Die Vorzeichen stehen gut für den nächsten Sieg von Schachspieler Eckhard Schmittdiel: an Tag zwei des Augsburger Meisterturniers hat der Dortmunder gut gefrühstückt und fühlt sich frisch. Mehr braucht der 56-jährige Internationale Großmeister nicht, um seinen Gegnern am Brett Respekt einzuflößen. Schmittdiel weiß, wie das Spiel läuft. Auf akribische Vorbereitung verzichtet er mittlerweile, er setzt stattdessen auf Erfahrung, Gefühl und Konzentrationsvermögen. Zum zwölften Mal ist Schmittdiel in Augsburg dabei, dreimal hat er bereits gewonnen. Als einziger Großmeister im aktuellen Teilnehmerfeld gehört er auch in diesem Jahr zum Favoritenkreis.
Sein Auftaktsieg gegen den Waliser Strugnell gibt ihm Zuversicht, überbewerten will er ihn aber nicht. „Ich nehme das nicht mehr ganz so ernst. Letztes Jahr hatte ich schon mit einem Punkt geführt und habe am Ende noch zwei Partien weggeballert. Es muss hinten raus auch noch gut laufen“, gibt er sich mit Blick auf die insgesamt zehn Turniertage vorsichtig.
Zumal der Routinier in den nächsten Tagen noch auf junge, ambitionierte Spieler treffen wird, die der neuen Schach-Generation angehören. Jener, die die unendlichen Online-Datenbanken durchforstet, gegen Schach-Computer spielt und per Handy-App Strategien abruft. „Ich habe mir Schach mit dem Durchspielen und Durchlesen von fast 200 Schachbüchern autodidaktisch angelernt. Heute ist das anders. Heute geht alles auf Knopfdruck per Computer“, so Schmittdiel über die modernen, technischen Möglichkeiten. Das habe ganz neue Spielertypen hervorgebracht. „Früher sind wir bei einem Fehler stundenlang an der Analyse gesessen. Die rechenstarken Computer von heute spielen in einer Minute hunderte Partien durch und lösen den Fehler in Sekunden. Die Ungewissheit und die Kreativität beim Schach lassen dadurch nach“, findet Schmittdiel.
Er selbst versteht sich als „Bio-Energetiker“ und ist somit kein Handy- und Computerfreund, auch wenn er sich „an diese Dinger“ in seinem Job bei der Bauberufsgenossenschaft gewöhnen musste. Die große Liebe zum Computer als Spielpartner ist trotzdem nicht entstanden. „Der Mensch spielt anders als die Maschine“, sagt er. Der Mensch habe neben seinem Wissen auch Gefühl, Intuition und Ausstrahlung. Diese Eigenschaften gingen durch zuviel Beschäftigung mit der Technik verloren. „Menschen, die viel gegen Computer spielen, ähneln sich in der Spielweise der Maschine an. Doch man muss aufpassen, das Gefühl für das Spiel nicht zu verlieren“, sagt Schmittdiel.
Abgesehen davon, dass die Technik zum Betrug verleite. „99,9 Prozent der Spieler sind korrekt. Aber es gibt Ausnahmen.“ Die hat er selbst schon erlebt. Wie etwa jenen Gegner, der per Kamera an der Halskette und über Morsezeichen per Handy in seiner Hosentasche Turniersiege abräumte. „Das gibt es wirklich“, sagt Schmittdiel schmunzelnd, „,das Schachspiel ist anfälliger für Betrug geworden. Deshalb gibt es mittlerweile das Handyverbot auf den Turnieren.“ Für ihn sind Konzentration und Psychologie nach wie vor die wirksamsten Hilfsmittel. „Wenn ich mich entspanne und möglichst an nichts denke, spiele ich die besten Partien“, sagt er.
Früher war der Single fast zwei Drittel des Jahres auf internationalen Schachturnieren unterwegs. „Das kann man aber nicht lange durchhalten. Mit professioneller Vor- und Nachbereitung ist das kräftemäßig irgendwann nicht mehr zu schaffen. Der Kopf hält die Dauerbelastung nicht aus. Man läuft Gefahr eines Burnouts.“
So lässt es Schmittdiel nun lockerer angehen und spielt nur noch ausgewählte Turniere. Zwei, drei im Jahr, wie etwa jenes in Augsburg, das sein Schachfreund Johannes Pitl nun zum 26. Mal organisiert. Und weil der Kontakt nach Augsburg so gut ist, kommt der Dortmunder jetzt öfter. Seit diesem Jahr spielt er in Pitls Heimatverein, den SK 1908 Göggingen, für das Zweitliga-Team.