Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Wirtschaft: Wenn der Arbeitsplatz plötzlich weg ist

Wirtschaft

Wenn der Arbeitsplatz plötzlich weg ist

    • |
    Der Augsburger Standort des Computerherstellers Fujitsu wird bis zum Jahr 2020 aufgelöst.
    Der Augsburger Standort des Computerherstellers Fujitsu wird bis zum Jahr 2020 aufgelöst. Foto: Silvio Wyszengrad

    Internationale Konzerne machen Standorte in Augsburg dicht. Nicht nur das

    Wir haben Betroffene gefragt, wie sich ihr Leben durch solche Nachrichten veränderte. Einer von ihnen ist Elektronikingenieur Wenzhong Zhang. Er arbeitet bei Ledvance, sein Vertrag läuft noch bis zum Jahresende. Dann muss sich der 58-Jährige noch einmal einen neuen Job suchen – und das nicht zum ersten Mal, seit er in Deutschland arbeitet.

    Zhang kommt aus China, lebt seit etwa 30 Jahren in Deutschland und und zog im Jahr 2000 mit seiner Familie nach Augsburg, wo er sich sehr wohl fühlt. Hier bekam er zunächst einen Job in einem mittelständischen Betrieb in Aichach. Als die Firma Insolvenz anmeldete, wechselte der promovierte Ingenieur 2002 zum Lampenhersteller Osram in Augsburg. Dort war er im Bereich Qualitätssicherung und Prozessoptimierung tätig – auch später, als

    Zhang sagt, er könne die Entscheidung des Konzerns zur Werkschließung in Augsburg nachvollziehen. „Der Markt verändert sich ständig, man muss sich als Unternehmen wappnen, sonst ist man verloren.“ Für ihn als Arbeitnehmer sei es aber doch ein schwerer persönlicher Schlag. „Ich habe viele Jahre studiert, meine Arbeit macht mir Freude und ich will nicht zum Frührentner werden.“

    Das Alter macht die Suche nach einem neuen Job schwierig

    Der Chinese spricht sehr gut Deutsch. Als Ingenieur gehört er zu einer Berufsgruppe, für die der Arbeitsmarkt aktuell gut ist. Ein Problem sei aber, dass er in seinem Arbeitsfeld stark spezialisiert ist. „Auch mein Alter ist möglicherweise schwierig“, sagt Zhang. Er habe sich bei mehreren Firmen beworben, erzählt er, eine Zusage habe er noch nicht erhalten. Zhang glaubt, dass er etwas zu früh dran war, kein Unternehmen wolle mehrere Monate auf einen neuen Mitarbeiter warten. Dennoch sei er zuversichtlich, einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Aber ob er mit seiner Familie in Augsburg bleiben kann? Da ist er sich nicht so sicher.

    Die unsichere Zukunft macht derzeit auch einem jüngeren Ingenieur bei Fujitsu zu schaffen. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Aber was für ihn der Verlust seines Arbeitsplatzes bedeutet, daraus macht er kein Geheimnis. Über Jahre hinweg habe er sich im Unternehmen hochgearbeitet und sich nebenbei privat beruflich weitergebildet, erzählt er: „Arbeit ist ein sehr großer Teil meines Lebens.“

    Weil er noch jung und gut ausgebildet ist, rechnet sich der Augsburger gute Chancen auf einen neuen Job aus. Allerdings würde er gerne wieder in einen großen Industriebetrieb gehen. „Doch da sieht es in Augsburg nicht mehr so gut aus“, sagt er. Sein Endruck sei, dass sich Augsburg zwar insgesamt gut entwickelt, aber dass sich große Unternehmen hier trotzdem schwer tun. Die Konkurrenz der vielen Arbeitssuchenden werde bei den noch vorhandenen großen Unternehmen in der Branche enorm sein, glaubt er. „Nicht alle werden dort unterkommen können.“

    Einfach den Sozialplan abzuwarten, ist für viele Fujitsu-Mitarbeiter schwierig

    Unsicher ist der Fujitsu-Mitarbeiter auch, wie er sich in den kommenden Wochen und Monaten verhalten soll. Wenn er sich schnell einen neuen Arbeitsplatz suche, könne ihm möglicherweise eine finanzielle Abfindung bei Fujitsu verloren gehen. Einfach die weiteren Verhandlungen zum Sozialplan für die Mitarbeiter abzuwarten, das sei für ihn aber auch schwierig. „Ich war noch nie arbeitslos und möchte es auch nicht werden“, sagt er. Sein Ziel sei ein nahtloser Übergang zu einem neuen Arbeitgeber. Aber ob das klappt? „Ich mache mich deswegen nicht verrückt, aber ich möchte wieder Stabilität in meinem Leben haben und wissen, wohin die Reise geht.“

    Auch Wolfgang Wöcherls Arbeitsleben war oft eine Zitterpartie. Der Industriekaufmann arbeitete in der Textilbranche – in einer Sparte also, in der in den 80er und 90er Jahren tausende Arbeitsplätze in Augsburg wegbrachen. „Da kam einer und machte ein Produkt billiger, schon war bei uns das ganze Geschäft kaputt.“

    Der 76-Jährige sagt das ohne Aufregung, ohne Vorwurf. Eine nüchterne Feststellung eher – vielleicht, weil er sich in 40 Jahren bei der selben Firma an Tiefschläge und Veränderungen gewöhnt hatte. Als junger Bursche fing er 1960 seine Lehre beim Augsburger Textilunternehmen Dierig an. Der angehende Industriekaufmann kam in eine wohl sortierte Firma: „Der Aufbau nach dem Krieg war abgeschlossen, wir waren im Bettwäsche-Geschäft stark. Alle haben damals ja Bettwäsche gebraucht, weil nach dem Krieg keiner mehr etwas hatte.“ Quelle, Baur, Witt waren Großkunden in diesen Jahren, auch der Fachhandel nahm ordentlich Ware ab. „An manchen Tagen“, erinnert sich Wöcherl, „wurde die Bettwäsche mit Lastern vom Hof gefahren.“

    Doch Zug um Zug brachen auch bei Dierig Produktionszweige weg: Wöcherl wechselte vom Bettwäsche-Geschäft in das Meterwarengeschäft für Hemdenstoffe. Mitte der 1990er Jahre dann brach dieser Bereich fast komplett ein. „Der asiatische Raum hat so billig produziert, da konnte man hier nicht mehr mithalten.“ 1998 stellte Dierig die Produktion ein.

    Bis zur Rente hat es für Wolfgang Wöcherl nicht mehr gereicht

    Ab dann war Wöcherls Berufsleben Veränderung. Der Augsburger machte sie mit, bis er wenige Jahre vor der Rente noch einmal hätte umdenken müssen. „Ich hätte mich am Computer nochmals völlig neu einlernen müssen, das wollte ich nicht mehr.“ Also ging er mit 58 Jahren in

    In der Textilindustrie wurde und wird immer gebangt – auch heute noch. „Es gibt auf der ganzen Welt Webstühle und Betriebe, die nähen“, sagt Wöcherl, der sich auch heute noch intensiv mit der Branche beschäftigt. „Sobald jemand anderswo den Trend erkennt und billiger produziert, dann ist es in Deutschland vorbei.“ Eine Situation, die auch viele Arbeitnehmer aus anderen Branchen kennen, denn nahezu überall auf der Welt lässt sich Ware billiger herstellen als in Deutschland. Noch Anfang der 80er Jahre arbeiteten in Augsburg über 20000 Menschen in der Textilbranche, die Stadt war darüber hinaus immer auch ein starker Maschinenbaustandort. Doch die wenigsten Konzerne haben ihre Firmenzentralen heute noch in der Stadt; sie sind damit von Entscheidungen abhängig, die bestenfalls anderswo in Deutschland, meist aber irgendwo anders auf der Welt gefällt werden. So, wie es aktuell auch bei Fujitsu der Fall ist.

    Seit Anfang der 2000er Jahre setzt die Stadt Augsburg mit Unterstützung des Freistaats deshalb auf neue Branchen: Leichtbau, Automatisierung und Mechatronik, Umwelt- und Informationstechnologie sind die Kompetenzfelder, in denen zuletzt viele neue Arbeitsplätze entstanden. Durch die Ansiedlung von Fraunhofer-Instituten und Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) entstanden mehrere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, die dennoch eng mit der Produktion verzahnt sind. Eine Neuausrichtung, die sich auf Augsburgs wirtschaftliche Wurzeln besinnt.

    Manche Arbeiter gingen samt ihrer Webstühle in die Türkei

    Wolfgang Wöcherl hatte Glück: Trotz allen Bangens, trotz aller Veränderungen konnte er sein ganzes Berufsleben bei einem Arbeitgeber verbringen. Doch der 76-Jährige kann sich vorstellen, wie sich die Beschäftigten von Fujitsu aktuell fühlen. „Als bei uns die Weberei zugemacht wurde, wurden auch etliche hundert Leute entlassen. Viele waren damals über 60 Jahre. Gelernte Webmeister mussten mit ihren Webstühlen in die Türkei gehen, weil dort noch gewebt wurde.“

    Was Fujitsu betrifft, plant die Gewerkschaft IG Metall nächste Woche in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat eine Protestkundgebung gegen Schließung des Augsburger Standortes. Sie ist als Zeichen zu werten, die Mitarbeiter werden sich dennoch verändern müssen.

    Lesen Sie dazu auch diesen Artikel: Schwaben-Check: Wie stark unsere Region wirklich ist
     

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden