Das Steuer aus der Hand zu geben, ist für viele Autofahrer noch immer eine unheimliche Vorstellung. Das Vertrauen in die Technik ist nun einmal geringer ausgeprägt als das in die eigenen Fahrkünste. Dabei legen die meisten Untersuchungen nahe, dass autonomes Fahren nicht mehr, sondern weniger Unfälle produziert.
Doch grau ist alle Theorie, also auf in den Praxistest, der in einer Mercedes S-Klasse nicht nur auf dem derzeit höchsten Stand der Technik, sondern auch auf dem höchsten Komfort-Niveau stattfindet. (Und bei Preisen ab 85.800 Euro auch in dieser Hinsicht ganz weit oben). Viele der Kunden, gerade im Hauptmarkt China, haben die Frage nach dem selber steuern längst beantwortet. Wer etwas auf sich hält im Reich der Mitte, logiert im Fond und nimmt die Dienste eines Chauffeurs in Anspruch. Verdenken kann das den Asiaten niemand. Hinten sitzt es sich mindestens genauso großzügig und bequem wie vorne, allein die weichen Kopfkissen, auf denen die Häupter ruhen, lassen einen nur sehr ungern aufstehen.
Zurück zum Thema: Wer führt das Fahrzeug? Ein Druck auf einen der vielen kleinen Schalterchen am und um das Lenkrad genügt, und der Wagen fährt sich praktisch selbst. Er beschleunigt bis zum vorgegebenen Tempolimit und verzögert, wenn der Abstand zum Vordermann zu sehr schrumpft. Auch vor Kurven und Kreisverkehren geht der Mercedes - und das ist neu in der jüngsten Evolutionsstufe - sachte vom Gas, um danach wieder die vorherige Geschwindigkeit aufzunehmen. „Nur“ noch lenken muss der Mensch, und selbst das beschränkt sich auf die wirklich deutlichen Richtungsänderungen. Auf normalen Landstraßen und Autobahnen macht der Assistent den Job. Ach ja, Spurwechsel kann er auch, Tippblinken genügt.
Im Stop-and-Go-Verkehr übernimmt der Assistent komplett
Die Mercedes S-Klasse demonstriert eindrucksvoll, wie weit das Thema autonomes Fahren schon gereift ist - oder besser gesagt sein könnte, wenn der Gesetzgeber es zuließe. Der verlangt nämlich, dass der Mercedes-Besitzer nicht freihändig fährt, sondern schon nach ein paar Sekunden die Flossen wieder ans Lenkrad legt. Das ist vernünftig, aber lästig. Lediglich im Stop-and-Go-Verkehr übernimmt die Maschine komplett über einen längeren Zeitraum. Sogar eine Rettungsgasse bildet sie!
Während der Komfortgewinn also ein Stück weit unter den Fesseln des Rechts leidet, steht das Plus an Sicherheit außer Zweifel. Mit dem Mercedes kann es theoretisch fast nie mehr passieren, dass man von der Fahrbahn abkommt, am Zebrastreifen einen Fußgänger übersieht oder einem Vordermann auffährt. Zu wach sind die Assistenten, zu eindeutig die Warnungen, zu präzise die elektronischen Eingriffe. Und selbst wenn der Fahrer überhaupt nicht reagiert, hat der Wagen eine Lösung: Er schaltet die Warnblinkanlage ein und bremst kontrolliert bis zum Stillstand ab. Dies für den extremen Fall, dass der Mensch am Steuer zum Beispiel einen Herzinfarkt erlitten hat.
Vom Stress kann das kaum kommen, jedenfalls nicht in einer S-Klasse. Der Wagen trägt einen dank Luftfederung wie auf Samtpfoten selbst über die schlimmsten Fahrbahn-Unebenheiten. Das Geräusch- und Vibrationsniveau im luxuriösen Interieur ist so minimal, dass sich der Fahrer mitunter vergewissert, ob der Diesel noch läuft. Ja, ein Diesel! Drei Liter Hubraum, 340 PS und 700 Newtonmeter machen ihn zum Traumpartner für das Mercedes-Flaggschiff.
Vorbildlicher Realverbrauch im Testwagen
Der Motor verliert nie die Contenance, sondern steht in allen Lagen souverän und bärenstark zur Verfügung, wenn man ihn braucht. Dass ein Selbstzünder in diesem Segment nach wie vor unverzichtbar ist, zeigt ein Blick auf den tatsächlichen Verbrauch. Mit vorbildlichen 7,3 Litern (Normverbrauch: 5,6 Liter) war der mit Allrad gesegnete Benz zufrieden, was auch daran liegt, dass ihn der oben zitierte Autopilot seeeeeehr defensiv bewegt. Der Motor im Testwagen erfüllte die Euro 6c Norm. Die Zertifizierung nach Euro 6d Temp ist im Gange.
Die Ironie des Schicksals will es, dass die S-Klasse ausgerechnet mit den Themen am stärksten punktet, mit denen die Deutschen derzeit am meisten fremdeln: mit autonomem Fahren und mit Dieselmotor. Beide Vorbehalte sind zumindest in der Mercedes-Limousine unbegründet. Wie schwere- und sorglos man sich doch in einem mondänen Zweitonner fühlen kann! Tausende Kilometer könnten wir weiter schweben, müsste selbst der enthaltsamste Benz nicht gelegentlich an die Zapfsäule. Aussteigen, nur unter Protest. Das autonome Tanken ist leider noch nicht erfunden.