„Springer auf B6“, sagt Amar Sinanovic. Robert Vuckovic sitzt ihm gegenüber und verschiebt die schwarze Figur zur Seite. Danach bewegt er den weißen Läufer. „Schach“, sagt er. Schützend verschiebt Amar seinerseits seinen Turm. Wieder sagt er den Zug an und Robert führt ihn aus. Amar Sinanovic sitzt in einem elektronischen Rollstuhl, seine Arme und Hände kann er nicht zielgerichtet bewegen. Mit der Hilfe von Robert Vuckovic von den Schachfreunden Augsburg kann er heute trotzdem spielen.
Während Amar und Robert spielen, herrscht im Hauptraum absolute Stille. Hier im Ibis Hotel in Augsburg findet bis zum 30. November die Offene Deutsche Einzelmeisterschaft der Schachspieler mit Behinderung statt. Es ist das erste Turnier seiner Art. Der Sieger erhält 300 Euro und einen Freiplatz beim Kandidatenturnier 2025.
Zum Turnier sind Menschen aus ganz Deutschland angereist, um gemeinsam Schach zu spielen. Jörn Manthe hat seine erste Partie gegen einen jungen Spieler verloren und trinkt im Nebenraum Tee. „Die Jungen sind einfach schneller im Kopf“, sagt er, „wer beim Schach besser aufpasst, gewinnt.“ Manthe hat Multiple Sklerose und ist extra aus Rostock hergekommen: „Nach der Wende habe ich meine ersten Schachreisen gemacht. Ich war sogar mal in Meran zum Schachspielen. Augsburg kannte ich bisher nicht, darum war das jetzt eine gute Gelegenheit.“ Um mitzuspielen, hat er sich extra beim SSC Rostock 07 angemeldet. Denn nur Mitglieder aus Schachvereinen können am Turnier teilnehmen.
Blinde Schachspieler haben ein Mini-Brett zum Fühlen vor sich
Darum spielt Amar Sinanovic außer Konkurrenz. Bislang hat er noch keinen Verein gefunden, in dem er mitspielen kann. Seine Klasse von der Fritz-Felsenstein-Schule in Königsbrunn hat auf dem Weg zum Christkindlesmarkt auf dem Rathausplatz einen kleinen Abstecher beim Turnier gemacht. „In den meisten Vereinen sind Stufen das größte Problem“, sagt Lehrer Michael Martin. Er ist selbst begeisterter Schachspieler und teilt seine Leidenschaft mit Amar.
Auf Barrierefreiheit wurde beim Turnier in Augsburg selbstverständlich geachtet. Überdies gibt es Assistentinnen und Assistenten im Hauptraum, die unterstützen, wenn ein gehörloser gegen einen blinden Teilnehmer spielt. Die blinden Spieler haben ein Mini-Schachfeld mit magnetischen Figuren vor sich liegen. Darauf erfühlen sie, wo welche Figur gerade steht. Machen sie einen Zug, sagen sie ihn an und Gegner oder Assistent führen den Zug aus.
„Das ist am Anfang schon etwas komisch, weil es sich zu Beginn anfühlt, als würde man gegen sich selbst spielen“, sagt Robert Vuckovic, „aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran und dann kann man sich auch wieder voll und ganz aufs Schachspielen konzentrieren.“
Das Schachturnier in Augsburg dient dem Kennenlernen und Netzwerken
Menschen ohne Behinderung spielen beim Turnier nicht mit. „Darum ist es genau genommen auch kein inklusives Schachturnier“, sagt Gert Schulz vom Deutschen Schachbund. Als Referent für Inklusion hat er das Turnier ins Leben gerufen. „Aber bislang haben wir noch keine Liste, in der mögliche Behinderungen vermerkt sind. Das bedeutet, ich weiß gar nicht so genau, wen ich vertrete. Darum ist das Turnier vor allem dazu da, um sich kennenzulernen und zu vernetzen.“
2016 war Schulz noch Inklusionsbeauftragter. Seit 2019 ist er Referent, was ihm deutlich mehr Gehör im Schachbund verschafft hat. „Ich bin ein Lautsprecher“, sagt er über seine Rolle. Gerne hätte er ein Turnier wie dieses schon früher veranstaltet. Doch dann kam Corona dazwischen. „Ein Online-Turnier wollte ich nicht, weil dabei wieder Menschen mit bestimmten Behinderungen ausgeschlossen werden.“
Amar Sinanovic fällt das Schachspielen am Computer mitunter leichter. In seinem Rollstuhl hat er nur eine bestimmte Perspektive auf das Brett. Da können sich die kleinen Bauern schon einmal hinter der großen Dame verstecken. Trotzdem macht das Spiel mit echten Menschen am meisten Spaß. Damit er dazu in Zukunft häufiger die Möglichkeit hat, hat Robert Vuckovic von den Schachfreunden Augsburg eine Idee: „Bei uns im Verein gibt es einen Aufzug. Den muss man nur in Gang bringen. Neue Mitglieder sind bei uns immer willkommen. Wer mitmachen will, muss bloß Bescheid sagen und wir schauen, dass wir alles organisieren, was die Person braucht.“ Vielleicht kann Amar beim zweiten inklusiven Schachturnier dann als Vereinsmitglied ganz offiziell als aktiver Spieler mit von der Partie sein.
Um kommentieren zu können, müssen Sie angemeldet sein.
Registrieren sie sichSie haben ein Konto? Hier anmelden