Seit VW im September 2015 zugegeben hat, Abgastests bei Diesel-Fahrzeugen manipuliert zu haben, steht die Technik im Verruf. Das hatte vergangene Woche zur Folge, dass Volvo-Chef Hakan Samuelsson ankündigte, nach der aktuellen Generation aus der Dieselentwicklung auszusteigen. Ganz anders sieht man das beim Stuttgarter Autobauer Daimler: Entwicklungsvorstand Ola Källenius glaubt trotz Diskussionen über Fahrverbote an eine Zukunft des Diesels. „Wir investieren weiter in unsere Verbrennungsmotoren, sowohl Otto als auch Diesel“, sagte er. „Aus heutiger Sicht gibt es keinen Grund zu sagen, es wird keine Nachfolgegeneration für diese Dieselfamilie geben.“
Neuer Diesel-Motor hält Abgas-Grenzwerte ein
Daimler hat gerade drei Milliarden Euro in die Entwicklung einer neuen Motorenfamilie gesteckt. Der erste Dieselmotor dieser Generation ist seit vergangenem Jahr in die E-Klasse eingebaut. Und selbst die ansonsten gegenüber den Stuttgartern sehr kritische Deutsche Umwelthilfe (DUH) sagt, dass der Motor Grenzwerte im realen Fahrbetrieb einhalte. Bislang werden die Abgaswerte von Autos für die Zulassung nur im Labor getestet. Laut Umweltbundesamt überschreiten heutige Diesel-Autos oft den EU-Grenzwert um ein Vielfaches, wenn sie auf der Straße unterwegs sind.
Volkswagen: Die Geschichte der Abgasaffäre
Volkswagen ist seit dem 18. September 2015 offiziell in einen Abgasskandal verstrickt. Der Skandal wird auch VW-Abgasaffäre oder Dieselgate genannt.
Was hinter der Affäre steckt? VW hatte illegal eine Abschalteinrichtung in die Motorsteuerung aller Diesel-Fahrzeuge eingebaut. Mit der Software wollte man den Abgasnormen in den USA entgehen.
Dieselgate wurde von der US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) mit aufgedeckt.
Die Software wurde nach Angaben von Volkswagen in etwa elf Millionen Fahrzeugen mit der Motorenreihe VW EA189 weltweit eingebaut, in den USA ist demnach auch die Nachfolgereihe VW EA288 betroffen. Anderen Berichten zufolge wurde die Software allerdings für vier verschiedene Motorentypen angepasst.
Der Skandal weitete sich auch auf Fahrzeuge von Porsche und Audi aus. Der Vorstandsvorsitzende der Volkwagen AG, Martin Winterkorn, zog die Konsequenzen aus dem Skandal und trat zurück. Sein Nachfolger wurde Matthias Müller, bislang Vorstandsvorsitzender der Porsche AG.
Auch an Dieselfahrzeugen anderer Hersteller aus Deutschland und von internationalen Herstellern wurde nach Bekanntwerden der Abgasaffäre nachgeforscht. Häufig wurden ebenfalls überhöhte Schadstoffwerte festgestellt. Dieselgate von Volkswagen war Auslöser einer internationalen Krise der gesamten Automobilindustrie.
Anfang 2016 soll die vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) angeordnete Rückrufaktion gestartet werden. In ganz Deutschland sollen bundesweit im Laufe des Jahres 2,4 Millionen Diesel-Autos in die Werkstatt. Der Start der Rückrufaktion verzögert sich.
Die Amerikaner verklagen Volkswagen. In den USA sollen mehr als 600.000 Fahrzeuge von der Abgasaffäre betroffen sein.
Außerdem bestätigt das Landgericht Braunschweig gegenüber dem NDR, dass 278 Aktionäre Volkswagen auf insgesamt 3,255 Milliarden Euro verklagent. Die Anleger fordern Schadenersatz als Ausgleich für die Kursverluste durch den Diesel-Skandal.
Für Volkswagen wird allein die Aufarbeitung des Skandals in den USA immens teuer. Die Entschädigungen und Strafzahlungen sollen sich auf 14,7 Milliarden Dollar (13,3 Milliarden Euro) voraussichtlich belaufen. (AZ)
Bayern hat als erstes Bundesland eine Klage gegen VW angekündigt. Voraussichtlich im September werde der bayerische Pensionsfonds Klage auf Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen von Volkswagen einreichen, sagte eine Sprecherin des bayerischen Finanzministeriums. Die Vorbereitung der Klage laufe bereits. Bayern will sich mit der Klage einen sogenannten Kursdifferenzschaden zurück holen.
Hoffnungen liegen nun auf neuen Testverfahren: Ab Herbst müssen die Werte von neuen Autos auf der Straße getestet werden. Die erste Stufe der EU-Norm für den realen Fahrbetrieb gilt ab September, die zweite greift drei Jahre später und reduziert die anfänglichen Lockerungen für den Stickoxidausstoß. „Selbstverständlich entwickeln wir die Motoren so weiter, dass sie die zweite Stufe einhalten können“, sagt Källenius. Damit werde es bei den Emissionen kaum noch Unterschiede zwischen Diesel und Benzinern geben, wirbt das Daimler-Vorstandsmitglied. „Und dann haben wir noch den Verbrauchsvorteil von 15 bis 20 Prozent beim Diesel.“
Wie viel Geld Daimler künftig noch in die Entwicklung von Dieselfahrzeugen stecken will, ließ Källenius offen. „In der Entwicklung wird der Verbrennungsmotor in Zukunft nicht unbedingt aufwendiger“, sagt er. „Aber die Kosten je Motor sind auf jeden Fall eine Herausforderung – ganz klar.“
Verschwinden die Diesel-Motoren aus dem Straßenverkehr?
Zuletzt hatten Dieselfahrzeuge in Deutschland bei der Zulassung Marktanteile verloren: In Deutschland ging der Wert im April gegenüber dem Vorjahresmonat um 5,7 Prozentpunkte auf 41,3 Prozent zurück. In absoluten Zahlen sackte die Zahl der neu zugelassenen Dieselfahrzeuge im bisherigen Jahresverlauf um 8,1 Prozent ab. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger dürfte der Diesel-Anteil bei Mittel- und Oberklasseautos in Europa bis 2030 auf ein Drittel, bei Kleinwagen sogar gegen Null fallen.
Bosch-Chef Volkmar Denner deutete an, dass sinkende Diesel-Marktanteile nicht ohne Folgen für den Zulieferer bleiben würden. „Die Beschäftigungslage bei uns ist abhängig von der Auftragslage unserer Kunden“, sagte er der Stuttgarter Zeitung. „Wenn die Dieselmarktanteile weiterhin fallen, werden wir reagieren müssen.“ Källenius sagte dagegen: „Bei Mercedes-Benz sind die Diesel-Verkäufe in Europa stabil.“
Horst Seehofer schlägt Kaufprämie für Diesel vor
Einen anderen Vorschlag, um den Diesel wieder populär zu machen, hat unterdessen die Bayerische Staatskanzlei. Dort wird über die Forderung einer Kaufprämie für moderne Dieselautos diskutiert – aber nur unter Vorbehalt. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) sagte, dass noch nichts entschieden sei.
Der Spiegel hatte zuvor berichtet, Seehofer wolle mit einer Kaufprämie den Absatz von Modellen fördern, die mit modernen Euro-6-Motoren ausgestattet sind. Laut einem Plan, der derzeit zwischen Staatskanzlei und Ministerien abgestimmt werde, solle es „starke Anreize zur Flottenerneuerung von Dieselfahrzeugen“ geben. Seehofer sagte dazu, seine Minister seien dabei, einen solchen Plan zu entwickeln. Dann sollten mögliche „Entscheidungsalternativen“ aufbereitet werden, bevor es ein Spitzengespräch bei ihm in der Staatskanzlei geben solle, auch mit Vertretern der Autoindustrie.
Die Grünen und die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierten Seehofers Idee. Cem Özdemir, Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen, sagte, was Seehofer mache, sei „verkehrspolitisches Harakiri“. Nötig sei ein „Bonus-Malus System für die Kfz-Steuer“: Dabei sollten klimaschädliche Autos eine höhere Kfz-Steuer zahlen, während emissionsfreie Fahrzeuge eine Steuergutschrift erhalten. Greenpeace-Verkehrsexperte Tobias Austrup warf Seehofer vor, ein „Subventionsprogramm für Dreckschleudern“ zu lancieren. Profiteure wären allein die Autokonzerne. „Wer die Gesundheit der Menschen ernst nimmt, muss die Autoindustrie zwingen, saubere Autos zu bauen, statt ihr Steuergeld für den Verkauf schmutziger zuzustecken.“ dpa