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Augsburg: Anastasia ist aus der Ukraine geflohen – jetzt unterrichtet sie Sportgymnastik

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Anastasia ist aus der Ukraine geflohen – jetzt unterrichtet sie Sportgymnastik

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    Anastasia Kononenko aus der Ukraine trainiert die Rhythmischen Sportgymnastinnen beim TV Augsburg. Einige geflüchtete Mädchen haben bei dem Verein eine neue sportliche Heimat gefunden.
    Anastasia Kononenko aus der Ukraine trainiert die Rhythmischen Sportgymnastinnen beim TV Augsburg. Einige geflüchtete Mädchen haben bei dem Verein eine neue sportliche Heimat gefunden. Foto: Annette Zoepf

    Vor zwei Jahren sah Anastasias Alltag noch ganz anders aus. Damals lebte die heute 27-Jährige in der Ukraine nahe der Hauptstadt Kiew, studierte an der Hochschule Sport und unterrichtete drei Gruppen mit jeweils 30 jungen Mädchen in der Rhythmischen Sportgymnastik. Heute, nach über einem Jahr Krieg in ihrem Heimatland, wohnt Anastasia in Augsburg, büffelt jede freie Minute Deutsch für ihren zweiten Sprachtest und trainiert beim Turnverein Augsburg ebenfalls Mädchen in der Rhythmischen Sportgymnastik. Allerdings nur 15, die fast allesamt einen russischen oder ukrainischen Hintergrund haben, was schon zeigt, welch großen Stellenwert die Sportart in diesen beiden Ländern im Vergleich zu Deutschland hat.

    Ohne Anastasia Kononenko, die in ihrer Jugend in der Ukraine selbst eine fundierte Ausbildung genossen hat, würde es die Gruppe Rhythmische Sportgymnastik (RSG) beim TVA wohl kaum mehr so geben, berichtet Fachbereichsleiterin Andrea Wenzel. Denn die Anforderungen in den Wettkämpfen sind in dieser olympischen Sportart auf deutscher Bezirks- und Landesebene schon ausgesprochen hoch. Meist würden da nur Mädchen auf die vorderen Plätze gelangen, die seit frühester Kindheit intensives leistungssportliches und zeitintensives Training durchlaufen haben, wie etwa beim TVA die neunjährige Alesia aus der Ukraine, die mittlerweile sogar eine Berufung in den Bayernkader erhalten hat. Trainerinnen wie Anastasia zu finden, die sich nahezu hauptberuflich um die Trainingseinheiten kümmern, ist schwer.

    Die geflüchteten Mädchen kennen Rhythmische Sportgymnastik nur als Leistungssport

    Im Breitensport gibt es dann noch die oft mit der RSG verwechselte Rhythmische Gymnastik (RG), in der ebenfalls Meisterschaften ausgetragen werden, deren Anforderungen aber deutlich niedriger liegen. Anastasia, Alesia und die anderen geflüchteten Mädchen in der RSG-Trainingsgruppe des TV Augsburg kennen ihren Sport nur leistungsorientiert. Sie sind froh, beim TVA so weitertrainieren zu können wie zu Hause, den Körper auf hohem Niveau biegsam und geschmeidig zu halten und in der Gemeinschaft wieder sportliche Ziele verfolgen zu können. Um dieses Wir-Gefühl zwischen den Mädchen zu entwickeln, hat Anastasia bewusst Deutsch als Trainingssprache ausgegeben, obwohl sie selbst sogar Ukrainisch und Russisch spricht. "Die Kinder helfen mir dann, wenn ich etwas erzählen möchte und die Wörter nicht finde. Dadurch lernen wir alle gemeinsam schneller Deutsch", sagt sie. 

    Für die junge Ukrainerin wäre es wichtig, dass in Deutschland baldmöglichst ihr ukrainisches Sportstudium anerkannt wird, damit sie auch einen Beruf in diesem Bereich ergreifen kann. Beim TVA ist sie als Übungsleiterin angestellt. Die deutsche C-Trainerlizenz hat sie bereits in der Tasche, baldmöglichst soll die B-Lizenz folgen. Ein Beruf, mit dem sie genügend Geld für ihren Lebensunterhalt verdienen kann, ist das natürlich nicht. Sie könnte sich vorstellen, als Sportlehrerin zu arbeiten, aber noch ist unklar, wie lange sie dafür in Deutschland weiterstudieren müsste. Zudem bräuchte sie in Deutschland neben Sport ein zweites Schulfach und ist sich unsicher, auf welchem Gebiet sie sprachlich schon unterrichten könnte.

    Aus Angst vor Bombenalarm wurde in der Ukraine nur noch Online-Training angeboten

    Ihre Eltern sind in der Ukraine geblieben, Ihr Bruder studiert in Polen. Für beide Kinder ist eine Rückkehr in das Heimatland aufgrund der aktuellen Lage nicht möglich. Nach Augsburg ist Anastasia gekommen, weil über russische Freunde eine Verbindung in die Fuggerstadt bestand. Anastasia hatte keine Ahnung, was sie erwarten würde, doch überall sei sie mit offenen Armen aufgenommen worden. "Alle Menschen sind sehr freundlich und viele haben mir geholfen. Ich kam ja mit ein paar Mädchen und habe einen Platz gesucht, wo wir weiter trainieren können. Denn in der Ukraine ist die Lage schwierig, wir haben dann nur noch online trainiert, weil es in den Hallen zu gefährlich war. Wir hatten Angst vor dem Bombenalarm, da mussten die Eltern ihre Kinder ganz schnell abholen", schildert Anastasia die unerträgliche Situation in ihrem Heimatland. 

    TVA-Halle ist zu niedrig für die hohen Würfe der Rhythmischen Sportgymnastinnen

    Sie ist glücklich, dass für sie und ihre Mädchen das Training nun im Turnverein Augsburg weitergeht. Wenn auch nicht unbedingt im Rahmen der Standards, die für die Rhythmische Sportgymnastik notwendig wären. Die TVA-Halle ist beispielsweise zu niedrig, was die Gymnastinnen immer wieder vor Probleme stellt, berichtet Andrea Wenzel. "Wenn die Mädchen die Handgeräte nicht hoch genug werfen können, ist es nahezu unmöglich, darunter alle geforderten Elemente zu machen ohne die Gefahr, das Gerät auf den Kopf zu bekommen", schildert Wenzel die Problematik, wenn Keulen, Bälle oder Reifen durch die Luft wirbeln. Dazu ist eine Mindesthöhe erforderlich, damit ein Wurf von den Kampfrichterinnen überhaupt anerkannt wird. 

    Die Abteilung hofft, sich einmal in der Woche für ein paar Stunden in die Max-Wunderlich-Halle einzumieten, die eine Höhe hat, bei der die jungen Sportlerinnen ihre Sportart dem Reglement entsprechend ausführen können. Denn Anastasia will ihre ehrgeizige Truppe auf hohem Niveau konkurrenzfähig bekommen. "Ich brauche immer sportliche Ziele. Und es gibt einige Mädchen, die großes Talent für diesen Leistungssport haben."

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast an. Die Augsburgerin Tanja Hoggan-Kloubert spricht über die Angst um ihre Eltern in der Ukraine – und die überwältigende Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung.

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