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Was hinter der gestiegenen Jugendkriminalität in Augsburg steckt.

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“Ladendiebstahl ist unter Jugendlichen eines der häufigsten Delikte“

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    Jugendkriminalität hat 2023 zugenommen.
    Jugendkriminalität hat 2023 zugenommen. Foto: David Inderlied, dpa (Symbolbild)
    Professor Jens Luedtke forscht zu Jugendkriminalität an der Universität Augsburg.
    Professor Jens Luedtke forscht zu Jugendkriminalität an der Universität Augsburg. Foto: Jens Luedtke

    Jugendkriminalität hat im letzten Jahr wieder zugenommen, das zeigen Daten der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik. Auch in Augsburg gab es zuletzt einen Anstieg im zweistelligen Prozentbereich. Wie alarmierend sind die aktuellen Entwicklungen?
    PROF. JENS LUEDTKE: Man darf eine Polizeiliche Kriminalstatistik niemals als ein komplettes Abbild der sozialen Wirklichkeit begreifen. Sie ist ein Tätigkeitsbericht der Polizei. Sie hängt auch davon ab, welche Taten der Polizei zur Kenntnis gebracht werden und welche nicht. Einfach gesagt: Anzeigebereitschaft. Sobald wir Veränderungen bei der Anzeigebereitschaft haben, könnte sich auch bei gleichbleibender Zahl der Straftaten eine Zunahme ergeben.

    Gibt es Straftaten, die besonders häufig angezeigt werden?
    LUEDTKE: Die Schwere der Straftat ist ein wichtiger Faktor: Je schwerer die Straftat, desto häufiger wird das Ganze angezeigt. Das hängt wiederum von der gesellschaftlichen Wahrnehmung ab. Gilt die Straftat als etwas, das man unbedingt verfolgen muss? Ein Beispiel wäre Gewalt in der Partnerschaft oder sexualisierte Gewalt, wo wir eine eindeutige Zunahme der Anzeigebereitschaft feststellen, weil auch der gesellschaftliche Diskurs in eine entsprechende Richtung geht.

    Werden bestimmte Personen häufiger angezeigt als andere?
    LUEDTKE: Die Frage, inwieweit es zu interethnischen und interkulturellen Konflikten kommt, spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat schon vor 20 Jahren festgestellt und auch in einigen Untersuchungen wiederholt, dass interethnische Konflikte mit einer höheren Bereitschaft verbunden sind, den Täter anzuzeigen. Wenn zwei Deutsche Täter und Opfer sind, dann liegt die Anzeigebereitschaft etwa bei 20 Prozent. Wenn der Täter dagegen einen Migrationshintergrund oder eine ausländische Staatsbürgerschaft hat, dann steigt die Anzeigebereitschaft auf etwa 30 Prozent an. In einem zunehmend multiethnischen Deutschland kommt es von daher auch zu einer Zunahme multiethnischer Konstellationen. Daher kann man auch erklären, wieso es mehr Straftaten gibt.

    Welche Rolle spielt Zuwanderung?
    LUEDTKE: Die Flüchtlinge, die aus Syrien und Afghanistan und jetzt auch aus der Ukraine nach Deutschland kommen, sind eine in erheblichem Maße jüngere Population als die hier residente. Die höchste Phase der Gewalt haben wir auch in Deutschland im Jugend- und Heranwachsendenalter. Diejenigen, die mit Mitte 20 noch auffallen, das sind die Fälle, wo wir sagen müssen: Die werden die Polizei und die Justiz noch länger beschäftigen. Das bedeutet, wir haben Veränderungen in der Bevölkerungszusammensetzung, die dann dazu geführt haben, dass wir hier ein Mehr an Straftaten haben. Denn eine gewisse Kriminalität ist im Jugend- und Heranwachsendenalter insofern auch „normal“, als sie häufiger aufzutreten pflegt, das hängt mit Merkmalen der Jugendphase zusammen.

    Welchen Einfluss haben sozialen Medien auf das Kriminalitätsverhalten von Jugendlichen?
    LUEDTKE: Man kann jetzt böse sagen: Im Internet zeigt sich die Janusköpfigkeit neuer Technologie. Sie können auf der einen Seite dazu genutzt werden, Menschen Tutorials zur Verfügung zu stellen, mit denen sie sich Qualifikationen und Bildung erwerben können. Das ist eine Unterstützung der Sozialisation in konforme Kontexte. Wir finden aber ebenso das gesamte andere Spektrum. Auch die schlimmsten Taten und Handlungen können über das Internet verbreitet werden. Das merken wir bei vielen Formen sozialer Bewegungen. Schauen Sie z.B. mal die Männerbewegungen wie Incels an, die laufen ganz wesentlich über das Internet, verbreiten dort ihre Hassbotschaften und geben Anweisungen zu Gewalttaten. Ja, das ist ein Problem, wir wissen aber nicht genau, was das mit den Jugendlichen macht.

    Wir haben vor ein paar Wochen mit einem Mädchen aus Augsburg gesprochen, die durch TikTok zu Ladendiebstahl angeleitet wurde…
    PROF. JENS LUEDTKE: Ladendiebstahl ist unter Jugendlichen einer der häufigsten Delikte. Dann kommen die Gewaltdelikte. Das ist also ein alterstypisches Kriminalitätsverhalten. Das kann man schon in den letzten 40 Jahren nachzeichnen, das ist nichts Neues. Anregungen zu kriminellem Verhalten kommen heutzutage nicht nur aus der Clique, sondern auch aus dem Internet. Dabei ist der springende Punkt: Sie finden heute im Internet die größte Weisheit neben dem größten Schund parallel nebeneinanderstehen. Jugendliche können also gezielt nach so etwas suchen oder zufällig darauf stoßen. Wenn die Videos dann auch noch cool wirken und Jugendliche gezielt ansprechen, kann das Wirkung zeigen. Das passiert z.B. auch bei Gewalttätern, die sich als religiös motiviert sehen, gar nicht selten.

    Was wissen wir über die Täter?
    LUEDTKE: Männer sind häufiger Täter als Frauen. Das hat was mit den Männlichkeitsvorstellungen und dem Bild von Männlichkeit zu tun. Gewalt wird als Ausdrucksform von Männlichkeit verstanden. Vor allem wenn die jungen Männer nicht in der Lage sind, die Konflikte diskursiv mit Sprache zu bewältigen, kann es relativ leicht dazu kommen, dass sie den Weg wählen, den sie für erfolgsversprechender halten. Das ist dann Gewalt. Die Bedingungen des Aufwachsens spielen auch eine wichtige Rolle. Bei schlechten Chancen besteht die Möglichkeit es zu akzeptieren oder sich zu wehren und dann kriminell zu werden.

    Was können wir gegen eine Zunahme von Jugendkriminalität tun?
    LUEDTKE: Wir brauchen mehr Prävention, die frühzeitig an der Lage und den Wahrnehmungen der Jugendlichen ansetzt. Wir bräuchten aktuelle Überblicksuntersuchungen, bei denen Jugendliche selbst aus ihrer Perspektive und Wahrnehmung aus Täter- und Opferperspektive berichten, also sogenannte qualitative Interviews. Dann wird es relevant, auf das Verständnis von Gewalt und die Einstellung zur Gewalt einzuwirken: In einigen Familien, aber auch in Teilen der Gesellschaft scheint es legitimer zu werden, mit Gewalt gegen Andersdenkende und Andersmeinende vorzugehen. Des Weiteren sollte bei Interventionen eine frühzeitige und schnelle Reaktion kommen. Gerichtsverfahren z.B. erst sechs Monate nach der Tat haben kaum noch eine präventive Wirkung.

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