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„Monatlich kündbar!“: Mit diesem Versprechen bewerben die Stadtwerke das Neun-Uhr-Abo für Bus und Tram. Zum Nulltarif geht das aber nicht.

Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

Die Tarifreform im Nahverkehr sorgt weiter für viele Diskussionen.

Tarifreform
17.01.2018

Plakat-Werbung lockt AVV-Kunden in die Abo-Falle

Von Jörg Heinzle

Das Neun-Uhr-Abo für Bus und Bahn wird mit dem Versprechen „monatlich kündbar!“ angepriesen. Ein Experte bewertet das als irreführende Werbung.

Es soll neue Kunden anlocken: Die Stadtwerke werben derzeit an den Haltestellen mit Plakaten für das Neun-Uhr-Abo, das im Zuge der Tarifreform im Nahverkehr deutlich günstiger geworden ist. Ein angeblicher Vorteil des Abos, der auf den Plakaten beworben wird, lautet „monatlich kündbar!“. Das Problem dabei ist nur: Die Information stimmt so nicht. Wer das Abonnement vor Ablauf von zwölf Monaten kündigt, kommt nur gegen eine Nachzahlung aus dem Vertrag.

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Experte: Plakate sind irreführend

Die Plakate seien seiner Einschätzung nach eindeutig „irreführende Werbung“, sagt der Augsburger Rechtsanwalt Hagen Hild, ein Experte für Wettbewerbsrecht. Die Werbebotschaft sei eindeutig formuliert. Kunden dürften davon ausgehen, den beworbenen Vertrag jeden Monat kündigen zu können. Ohne Zusatzkosten oder Einschränkungen. Tatsächlich funktioniert es aber so: Wer im ersten Jahr sein Neun-Uhr-Abo kündigt, muss pro Monat, in dem er es bereits genutzt hat, je nach Geltungsbereich zehn Euro oder mehr nachzahlen. Wer zum Bespiel nach fünf Monaten aussteigen will, muss dafür mindestens 50 Euro zahlen. Nach neun Monaten rechnet sich eine vorzeitige Kündigung schon nicht mehr.

Elizabeth Sen aus Aichach ist über die Werbung empört. Sie nennt es eine „krasse Fehlinformation“. Die Seniorin nutzte bisher immer wieder eine Senioren-Monatskarte. Damit musste sie sich nicht länger binden. Da sie eine kleine Rente beziehe, sei das lange ihr einziger Luxus gewesen. So habe sie entscheiden können, in welchen Monaten Budget und Gesundheit „erfreuliche Kurztrips nach Augsburg oder Donauwörth zum Einkaufen oder Kulturbesuch“ ermöglichten. In anderen Zeiten – etwa bei gesundheitlichen Einschränkungen, Urlaub, Besuch bei Enkeln oder Reha-Aufenthalt –sparte sie sich den Kauf der Karte.

Monatskarte für Senioren gestrichen

Mit der Tarifreform wurden die Monatskarte und das Abo für Senioren gestrichen. Als Alternative für Senioren wird das Neun-Uhr-Abo beworben. Allerdings mit der Einschränkung, dass man es unter der Woche erst ab 9 Uhr nutzen kann. Offenkundig zielt der plakative Slogan „monatlich kündbar!“ darauf ab, auch diesen bisherigen Nutzern von Monatskarten die Angst vor einem langfristigen Vertrag zu nehmen. Neukunden hätten möglicherweise die Befürchtung, „aus dem einmal geschlossenen Vertrag gar nicht mehr so leicht rauszukommen“, sagt ein Stadtwerkesprecher.

Genau das sei aber in diesem Fall die Irreführung, sagt der Rechtsanwalt Hagen Hild. Denn tatsächlich gehe der Kunde eben einen Vertrag über mindestens zwölf Monate ein, eine Kündigung zuvor ist mit Nachteilen verbunden. Gäbe es im Nahverkehr einen Konkurrenten zu Stadtwerken und Verkehrsverbund, hätte dieser sich wohl längst gegen die Werbung gewehrt, meint Hagen Hild. Klagen können im Wettbewerbsrecht nicht alle, sondern nur Konkurrenten und Verbraucherschutzverbände.

Kritik daran, dass AVV und Stadtwerke die Reform mit ihren Werbe- und Marketingkampagnen „schönreden“, gab es in den vergangenen Wochen immer wieder. Die Stadtwerke betonen auf Anfrage, dass in den Broschüren, im Vertrag und bei Beratungen im Kundencenter die Kündigungsbedingungen erklärt und auch auf Nachberechnungen hingewiesen werde. Das reicht aus Sicht des Anwaltes aber nicht aus. Er nennt ein Beispiel: „Ich kann nicht vor meinen Laden ein Schild stellen, auf dem steht: Alles für einen Euro. Und wenn der Kunde reinkommt und kaufen will, erkläre ich ihm, dass der Fernseher leider doch viel mehr kostet.“

Was der AVV sagt

Die Augsburgerin Dagmar Steichele hat den Unterschied zwischen Werbung und Realität bemerkt, als sie sich genauer über die Tarife informierte. Ihr Urteil lautet: „Abzocke auf der ganzen Linie.“ Elizabeth Sen sagt, als sie ihre Kritik im AVV-Kundencenter vorgebracht habe, habe man ihr geantwortet, als Seniorin sei sie „doch sowieso nicht mehr so mobil“. In ihrem Alter würde man „ja meist zuhause bleiben und nicht mehr umziehen oder monatelang verreisen.“ Ihr Fazit: „Ich bin sprachlos und grüble seitdem über Alternativen zum altersdiskriminierenden AVV – in kundenfreundlichere Gefilde umziehen?“

Dass man die Plakatwerbung genauer hätte formulieren können, räumen die Stadtwerke auf Anfrage unserer Redaktion ein. Ein Sprecher sagt: „Wenn die auf dem Plakat verkürzte Darstellung zu Missverständnissen geführt hat, tut uns das natürlich leid. Das war nicht unsere Absicht und wir hätten den Zusatz anbringen sollen ,Monatlich kündbar – gegen Nachzahlung’.“ Man wolle „nichts verschweigen“ und die Bürger auch nicht „auf eine falsche Fährte locken“.

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