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Rente: Altersarmut in Augsburg: "Ich hab mich halt dran gewöhnt, dass nicht alles geht"

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Altersarmut in Augsburg: "Ich hab mich halt dran gewöhnt, dass nicht alles geht"

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    Lotte Wiedemann hat ihr Leben lang gearbeitet. Nicht ohne Folgen. Wegen der körperlich anstrengenden Arbeit brauchte sie neue Kniegelenke und erlitt einen Bandscheibenvorfall.
    Lotte Wiedemann hat ihr Leben lang gearbeitet. Nicht ohne Folgen. Wegen der körperlich anstrengenden Arbeit brauchte sie neue Kniegelenke und erlitt einen Bandscheibenvorfall. Foto: Jonathan Lindenmaier

    Der Stadtmarkt sei früher nicht so schön aber auch nicht so teuer gewesen, meint Lotte Wiedemann. Die 84-Jährige mit kurzem grauen Haar hat ihr gesamtes Leben in Augsburg verbracht. Auf ihren Rollator gestützt navigiert sie in der Sommersonne durch die von ausliegenden Bananen, Zucchini und Blumensträußen gesäumten Marktgassen und begutachtet die Preisschilder. „13 Euro für ein Kilo Weintrauben? Die spinnen doch“, sagt sie mit rauer Stimme.

    Kaufen will sie nichts. Das Problem sind nicht die Preise auf dem Stadtmarkt – zumindest nicht nur. Die Renten in Deutschland sind knapp bemessen. So knapp, dass es in vielen Fällen kaum zum Leben reicht.

    Lotte Wiedemanns Rente liegt deutlich über dem Durchschnitt der Frauen in Augsburg – und doch unter der Armutsgefährdungsschwelle

    Die Quote der Rentnerinnen und Rentner, deren Bezüge die Armutsgefährdungsschwelle unterschreiten, ist in den letzten Jahren stetig gestiegen. Rund 81 Prozent der Frauen haben die Schwelle 2019 unterschritten – bei den Männern waren es 45 Prozent. Armutsgefährdungsschwelle, das meint in Deutschland 60 Prozent des durchschnittlichen Netto-Einkommens der Bürger. Aktuell liegt die Schwelle damit bei 1155 Euro im Monat.

    Lotte Wiedemann bezieht etwa 900 Euro Rente. Damit liegt sie über dem Durchschnitt der Frauen in Augsburg. Aber trotzdem unter der Armutsgefährdungsschwelle.
    Lotte Wiedemann bezieht etwa 900 Euro Rente. Damit liegt sie über dem Durchschnitt der Frauen in Augsburg. Aber trotzdem unter der Armutsgefährdungsschwelle. Foto: Jonathan Lindenmaier

    Auch Lotte Wiedemanns Rente unterschreitet diese Schwelle. Sie bezieht knapp über 900 Euro im Monat. Viel davon bleibt ihr nicht. Zwei Drittel der Rente gehen allein für die Miete ab. Lotte Wiedemann lebt in einem Wohnheim für Seniorinnen in Lechhausen. Zwei Zimmer, Küche, Bad, Balkon, dafür bezahlt sie mit Nebenkosten 650 Euro im Monat. Etwa 300 bleiben für Lebensmittel, Zigaretten, Frisör und manchmal ein Geschenk für den Enkel. Darüber beschweren? Kommt für sie nicht infrage. „Wenn man sich das einteilt, dann reicht’s“, sagt sie mit schwäbischer Genügsamkeit. „Ich hab mich halt dran gewöhnt, dass nicht alles geht.“

    Frauen beziehen deutlich weniger Rente als Männer, der Unterschied ist noch höher als bei den Gehältern

    Eine Ausnahme ist Lotte Wiedemann nicht. Wenn man von Bayern als reichem Bundesland spricht, gilt das offenbar nicht für die Rentnerinnen und Rentner. Im Freistaat sind die Bezüge besonders gering. Mit 1400 Euro im Durchschnitt liegt Bayern laut Gewerkschaftsbund auf Platz elf der 16 deutschen Bundesländer. Trauriges Schlusslicht im bayernweiten Vergleich: der Bezirk Schwaben und die Stadt Augsburg. Im Schnitt beziehen die Männer im Regierungsbezirk 1128 Euro Rente im Monat.

    Und in keinem anderen Landkreis in Bayern oder kreisfreien Stadt sind die Renten bei den Männern so gering wie in der Stadt Augsburg. Durchschnittlich 805 Euro sind es im Monat. Warum Augsburg so schlecht da steht? Schwer zu sagen. Gründe könnten laut Deutschem Gewerkschaftsbund die hohe Quote an Minijobs in der Stadt sein. Außerdem ziehe es Menschen mit hohen Renten eher in die Landkreise außerhalb der Stadt. Und tatsächlich stehen Landkreise, die an Augsburg grenzen, verhältnismäßig gut da.

    Bei den Frauen rangiert Schwaben – immerhin – im Mittelfeld. Durchschnittlich 732 Euro beziehen Rentnerinnen hier. Und doch sind sie deutlich niedriger als die der Männer. Die niedrigsten Renten beziehen Frauen im Landkreis Unterallgäu, 683 Euro sind es im Durchschnitt. Fast die Hälfte der Armutsgefährdungsschwelle von 1155 Euro. Am höchsten sind die Renten in Landsberg mit 773 Euro. Nicht viel höher und immer noch deutlich unter der Schwelle.

    Neben den regionalen Unterschieden zeigen die Zahlen noch ein anderes Problem: den „Gender Pension Gap“. Also den Unterschied der Rentenbezüge zwischen Männern und Frauen. In Bayern liegt er mit 36 Prozent deutlich oberhalb des ohnehin schon hohen Verdienstunterschiedes zwischen Männern und Frauen. Der liegt aktuell bei etwas über 20 Prozent. Der Grund: Der "Gender Pension Gap" spiegelt die unterschiedlichen Erwerbsbiografien von Frauen und Männern, so das Institut der deutschen Wirtschaft. Frauen, die heute Rente beziehen, haben häufig weniger in die gesetzliche Rente eingezahlt. Als Mütter mussten sie früher oft lange Auszeiten vom Beruf nehmen oder haben nur in Teilzeit gearbeitet. Und noch dazu deutlich weniger verdient als ihre männlichen Kollegen.

    Kaputte Kniegelenke und ein Bandscheibenvorfall am Halswirbel: Alles wegen der Arbeit. Alles für 900 Euro Rente im Monat

    Lotte Wiedemann hat sich kaum Auszeiten von der Arbeit genommen. Aufgewachsen ist sie in der Jakobervorstadt, mit 18 Jahren wollte sie Köchin werden. In Lechhausen, im Wirtshaus Grüner Kranz, ließ sie sich ausbilden. Kurz vor der Abschlussprüfung aber erkrankte sie schwer an Gelbsucht. „Ein halbes Jahr war ich damals im Krankenhaus“, erzählt sie. Um Geld zu verdienen, fing sie an, als Bedienung zu arbeiten. Und blieb dabei. Bis knapp über 60 Jahre bewirtet sie die Gäste im Neuburger Hof in Lechhausen. „Ich bin gelaufen wie ein Wiesel damals. Flotte Lotte haben sie mich genannt“, erzählt sie lachend und zündet sich eine Zigarette an.

    Nicht selten musste sie zwölf Stunden arbeiten. Und das hat seinen Preis: Neue Kniegelenke auf beiden Seiten, ein Bandscheibenvorfall am Halswirbel. Alles wegen der Arbeit. Alles für heute 900 Euro Rente im Monat. „Mein Arzt meinte dann mal zu mir, dass ich nicht so einseitig arbeiten soll“. Da hab ich ihm gesagt, er soll nicht so blöd rausschwätzen. Soll er das doch mal zwölf Stunden am Tag machen, dann weiß er, was Arbeit ist.“ Kurz nach den Operationen hat Lotte Wiedemann aufgehört zu arbeiten. Als dann ihr Mann starb, vor 16 Jahren war das, ist sie in das Senioren-Wohnheim gezogen, in dem sie heute lebt.

    Die Malteser helfen Rentnerinnen und Rentnern in Augsburg mit Lebensmittelpaketen

    Das Geld hat sie sich auch damals schon bewusst eingeteilt. Und darauf geachtet, nicht zu teuer einzukaufen. „Mein Mann war da anders, der hat alles eingepackt.“ Heute kauft in der Regel ihre Tochter für sie ein. „Und ich bin ehrlich, häufig, wenn ich ihr Geld geben will, sagt sie dann: ‚Komm Mama, lass stecken.‘ Sonst wäre es wahrscheinlich nochmal schwieriger, mit dem Geld hinzukommen.“ Worauf Lotte Wiedemann trotz immer höherer Preise nicht verzichten will: das Rauchen. „Meine Tochter will mich manchmal zu E-Zigaretten überreden. Aber da sage ich: Nein, den Dreck rauche ich nicht. Das lasse ich mir nach 60 Jahren nicht nehmen.“

    Neben ihrer Tochter bekommt Wiedemann auch Unterstützung von den Maltesern. Einmal im Monat bringt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter ein Essenspaket vorbei. „Das Lebensmittelpaket reicht mir auch immer recht lange. Das kann man oft einfrieren und manchmal sind es Fertiggerichte, die man nur aufkochen muss“, sagt sie.

    Die ehrenamtlichen Mitarbeiter unterstützten auch durch Anwesenheit. In der Corona-Pandemie sind soziale Kontakte weggefallen. Mit den anderen Bewohnern im Gemeinschaftsraum Kaffee trinken, das ging nicht mehr. „Ich bin froh, dass von den Maltesern immer wieder jemand kommt. Die sind immer sehr nett.“

    Wenn es gut läuft, kann Lotte am Ende des Monats 30 Euro zurück legen. Einen Wunsch will sie sich nämlich noch erfüllen. „Ich werde bald 85, und da würde ich gerne mit Freundinnen in Passau eine Donau-Rundfahrt machen.“ Dafür legt sie Geld auf die Seite. „Das ist der eine Wunsch, den ich habe. Sonst habe ich keinen.“

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