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Targa im Zoo Augsburg: Ältester Elefant in Europa

Targa ist der älteste Elefant Europas. Auch wenn ein britischer Zoo den Rekord für sein Tier beansprucht: Nur Targas hohes Alter ist sicher dokumentiert.
Reportage

Die alte Dame und der Schmerz

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    Marcus Linder schläft nicht in dieser Nacht Mitte Juni. Burma ist tot. Sie liegt neben ihm im Stroh. Ein asphaltgrauer Koloss, so schwer wie vier Kleinwagen. 34 Jahre lang pflegte Linder die Elefantendame, er duschte sie jeden Tag ab und gab ihr zu essen. Linder sagt, er weine selten. Aber: „Vielleicht habe ich in dieser Nacht ein, zwei Tränen vergossen.“

    Nicht nur Linder nimmt in dieser Nacht Abschied. Auch Targa, die ihr halbes Leben mit Burma verbrachte. Der älteste Elefant Europas ist nun allein. Wieder ein Abschied also – und das mit 66 Jahren. Wer bei Menschen anruft, die sich mit

    Targas Geschichte beginnt im Dunkeln. Irgendwo im Osten Indiens. Ein älterer Mann wird später den Versuch einer Rekonstruktion wagen. Aber zunächst beginnt diese Geschichte in der Gegenwart, an einem sonnigen Mittwochnachmittag im Augsburger Zoo.

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    Wer Targa kennenlernen will, meldet sich am besten bei Marcus Linder an. Ein großer Mann mit Glatze. Einer, wie sich der Laie einen Elefantenpfleger vorstellt. Linder schlüpft gerade durch die massiven Stahlrohre in Targas Gehege. Essenszeit. Elefanten bekommen in ihrem Leben sechsmal neue Zähne. Targa ist so alt, dass ein siebter Satz überfällig wäre. Doch weil die Natur das nicht vorsieht, stand Linder vorher in der Küche und serviert ihr nun weich gekochtes Gemüse. Targa frisst, bis der ganze Eimer leer ist. Es muss ja irgendwie weitergehen – auch nach dem Tod von Burma.

    Der hatte sich schon lange angekündigt. Burma litt unter schmerzhaften Arthrosen, sie aß kaum noch. An einem Abend vor drei Wochen setzten zwei Tierärzte der betäubten Burma Spritzen. Dann war sie tot. Targa berührte Burma mit ihrem Rüssel, aber Burma reagierte nicht mehr darauf. Linder rückte sich einen Stuhl in Sichtweite zur leblosen Burma zurecht und saß einfach nur da, sprach mit Targa, der Überlebenden, dem Rekord-Elefanten.

    Zwischendurch ging er kurz nach draußen und zündete sich eine Zigarette an. Es war eine lange Nacht. Linder blieb von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens. „Targa hat die ganze Nacht Abschied nehmen können“, sagt Linder.

    Eine ganze Nacht lang saß Marcus Linder an dieser Stelle im Elefantenhaus, um Targa nach Burmas Tod beizustehen.
    Eine ganze Nacht lang saß Marcus Linder an dieser Stelle im Elefantenhaus, um Targa nach Burmas Tod beizustehen. Foto: Axel Hechelmann

    Jetzt ist Targa allein. Und dann sind da auch noch die Schmerzen, die mit dem Alter kommen. Targas Füße sind entzündet, abwechselnd hebt sie ein Bein an, um es zu entlasten. Es sieht aus wie ein Tanz in Zeitlupe. Und doch wirkt Targa wie ein zufriedener Elefant. Trotz all der Abschiede, von denen gleich noch zu lesen sein wird. Erst Indien, dann Hamburg und Osnabrück, schließlich Augsburg. Abschiede von lieb gewonnenen Pflegern und Artgenossen, die nicht so alt wurden wie sie. Die Geschichte von Targa, dem glücklichen Elefanten – ist sie nicht zu schön, um wahr zu sein?

    Ein Anruf bei James Brückner und gleich dieser Satz: „Wir sehen die Haltung von Elefanten in Zoos sehr kritisch.“ Brückner arbeitet für den Deutschen Tierschutzbund und ist ein gefragter Mann, wenn es um Artenschutz geht. Er will nicht, dass Zirkus-Elefanten Kopfstände machen müssen, und auch Zoo-Elefanten dürften nur unter bestimmten Bedingungen gehalten werden. Im Gespräch mit ihm wird schnell klar: Für das größte Problem gibt es oft keine Lösung.

    „Elefanten sind hochsoziale Tiere“, sagt Brückner. „Ihre Familienverbände lösen sich in der Wildnis nie auf.“ Und das ist ein Problem für die Haltung in Zoos: Bis vor wenigen Jahrzehnten achteten viele Tiergärten nicht auf die Zusammensetzung der Herde. Auch Targa und die nun gestorbene Burma kamen aus unterschiedlichen Regionen der Welt, ehe sie 34 Jahre lang in Augsburg zusammenlebten. Sie wurden zu Weggefährtinnen. Aber die eigene Familie, sie ist im Leben eines Elefanten nicht zu ersetzen.

    Ein vertrautes Team: Targa, 66, und Pfleger Marcus Linder, 58.
    Ein vertrautes Team: Targa, 66, und Pfleger Marcus Linder, 58. Foto: Axel Hechelmann

    Keine Familie also. Und nun ist auch noch die Weggefährtin tot. „Man merkt einen deutlichen Unterschied bei Targa“, sagt Pfleger Linder. „Die Lautäußerungen wurden weniger, ich habe sie nicht mehr trompeten gehört.“ Natürlich: Niemand weiß, wie genau sich Targa fühlt. Nur, dass sie nun auf sich allein gestellt ist. Mit den anderen beiden Elefanten, die 2020 nach Augsburg kamen, sucht Targa nur zögerlich Kontakt. Die alte Dame, sie lebt zurückgezogen.

    Dann ein Klopfen. Wenn Targa trinken will, pocht sie gegen ein Metallrohr am Gehege. Linder öffnet das Ventil am Wasserhahn. Linder und Targa – ein eingespieltes Team. Der Pfleger kam 1987 von Hamburg nach Augsburg, Targa im selben Jahr aus Osnabrück. „Sie ist eigenwillig und sehr intelligent“, sagt Linder. Wie sich das zeigt? „Wenn ein neues Schloss am Gehege hängt, will sie herausfinden, wie man das öffnet.“ Eine Eigenart, die sich durch Targas Leben zieht – und sich schon in jungen Jahren zeigt.

    Kock über Elefantenhaltung

    „Das war schlimm früher.“Kock über Elefantenhaltung

    Karl Kock spricht auch als Rentner noch gerne über Targa. Er erinnert sich gut an sie. 46 Jahre lang arbeitete er als Pfleger im Hamburger Zoo, nur kurz mit Targa. Ihm sei sofort aufgefallen: Sie war intelligent, „einmalig lieb“ und immer für einen Spaß zu haben. Wenn er an Targas lange Geschichte denkt, hält er das nicht für selbstverständlich.

    Viel weiß er nicht über ihre frühen Jahre. Klar ist nur: Sie wuchs in Indien auf. Vielleicht fingen Wilderer sie ein und verkauften sie weiter. Vielleicht wuchs sie bei Privatleuten auf. Mit vier Jahren wurde sie auf ein Schiff verladen, die Fahrt nach Europa dauerte fünf bis sechs Wochen. An Deck muss es kalt und windig gewesen sein, erzählt Kock. „Das war schon eine Strapaze, das war schlimm früher.“ Für Targa war es der erste Abschied. Sie war nun allein in Europa, ohne Familie.

    Karl Kock lernte Marcus Linder während dessen Zeit in Hamburg in die Elefantenhaltung ein.
    Karl Kock lernte Marcus Linder während dessen Zeit in Hamburg in die Elefantenhaltung ein. Foto: Holger Hollemann, dpa (Archivbild)

    Diese Geschichte stammt aus einem dunklen Kapitel der Elefantenhaltung. Seit Jahrzehnten schon verzichten Zoos in Europa auf den Import von Wildtieren. Stattdessen sollen sich Zoo-Elefanten untereinander vermehren.

    Es klingt wie eine Art Kompromiss: Wir holen keine neuen Elefanten, aber die, die schon hier sind, behandeln wir artgerecht. Also ganz anders als früher, als die Attraktion über dem Tierwohl stand. Als Elefanten auf engem Raum lebten. Als sie traktiert, trainiert, dressiert wurden. Damals, als der Mensch dem Tier seinen Willen aufzwängte.

    Tierpfleger Linder sagt: „Kein Zoo-Tier musste so sehr leiden wie der Elefant.“

    Pfleger Kock sagt: „Viele Menschen verlangen, dass der Elefant denkt wie ein Mensch. Das muss umgekehrt sein.“

    Tierschützer Brückner sagt: „In den letzten Jahren hat sich sehr viel verbessert.“

    Auch im Zoo Augsburg. Seit eineinhalb Jahren leben die Tiere im neuen Elefantenhaus artgerecht, so das Versprechen. Es gibt einen Wasserfall mit Badebecken, beheizte Wände zum Anlehnen und Fresskörbe mit Heu, die von der Decke gelassen werden. Und eine große Außenanlage. Alles zusammen ist so groß, wie die Fläche der beiden Plätze vor und hinter dem Augsburger Rathaus.

    Schön, hell, groß: Das neue Elefantenhaus im Jahr 2020 – damals kurz vor der Fertigstellung.
    Schön, hell, groß: Das neue Elefantenhaus im Jahr 2020 – damals kurz vor der Fertigstellung. Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild)

    Blöd nur: Targa bleibt meist lieber im alten Haus. Es mag sein, dass sich dieses Sprichwort auch auf Tiere anwenden lässt: Einen alten Baum verpflanzt man nicht.

    Tierschützer Brückner freut sich trotzdem über die Modernisierung. Es habe aber auch lange genug gedauert, sagt er. In Augsburg und ganz Deutschland. Grundlegende Veränderungen in der Elefantenhaltung kamen erst um die Jahrtausendwende. Mit Systemen, die nicht nur Tiere schützen sollten, sondern auch die Pflegerinnen und Pfleger. „Geschützter Kontakt“ heißt das in der Fachsprache und bedeutet, dass sich immer ein Gitter zwischen Pfleger und Elefant befindet.

    Damit sollen Unfälle vermieden werden, wie im Jahr 2011, als die Augsburger Elefantenkuh Sabi einen Pfleger schwer mit ihrem Stoßzahn verletzte. Nur: Die betagte Targa könne sich auf ihre alten Tage nicht mehr an das neue System gewöhnen, sagt ihr Pfleger Linder. Das brauche nämlich „Geduld, Geduld, Geduld“ – und wer wisse schon, wie lange der älteste Elefant Europas noch leben wird. Nach all den Abschieden: Indien, Hamburg, Osnabrück. Nach all dem Schmerz.

    „Der denkt wie ein Elefant.“Kock über Pfleger Linder

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    Einen dieser Abschiede wird der Hamburger Tierpfleger Kock nie vergessen. Es war im Jahr 1961, als Targa in einen neuen Zoo wechselte. Kock weiß nicht mehr, aus welchem Grund. Nur, dass er sie „ungern weggegeben“ hat – und sie den Pflegern im neuen Zoo in Osnabrück einen großen Schrecken einjagte.

    Bei der Ankunft in Osnabrück begrüßte eine Blaskapelle den Neuzugang. „Die hauten auf die Pauken und spielten einen Tusch“, erzählt Karl Kock. Targa habe sich so erschrocken, dass sie in einen Wald geflohen sei. „Die haben ungefähr 20 Stunden gebraucht, bis sie sie wiedergefunden haben“, sagt Kock.

    Auch in den Jahren danach hielt Targa ihre Aufpasser auf Trab. Ihr damaliger Pfleger Detlef Niebler erinnert sich daran, dass Targa einem anderen Elefanten gerne einen Streich spielte. Wenn er neben einem Wassergraben stand, näherte sich Targa „auf leisen Sohlen“. Dann setzte sie zu einem „kurzen Hüftschwung an“ und – tataaa: „Toto lag wieder mal im Graben.“ Niebler ist aber wichtig zu betonen: „Targa hatte den Schalk im Nacken, aber sie war nie aggressiv oder bösartig.“

    Annäherungsversuche: Detlef Niebler mit einem Neuzugang im Osnabrücker Zoo.
    Annäherungsversuche: Detlef Niebler mit einem Neuzugang im Osnabrücker Zoo. Foto: Friso Gentsch, dpa (Archivbild)

    Da stimmt ihm auch Marcus Linder zu, der zum Gespräch einen Stapel Fotos mitgebracht hat. Sie zeigen ihn mit Targa und Burma. Auf einem sitzt er in einer Reihe mit vier Elefanten – und es wirkt, als wäre er ganz selbstverständlich Teil dieser Gruppe. Er, der auf dem Foto mit seinen 1,90 Meter so unscheinbar wirkt.

    Es sind Fotos aus einer anderen Zeit, als Dressur noch als akzeptiert und Körperkontakt zwischen Pfleger und Elefant als normal galt. Linder hat sich die Fotos auf extra großem Fotopapier entwickeln lassen. „Nicht nur so klein“, sagt er, und macht die passende Handbewegung dazu. Er klingt ein bisschen stolz. Die Elefantenpflege, sie ist so etwas wie sein Lebenswerk.

    Gruppenfoto: Links im Bild ist Targa zu sehen, in der Mitte Linder.
    Gruppenfoto: Links im Bild ist Targa zu sehen, in der Mitte Linder. Foto: Peter Bretschneider (Archivbild)

    Doch eine Frage ist immer noch nicht geklärt. Wie konnte Targa so alt werden?

    Jürgen Schilfarth ist Vorsitzender eines Vereins, der sich für den Schutz von Elefanten einsetzt. Er sagt: „Das ist zumindest ein Hinweis darauf, dass sie nicht schlecht gepflegt wurde.“

    Ex-Pfleger Kock sagt über Linder: „Der denkt wie ein Elefant.“

    Linder, der Elefantenversteher also. Einer, der eine ganze Nacht neben einem Elefanten wacht, selbst wenn er schon tot ist. Um für Targa da zu sein. Eine anstrengende Nacht, wie er erzählt. Aber: „Es war ein schöner Abschied.“

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