Geht es um eine Erbschaft oder eine Schenkung, denkt man zuerst an die hohen Freibeträge. Bei Ehegatten sind zum Beispiel 500.000 Euro steuerfrei, bei Kindern 400.000 Euro, bei den Enkeln immer noch 200.000 Euro. Selbst eine Wohnung oder ein kleines Haus ließ sich da lange Zeit mit geringer Steuerlast übertragen. Doch das könnte sich bald ändern: Gesetzespläne der Bundesregierung könnten dazu führen, dass Immobilien bald deutlich höher bewertet werden. Damit würde auch die Erbschafts- oder Schenkungssteuer höher ausfallen. Die Änderung könnte ab dem 1. Januar 2023 in Kraft treten. Nach einer Beispielrechnung der Wirtschaftskanzlei Sonntag & Partner für unsere Redaktion können die Kosten dann um mehrere zehntausend Euro steigen. Die Anwältinnen und Anwälte raten aber auch dazu, einen kühlen Kopf zu bewahren.
Der Hintergrund ist rechtlich etwas verstrickt, trotzdem lohnt es sich, ihn zu kennen. Es handelt sich um das Jahressteuergesetz 2022, das die erste Lesung im Bundestag hinter sich hat. Geht alles den gewohnten Gang, soll das Gesetz bis Jahresende verabschiedet werden. Das Jahressteuergesetz enthält allerlei steuerrechtliche Regelungen, zum Beispiel Änderungen bei der Homeoffice-Pauschale oder die Einführung einer Ertragssteuerbefreiung für kleine Photovoltaikanlagen, erklärt Barbara Gayer, Rechtsanwältin und Steuerberaterin bei Sonntag & Partner. Ein Passus im Entwurf aber hätte große Auswirkungen, wenn es um Erbschaften und Schenkungen geht.
Immobilien können auf dem Papier plötzlich deutlich mehr wert sein
Werden Immobilien vererbt oder verschenkt, muss deren Wert berechnet werden, um die Steuer zu bestimmen. Dafür ist ein eigenes Bewertungsgesetz vorgesehen. Angesichts der Preissteigerungen waren zuletzt - salopp formuliert - die ermittelten Werte aber nicht immer up to date. "Die ermittelten Verkehrswerte hatten mit den tatsächlichen Marktpreisen häufig nicht viel gemein", sagt Gayer. "Diese Lücke will der Gesetzgeber schließen." Dies geschieht dadurch - und jetzt wird es kurz nochmals juristisch - dass das Bewertungsgesetz stärker auf Maßgaben der neuen Immobilienwertermittlungsverordnung zurückgreifen soll.
Immobilien können damit auf dem Papier plötzlich deutlich mehr als bisher wert sein. "In der Folge wird die Immobilienbewertung für Erbschafts- und Schenkungssteuerzwecke das aktuelle Preisniveau am Immobilienmarkt eher widerspiegeln und sich damit näher am Verkehrswert orientieren, als dies nach bisheriger Gesetzeslage oftmals der Fall war", sagt Gayer. Die Freibeträge sind damit im Einzelfall rasch überschritten, die Steuer kann höher ausfallen.
Beispielrechnung für ein Mehrfamilienhaus: 34.000 Euro Steuer mehr ab 1. Januar
Die Kanzlei Sonntag & Partner hat ein Beispiel durchgerechnet. Es handelt sich um ein Mehrfamilienhaus, das durch eine Schenkung an ein Kind übertragen wird, Fachleute sprechen von einem Mietwohngrundstück. Bisher wurde das Haus mit 760.000 Euro bewertet, mit dem neuen Verfahren würde man ab 1. Januar 2023 fast 990.000 Euro an Wert veranschlagen, das sind 30 Prozent mehr. Wurden früher rund 54.000 Euro Schenkungsteuer fällig, sind es nun über 88.000 - ein Plus von 34.000 Euro oder 63 Prozent.
Bei anderen Beispielen kam die Kanzlei auf ähnliche Werte: „So hat unsere beispielhafte Bewertung eines größeren Mietwohngrundstücks mit fast 90 Wohnungen im Ertragswertverfahren, für das der gesetzliche Liegenschaftszinssatz Anwendung findet, nach neuem Recht eine Wertsteigerung in Höhe von circa 55 Prozent ergeben. Zu einer Wertsteigerung von circa 43 Prozent hat unsere beispielhafte Vergleichsrechnung im Sachwertverfahren bei einem Einfamilienhaus geführt“, berichten die Fachleute. Solche Werterhöhungen können bei Ein- und Zweifamilienhäusern sowie Eigentumswohnungen insbesondere dann eintreten, wenn diese bisher nicht nach Vergleichswerten der Gutachterausschüsse, sondern im Sachwertverfahren bewertet wurden.
Längere Gesamtnutzungsdauer, höherer Liegenschaftszins
Der Grund sind mehrere Stellschrauben, an denen der Gesetzgeber dreht. Beispielsweise wird angenommen, dass die Gesamtnutzungsdauer für viele Gebäudearten statt 70 nun 80 Jahre beträgt. "Das erhöht natürlich den Wert", sagt Gayer. Ein weiteres Beispiel ist, dass die pauschal gesetzlich festgelegten Liegenschaftszinssätze reduziert werden, bei Mietwohngrundstücken beispielsweise von 5 Prozent auf 3,5 Prozent, bei Geschäftsgrundstücken von 6,5 Prozent auf 6 Prozent. "Vereinfacht gilt hier, dass der Immobilienwert höher ist, je niedriger der Liegenschaftszinssatz ist", erklärt sie. Dies führt also ebenfalls zu einer Wertsteigerung, zum Beispiel für vermietete Mehrfamilienhäuser. Es gibt aber auch eine Ausnahme: Haben die Gutachterausschüsse für die jeweilige Region eigene Liegenschaftszinssätze, kommen diese zum Tragen.
Noch befindet sich das Jahressteuergesetz 2022 im Gesetzgebungsverfahren. Dass es bei der Immobilienbewertung aber noch zu Änderungen kommt, halten die Beobachter für unwahrscheinlich.
Betroffene könnten deshalb überlegen, ob sie noch vor dem 31. Dezember 2022 ihre Immobilie übertragen, um die Steuerlast geringer zu halten. "Unter Hinzuziehung eines kundigen Steuerberaters könnte geprüft werden, ob die Übertragung einer Immobilie im Wege einer Schenkung noch dieses Jahr empfehlenswert ist", rät die Kanzlei.
Steuerberater Ulrich Derlien: Gut beraten lassen
Rechtsanwalt und Steuerberater Ulrich Derlien von Sonntag & Partner rät allerdings, diesen Schritt gut zu überlegen. "Wer die höhere Steuerlast vermeiden will, muss bis 31. Dezember 2022 beim Notar gewesen sein, das ist schon sportlich", sagt er. Dazu kommt, dass die Beratungssituation gerade flächendeckend angespannt ist. Steuerberater haben zudem gerade auch Themen wie die Jahresabschlusserstellung und die Grundsteuer auf dem Tisch.
Betroffene sollten zudem nicht in Panik verfallen und sich gut beraten lassen, rät Derlien. "Die Schenkung von Immobilien sollte nie steuerlich getrieben sein", sagt er. "Es muss immer zur persönlichen Situation passen." Der Erfahrung nach dauere es mehrere Monate, ein zufriedenstellendes Testament auszugestalten. "In eine Schenkung sollte man ähnlich viel Zeit investieren", sagt er.
Ehegatten können Immobilie unter bestimmten Bedingungen steuerfrei übertragen
Häufig lassen sich auch Wege finden, wie man eine Immobilie trotzdem mit einer erträglichen Belastung überträgt, sagt Derlien. Unter Ehegatten kann beispielsweise eine selbst genutzte Immobilie zu Lebzeiten völlig steuerfrei übertragen werden. Dies gilt auch im Erbfall mit der Einschränkung, dass der überlebende Ehegatte zehn Jahre darin wohnen bleiben muss. Auch für Kinder gibt es bei der Vererbung des Familienheims bis zu einer Wohnfläche von 200 qm diese Steuerbefreiung, wenn das Kind selbst in das Haus einzieht und es für zehn Jahre nutzt. "Dazu kommt, dass mancherorts die Grundstückswerte gerade sinken, so dass es in den nächsten Jahren auch gegenläufige Effekte geben kann", sagt Derlien.