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Oberlandesgericht: Blanker Hass auf Staat: Lange Haftstrafe für "Reichsbürger"

Oberlandesgericht

Blanker Hass auf Staat: Lange Haftstrafe für "Reichsbürger"

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    Der Angeklagte sitzt bei einem Prozesstermin mit Fußfesseln im Gerichtssaal.
    Der Angeklagte sitzt bei einem Prozesstermin mit Fußfesseln im Gerichtssaal. Foto: FRM, dpa (Archivbild)

    Es hätte noch viel schlimmer ausgehen können, was an einem frühen Aprilmorgen im vergangenen Jahr in Boxberg im Norden Baden-Württembergs passiert ist - daran lässt der Vorsitzende Richter keinen Zweifel: Ein heute 55-Jähriger feuert damals minutenlang auf Polizeibeamte, die ihm eine Waffe abnehmen wollen, für die er keine Erlaubnis mehr hat. Die Beamten kommen unter einen regelrechten Kugelhagel, einer wird von Kugeln in beide Oberschenkel getroffen und bricht zusammen.

    Dass es bei diesem einen Schwerverletzten blieb, grenze an ein Wunder, sagte der Richter am Mittwoch bei der Verkündung des Urteils gegen den 55-Jährigen. Es sei dem Glück oder dem Zufall zu verdanken, "dass angesichts eines Kugelhagels mit mehr als 40 Schüssen nicht eine oder mehrere Leichen geborgen werden mussten."

    Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte den Mann wegen versuchten Mordes zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten, auch die Verhängung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung behält sich das Gericht vor. Die Bundesanwaltschaft hatte im Vorfeld eine lebenslange Haftstrafe gefordert, die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Der Angeklagte selbst, der nach Ansicht des Gerichts der sogenannten "Reichsbürger"-Szene zugeordnet werden kann, nahm das Urteil ohne große Regung zur Kenntnis, schüttelte während der Begründung aber immer wieder den Kopf oder lachte verständnislos auf.

    In seiner mehr als zweistündigen Urteilsbegründung verlas der Vorsitzende Richter eine Art Minutenprotokoll der Tat, listete genau auf, wann wie viele Schüsse auf wen abgegeben wurden. Die Tat mache noch heute betroffen und lasse einen schaudern, "wenn man zur Kenntnis nehmen muss, wohin eine bis zum Äußersten fortgeschrittene staatsfeindliche Radikalisierung führen kann und geführt hat", sagte der Vorsitzende. Er sprach von blankem und grenzenlosen Hass auf alles, was mit dem Staat zu tun hat.

    Nach Ansicht des Gerichts feuerte der Angeklagte im April 2022 aus seiner Wohnung heraus, obwohl er genau erkannt habe, dass er es mit der Polizei zu tun habe. Die gesamte Zeit habe das Blaulicht der Einsatzfahrzeuge geleuchtet, das Martinshorn immer wieder getönt, zudem hätten sich die Beamten lautstark als Polizisten ausgegeben. Dass der 55-Jährige ohne Vorwarnung auf die Beamten des Spezialeinsatzkommandos feuerten, während ein Beamter gerade den Rollladen an der Terrassentür zersägte, wertete das Gericht als heimtückischen Angriff. "Er hat die Beamten in Sicherheit gewiegt", erklärte der Richter, indem er sich vor den Schüssen überhaupt nicht regte. Zudem seien die Schüsse auf die Beamten aus niederen Beweggründen erfolgt. "Diese wurzeln in der ideologischen Einstellung des Angeklagten", sagte der Richter.

    Er zeichnete das Bild eines Angeklagten, der immer tiefer in Verschwörungstheorien abrutschte und am Ende jeglichen Kontakt zur Außenwelt verlor. Die aus seiner Kindheit in der DDR herrührende kritische Haltung gegenüber dem Staat habe sich durch die Flüchtlingskrise und durch die Corona-Pandemie verstärkt. Zunehmend habe der Angeklagte in seinem Umfeld Verschwörungstheorien geäußert. "Er sprach von Echsenmenschen, Chemtrails oder einem Mobilfunknetz, das die Gedanken der Bevölkerung kontrolliere", sagte der Richter. Auch habe der Mann mit Elementen der "Reichbürger"-Ideologie sympathisiert.

    "Reichsbürger" und sogenannte Selbstverwalter erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Das Bundesamt für Verfassungsschutz rechnet der Szene rund 23 000 Anhängerinnen und Anhänger zu - Tendenz steigend.

    Als maßgeblichen Einschnitt in der Radikalisierung des 55-Jährigen bezeichnete der Richter dessen Umzug auf ein Gehöft in Boxberg im Main-Tauber-Kreis. Dort habe er mit einer Familie gelebt, die klar der Szene zuzuordnen sei. "Der Angeklagte verlor nach dem Umzug den Kontakt zur Außenwelt und damit auch jegliches Korrektiv Andersdenkender", sagte der Richter. Dort habe er auch seine vielen Waffen nicht mehr, wie zuvor, in einem verschraubten Verschlag aufbewahrt, sondern in einer Art Waffenkammer. "Jederzeit zugriffsbereit, in der Mehrzahl geladen, um sie jederzeit in Einsatz bringen zu können", sagte der Richter. "Der rasant fortschreitende Radikalisierungsprozess mündete letztlich in der Anwendung massivster Gewalt am Tattag", ist die Kammer des Gerichts überzeugt.

    Ob der Mann nach Verbüßung seiner Haftstrafe wieder auf freien Fuß kommt, ist fraglich. Das Gericht behält sich die Verhängung einer Sicherungsverwahrung vor. "Es spricht eine deutliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass es bei einer Konfrontation mit der Polizei erneut zu Straftaten kommt", sagte der Richter. Die Taten zeigten, dass er auch vor schwersten Delikten nicht zurückschrecke. Umstände, die mäßigend auf den Mann einwirken könnten, seien derzeit nicht ersichtlich. "Der Angeklagte lässt sich nicht durch Argumente und gutes Zureden von seinen Auffassungen und Überzeugungen abbringen." Ob sich das in Haft ändere, müsse die Zukunft zeigen.

    Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der Verteidiger des Angeklagten kündigte an, Revision einlegen zu wollen.

    (Von David Nau, dpa)

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