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Augsburg: Rätselhafte Krankheit: Handballerin in letzter Minute gerettet

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Rätselhafte Krankheit: Handballerin in letzter Minute gerettet

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    Saskia Putzke ist Zweitliga-Handballerin des TSV Haunstetten.
    Saskia Putzke ist Zweitliga-Handballerin des TSV Haunstetten. Foto: Andrea Bogenreuther

    Saskia Putzke ist gerade 16 Jahre alt, als sie ihr elterliches Zuhause in Puchheim bei München verlässt. Sie will Handball spielen. Und zwar möglichst gut und möglichst professionell. Das ehrgeizige junge Mädchen wechselt zum Bundesligaverein HSG Blomberg (Nordrhein-Westfalen), geht dort zur Schule und lebt in einer WG. Sie schafft den Sprung ins Bundesligateam und wird mit der A-Jugend zwei Mal deutscher Vizemeister. Doch vor drei Jahren – sie ist gerade 18 geworden – der Schock: Mitten im Abitur verweigert ihr durchtrainierter Körper den Dienst. Was mit vereinzelten Schlafstörungen beginnt, stürzt Putzke in einen mehrmonatigen Kampf ums Überleben.

    Im mündlichen Abitur im Mai 2013 geht plötzlich nichts mehr: „Ich konnte nicht mehr sprechen. Ich wusste, was ich sagen wollte, aber ich konnte es nicht aussprechen. Ich hatte zuvor schon Black-outs. Aber in diesem Moment hat mein Körper einfach aufgehört zu funktionieren. Körperlich war ich anwesend, aber geistig nicht mehr“, erinnert sich Putzke an ihre verzweifelte Lage.

    Eine medizinische Odyssee beginnt

    Sie wird zum Arzt gebracht und eine medizinische Odyssee beginnt. Niemand hat einen blassen Schimmer, was mit dem jungen Mädchen los ist. Angesichts der Symptome tippen die Ärzte auf eine Psychose, ausgelöst durch den Abiturstress. Weiter daneben könnten sie nicht liegen. Trotzdem wird Putzke in die psychiatrische Klinik nach München-Haar eingewiesen. Bis heute sind Erinnerungslücken an jene furchtbare Zeit geblieben. Heute, drei Jahre später, gilt Saskia Putzke als geheilt. Seit September spielt sie erfolgreich für das Zweitliga-Team des TSV Haunstetten Handball.

    Was zum damaligen Zeitpunkt noch keiner weiß: Saskia Putzke ist an der aggressiven Gehirnentzündung Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis erkrankt. „Das kann kein Schwein aussprechen. Manchmal muss ich selbst überlegen“, sagt Saskia Putzke lachend. Heute kann sie befreit über diese seltene Krankheit reden, doch wenn sie an die Tage zurückdenkt, wird sie ernst: „In der Psychiatrie ist es mir immer schlimmer gegangen. Meine ganze Hand ist taub geworden. Ich konnte mir am Ende nicht einmal mehr ein Brot schmieren, weil ich kein Messer mehr halten konnte. Motorisch war ich dazu nicht mehr in der Lage.“

    Irgendwann ist Putzke nicht mehr ansprechbar, reagiert kaum noch. Die Situation wird lebensbedrohlich. Trotzdem verteidigt die Handballerin ihre Mediziner: „Man muss sagen, diese Krankheit ist sehr heimtückisch. Sie kommt ganz schleichend und zeigt viele psychische Verhaltensweisen. Aber meine Eltern waren überzeugt davon, dass es nichts Psychisches sein kann, weil ich immer sehr stark war. Es musste etwas anderes sein.“

    Dann kommen einem Arzt Zweifel

    Als die motorischen Probleme noch stärker werden, kommen auch einem Arzt Zweifel. Er schickt Saskia Putze in die Neurologie. Eine Untersuchung, die ihr und ihren Angehörigen die Dramatik der Erkrankung klarmacht. Putzke soll drei Gegenstände in der richtigen Reihenfolge wiederholen. Auto, Blume, Haus. „Das ging nicht mehr. Ich konnte mir keine drei Wörter mehr merken“, ist Putzke heute noch entsetzt über ihren damaligen Zustand. Ihr Kurzzeitgedächtnis ist angegriffen.

    Als noch epileptische Anfälle dazukommen, sind die Fachleute überzeugt, dass bei der Handballerin eine Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis vorliegen muss. Ihr wird Nervenwasser zur Untersuchung entnommen, doch das Ergebnis lässt auf sich warten. Das einzige Labor in Deutschland, in Lübeck, braucht Zeit. Die Zellen reagieren nicht so schnell. „Da haben meine Eltern gedrängt, ohne Ergebnis sofort mit der Behandlung zu beginnen. Sonst hätte ich wohl nicht überlebt.“

    Putzke bekommt Cortison und Blutwäschen. Zehn Mal wird das Blutplasma in ihrem Körper ausgetauscht. Nach einer kurzen Verschlechterung tritt endlich Besserung ein. Je länger die Behandlung dauert, desto schneller verbessert sich Putzkes Zustand. Ihr Gehirn nimmt die Arbeit wieder auf. Sie kann sprechen, sich bewegen und Erinnerungen abspeichern, weil sich das geschädigte Organ erholt. In der stationären Reha in Bad Aibling sucht sich die Leistungssportlerin erste Herausforderungen. „Als ich das erste Mal gejoggt bin, habe ich es nicht einmal um den Fußballplatz geschafft. Aber dann ging es immer besser.“ Auch das Handballspielen geht wieder. „Ich hätte in Metzingen ab Juli einen Vertrag gehabt, den konnte ich nicht antreten. Doch im Herbst habe ich mein erstes Spiel mit der zweiten Mannschaft gemacht, im Januar dann das erste Bundesligaspiel“, erzählt Putzke von ihren Fortschritten.

    Die Angst bleibt

    Drei Jahre sind seitdem vergangen. Drei Jahre, in denen die heute 21-Jährige unbeeinträchtigt Handball spielt und in Tübingen Sportmanagement studiert. Gerade macht sie ein studienbegleitendes Praktikum beim Sportartikel-Hersteller Mizuno in Aschheim bei München. Die Krankengeschichte ist in den Hintergrund gerückt, bleibt aber präsent: „Ich hatte zuletzt eine Phase, in der ich körperlich total fertig war. Da bin ich schon vorsichtig und lieber zum Arzt gegangen.“

    Die Angst vor einem Rückfall bleibt. Einschränken lässt sie sich trotzdem nicht – im Gegenteil. Seit sie im September 2016 zum TSV Haunstetten gewechselt ist, dreht sich alles wieder um Handball. Drei- bis viermal pro Woche fährt Putzke mit ihren Teamkolleginnen Christine Königsmann und Magdalena Frey zum Training von München nach Augsburg. Fünf bis sechs Stunden dauert das je nach Verkehr. „Der Zeitaufwand ist enorm. Aber es gefällt mir unheimlich gut bei Haunstetten. Die Mannschaft und der Verein sind toll. Für mich muss es auch ein gewisses Level haben. Dann macht mir Handball Spaß – auch wenn die Zweite Liga anstrengend ist.“

    Bis Anfang Januar ist erst einmal Erholung angesagt. Für Putzke diesmal nicht unter dem Weihnachtsbaum und ohne Eltern oder Geschwister. Sie fliegt nach Mittelamerika, besucht eine Freundin in Costa Rica und wünscht sich, dort ein Faultier zu sehen. Auf die Frage, wie die Krankheit sie verändert hat, denkt Putzke nach. „Früher habe ich alles auf Handball ausgelegt. Mittlerweile habe ich festgestellt, dass es auch andere Sachen gibt, die wichtig sind. Andererseits hat mir der Handball ganz stark geholfen, wieder fit zu werden. Diese Willensstärke kann ich jetzt auf andere Lebensbereiche übertragen.“

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