mark Dominik Hoppe.

    Zahl der Baugenehmigungen geht zurück

    Hierzu zählen steigende technische Anforderungen, zum Beispiel für den Klimaschutz. In den letzten Monaten hat sich die Situation bei den Kosten aber zugespitzt, das liegt auch am Finanzmarkt: „Die Zinsen sind in kürzester Zeit in einer Art gestiegen, die keiner vorhersehen konnte“, sagt Hoppe. Dazu kommen die Materialkosten, die in die Höhe schnellen.

    Wärmepumpen sind knapp und teuer. Manche Produkte kamen in größerer Menge aus der Ukraine, dort sitzt ein großer Trockenwandhersteller. Auch hier sind die Preise hochgegangen. Das Problem: „Gleichzeitig sollen Unternehmen wie unseres stabile und günstige Mieten bereitstellen“, sagt Hoppe. Steigende Baukosten, stabile Mietpreise – diese Rechnung gehe schwer auf.

    Die Bauherren vermissen Verlässlichkeit

    Zu einem Teil scheint der Staat an der Krise im Wohnungsbau aber auch selbst Schuld zu haben: Denn ein Ausweg wären Förderungen, hier aber hat der Bund die Konditionen mehrmals geändert und Häuslebauer mit Entscheidungen über Nacht vor den Kopf gestoßen. Unternehmen und Bauherren vermissen Verlässlichkeit.

    Im Freistaat gebe es zwar relativ gute und konstante Zuschüsse für den geförderten Wohnungsbau, sagt Hoppe. Anders sieht es im Bund aus, der für die Unterstützung energieeffizienten Bauens zuständig ist. Im Januar beispielsweise hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Förderung für Gebäude nach dem KfW-Effizienzhaus-Standard 55 früher als erwartet eingestellt und den Gebäudetyp zum Standard erklärt. Darunter sind Häuser zu verstehen, die nur 55 Prozent der Energie eines Referenzhauses verbrauchen. Förderungen sind jetzt erst ab Effizienzhaus-Stufe 40 vorgesehen.

    Bauträger legen Vorhaben auf Eis

    „Jeder Investor braucht belastbare Zahlen, wir aber befinden uns im Blindflug und wissen heute nicht, wie die Förderung nächstes Jahr aussieht“, warnt Hoppe. Der Wegfall der Effizienzhaus-55-Förderung schmerze bis heute. „Die Bundesförderung war richtig gut, weil sie die Mehrkosten für energieeffizientes Bauen weggenommen hat. Der Wegfall ist angesichts höherer Baukosten eine Katastrophe“, sagt Hoppe. „Wir schwimmen in einer Gegenstromanlage, die immer schneller wird“, meint er. „Wer fängt an zu planen, wenn er nicht weiß, wie er nächstes Jahr gefördert wird?“, sagt Hoppe und ist sich sicher: „So bekommen wir die 400.000 Wohnungen pro Jahr nie hin.“

    Zahlreiche private Bauträger legen ihre Vorhaben deshalb auf Eis. Die Wohnbaugruppe habe sich trotz der Widrigkeiten entschlossen, ihr aktuelles Bauvorhaben mit 47 geförderten Wohnungen im Augsburger Prinz-Karl-Viertel durchzuführen, da die Baukosten kommendes Jahr kaum niedriger ausfallen werden.

    Gewerkschaft IG Bau ist alarmiert

    Alarmiert ist auch die Gewerkschaft IG Bau: Denn die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen ist im ersten Halbjahr auf 185.772 zurückgegangen: Das Statistische Bundesamt registrierte damit ein Minus von 2,1 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2021. Der Bedarf sei aber nach wie vor hoch, sagt IG-Bau-Chef Robert Feiger. Deutschland erlebe einen enormen Zuzug und eine nach wie vor große Wohnungsnot. Vor allem bei den Sozialwohnungen und bei bezahlbaren Wohnungen gebe es in weiten Teilen Deutschlands einen erheblichen Mangel.

    Der IG-Bau-Chef wirft der Bundesregierung in der Förderpolitik mangelnde Verlässlichkeit vor: „Erst das abrupte Ende von Fördergeld Anfang des Jahres und jetzt die abrupte Hinwendung von Neubau- hin zu Bestandsförderung sorgt erst einmal überhaupt nicht für Kontinuität“, sagte Feiger unserer Redaktion. Wie zudem die reduzierten Mittel für die Neubauförderung effizienter Gebäude „mit der Zielsetzung von jährlich 400.000 bezahlbaren Wohnungen zusammenpassen, bleibt das Geheimnis der

    Was ist mit den Sozialwohnungen?

    Ihm erscheine das Ziel von 400.000 Wohnungen im Jahr angesichts des Ukraine-Kriegs, der explodierenden Energiekosten und der steigenden Inflationsrate als sehr ambitioniert, sagt Feiger. „Dennoch sollten wir sie weiterhin anstreben“, betont er. Vor allem die anvisierten 100.000 Sozialwohnungen müssten Priorität haben. Die IG Bau setzt sich dafür ein, stärker Bestandsimmobilien umzubauen oder Häuser aufzustocken.

    Bauunternehmer Stephan Deurer sieht noch zwei Punkte, um mehr Dynamik in die Branche zu bekommen. Zum einen ein leichterer Zuzug ausländischer Fachkräfte. „Solange wir kein glasklares Einwanderungsrecht haben, kommen wir nicht vorwärts“, sagt er. Zudem wünscht er sich mehr Tempo bei Baugenehmigungen. Dafür aber bräuchten die Behörden mehr und besser bezahltes Personal, dazu Investitionen in die Technik und die Aus- und Weiterbildung.

    Bundesbauministerin Klara Geywitz hält weiter an der Zielmarke von 400.000 Wohnungen fest. Die SPD-Politikerin kündigte jüngst an, am 12. Oktober gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz (

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