Die Narbe am rechten Schienbein von Marco Brenner ist über 15 Zentimeter lang. Mit wie vielen Stichen der junge Augsburger Radrennfahrer am Karfreitag in der Augsburger Uniklinik genäht werden musste, weiß der 17-Jährige gar nicht. Nur so viel: Ihn haben an diesem Tag unglaublich viele Schutzengel begleitet, als er im Affinger Ortsteil Anwalting (Lkr. Aichach-Friedberg) beim Training mit dem Rad einem Traktor nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte, mit dem Schienbein am Kupplungshaken hängen blieb und danach stürzte. Ihm wahrsten Sinne des Wortes schrammte er nur knapp an einer Katastrophe vorbei.
"Das war wirklich knapp", sagt Brenner ein paar Tage später. "Wenn ich da mit dem Kopf dagegengeprallt wäre, hätte es wirklich schlimm ausgehen können."
Rennradfahrer Brenner kennt die Strecke im Schlaf
Dabei war er an seinem Ruhetag mit dem Zeitfahrrennrad nur eine kleine Runde gefahren. Von Augsburg über Derching und dann über die Landstraßen nach Anwalting und über den Flugplatz zurück nach Augsburg. Nur 28 Kilometer im lockeren 30er-Schnitt, nach dem Krafttraining. Brenner kennt die Strecke im Schlaf. Das macht er immer so zwischen seinen beiden wöchentlichen Trainingsblöcken. 120 Kilometer, 140 Kilometer, 160 Kilometer, Ruhetag, 130 Kilometer, 150 Kilometer, 170 Kilometer. So lautet das Grundlagentraining eines der größten deutschen Radsportalente.
Und das ist Brenner. Mit 17 hat das Mitglied der E-Racers Augsburg bereits einen Profivertrag für das kommende Jahr in der Tasche, auch wenn der offiziell noch nicht unterschrieben ist. Bei einem der Großen der Szene, bei einem UCI ProTeam, einem der Teams, die bei den großen Radklassikern starten. "Dazu will ich mich nicht äußern", sagt der U19-WM-Dritte im Einzelzeitfahren. Er zählt in seiner Altersklasse zu den Besten der Welt. Das Fachmagazin radsport-news.com spekuliert mit dem niederländischen Team Jumbo-Visma, aber auch mit dem deutschen Rennstall Bora-hansgrohe aus Raubling (bei Rosenheim). Für das U19-Team der Oberbayern, das Team Auto Eder, fährt Brenner derzeit.
Brenner konnte dem Traktor nicht mehr ausweichen
Es ist an Karfreitag kurz nach 16 Uhr, als Brenner kurz vor dem Ortsausgang von Anwalting die Zeitfahrposition auf seinem Spezialrad einnimmt. Er ist nicht so schnell, schließlich fährt er in einer 30er-Zone. Doch als plötzlich ein Traktor rückwärts auf die Straße rangiert, kann Brenner nicht mehr komplett ausweichen. Er erkennt das Hindernis zu spät, der Traktorfahrer hat ihn nicht gesehen. Brenner macht einen Schlenker, schlitzt sich aber das rechte Schienbein am Haken für die Anhänger auf und stürzt. "Als ich an meinem Bein hinuntergeschaut habe, konnte ich den Knochen sehen", erzählt er.
Ihm wird sofort geholfen, der Notarzt kommt mit dem Hubschrauber, doch der ist nicht nötig. Brenner wird mit dem Krankenwagen in die Uniklinik nach Augsburg gefahren. Abends um 21.30 Uhr kann ihn sein Vater abholen. "Zum Glück war nichts gebrochen. Die Wunde musste aber zweimal genäht werden, zuerst die Faszie, dann noch die Haut", erzählt Brenner.
Noch am Abend ruft er Junioren-Bundestrainer Wolfgang Ruser an. Der beruhigt Brenner. Er solle sich erst einmal auskurieren. Das ist auch nötig. Denn der Fuß schwillt dick an. "Es hat mich ganz schön hingelassen", scherzt Brenner knapp 14 Tage nach seinem Unfall.
Es war Brenners erster Trainingsunfall
Obwohl er im Jahr mehrere zehntausend Kilometer fährt, war dies sein erster Trainingsunfall. Noch spürt er die Prellungen, doch am Wochenende will er langsam wieder mit dem Training beginnen. Grund zur Eile gibt es aber nicht. Die Corona-Epidemie hat die Radrennfahrer komplett ausgebremst. In den Faschingsferien brach sein Rennstall ein Trainingslager am Gardasee ein paar Tage früher ab, auch das Trainingslager mit der Nationalmannschaft auf Mallorca endete früher als geplant. Seitdem trainiert Marco Brenner allein. Zudem bereitet er sich derzeit auf den Abschluss seiner Ausbildung zum Fremdsprachenkorrespondent (Englisch und Französisch) an der Inlingua-Sprachenschule vor. "Das läuft alles über Skype", sagt er.
Das Talent wurde Brenner quasi in die Wiege gelegt. Das ganze Leben der Familie Brenner dreht sich ums Radfahren. Marco und sein jüngerer Bruder Mauro wachsen mit dem Fahrrad auf. Fast jedes Wochenende war und ist die Familie immer noch in Sachen Radsport unterwegs. Vater Christian ist selbst ein leidenschaftlicher Radrennfahrer und auch als Funktionär tätig, Mutter Sabina Brenner-Dalla Tezza ist der ruhende Pol.
Marco Brenner gilt als Rohdiamant
Mit 15 wechselt Marco Brenner von den E-Racers zur RSG Ansbach, später folgt auch sein zwei Jahre jüngerer Bruder zu der Radsportgemeinschaft, die den Brenners besonders bei den Rennen ein professionelles Umfeld bietet. Jetzt fährt er für das Team Auto Eder.
Marco gilt als Rohdiamant in der Radsportszene, als ehrgeizig und zielstrebig. In dieser Saison wird er sein Talent wohl nicht mehr zeigen können. Er hofft zwar, dass vielleicht die Junoren-EM (Italien) und die Junioren-WM (Schweiz) im Herbst stattfinden können. Doch so richtig glaubt er nicht daran. Dementsprechend hat er die Schwerpunkte beim Training umgestellt. "Ich trainiere jetzt wie im Winter mit Schwerpunkt Ausdauer. Ich bereite mich jetzt schon auf die Saison 2021 vor." Dass er das tun kann, dafür sorgten am Karfreitag einige Schutzengel.
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