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Rassismusdebatte: War die Umbenennung des "Hotel Drei Mohren" erst der Anfang?

Rassismusdebatte

War die Umbenennung des "Hotel Drei Mohren" erst der Anfang?

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    Die drei historischen Figuren an der Fassade und in der Lobby des Hotel Drei Mohren in Augsburg sollen - im Gegensatz zum Namen - bleiben.
    Die drei historischen Figuren an der Fassade und in der Lobby des Hotel Drei Mohren in Augsburg sollen - im Gegensatz zum Namen - bleiben. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Köpfe waren überall. Auf den Hotelbetten, an Zimmertüren und Schreibtischauflagen, an Bademänteln und Briefbögen – und natürlich an der Fassade des berühmten Hotels in der Augsburger Maximilianstraße. Dort thronen sie auch jetzt noch, hoch über dem Eingangsportal. Seit fast 300 Jahren, genauer seit 1723, spaziert der Augsburger auf seiner Prachtstraße unter den Terracotta-Büsten der „drei Mohren“ hindurch. Edel sehen sie aus, knabenhaft, geschmückt mit goldenen Borten. Die Büsten sollen bleiben – auch wenn sich der Name des Hotels Drei Mohren in den kommenden Monaten ändert.

    In der Hotelbar 3 M ist am Vormittag noch wenig los. Zwei Touristen trinken einen Kaffee. Die Bilderwand in Petersburger Hängung ist ein Blickfang. Hoteldirektor Theodor Gandenheimer hat an der Bar Platz genommen, ihm ist der Stress der vergangenen Tage anzumerken. Champagnerflaschen sind auf der Bartheke verteilt – in Champagnerlaune befindet er sich aber absolut nicht. Gandenheimer sieht müde aus. Doch er wird nicht müde zu erklären, warum sich Gesellschafter und Geschäftsführung zum viel diskutierten Schritt durchgerungen haben, das Hotel Drei Mohren umzubenennen. Seit 2015 ist er der Chef des Hotels. Eines weltoffenen Hauses mit 100 Mitarbeitern, sie stammen aus 22 Nationen.

    Hoteldirektor Theodor Gandenheimer musste zuletzt vieles erklären.
    Hoteldirektor Theodor Gandenheimer musste zuletzt vieles erklären. Foto: Silvio Wyszengrad

    Seit Gandenheimer seinen Job im Drei Mohren vor fünf Jahren angetreten hat, setzt er sich mit dem Namen seines Arbeitsplatzes auseinander. „Noch im selben Jahr haben wir an der Tourismusmesse IMEX in Las Vegas teilgenommen. Wir schickten unsere Unterlagen hin. Der Messeveranstalter empfahl uns, das Logo mit den drei Mohren wegzulassen.“

    Das Hotel Drei Mohren in Augsburg heißt jetzt Maximilian‘s

    Fünf Jahre später, Anfang August 2020, berichten Medien in ganz Deutschland über das Haus: Die Hotelleitung lässt die Bombe platzen. Das Hotel soll umbenannt werden, künftig Maximilian’s heißen, nach Kaiser Maximilian I., dem Augsburg Anfang des 16. Jahrhunderts so am Herzen lag. Dass das Hotel seinen Namen ablegt, steht symbolisch für eine Debatte, die seit Jahren brodelt und mit den weltweiten Protesten der „Black Lives Matter“-Bewegung sogar das Coronavirus zeitweise aus den Schlagzeilen schob. Die Frage ist, inwieweit sich Alltagsrassismus in Namen und Statuen vergangener Zeiten manifestiert und wie er überwunden werden kann.

    Läuft man mit Hoteldirektor Gandenheimer durch Augsburgs erstes Haus am Platz, fallen der glänzende Marmorfußboden im Foyer auf, die Vielzahl an Bildern und Skulpturen der hauseigenen Kunstsammlung, die opulenten Leuchter und Lichter. Die drei Mohren sind dagegen aus dem Erscheinungsbild des Hotels so gut wie verschwunden. Das fing ja schon weit vor der Entscheidung für einen neuen Namen an. Wurden neue Handtücher bestellt, orderte man sie ohne die stereotype Darstellung vom Schwarzen mit dicken Lippen und krausem Haar. Bademäntel und Briefbögen? Heute ohne Figuren.

    In einer kleinen Kammer werden gerade die letzten Gegenstände mit dem Logo der Drei Mohren zusammengetragen und wechseln ihren Besitzer. In einem Ständer warten noch etwa ein Dutzend Regenschirme. Sektflaschen und der hauseigene Honig mit aufgedrucktem Emblem werden plötzlich genauso zum gefragten Andenken wie die Becher mit schwarzem Logo, von denen es nur noch einen einzigen gibt. „Ich kann verstehen, dass viele Menschen an dem Hotelnamen hängen“, sagt Gandenheimer. „Ich bin selber ein Augsburger. Aber es war eine wirtschaftliche Entscheidung, die respektiert werden muss.“

    Aufgrund des Hotelnamens habe es immer mehr Absagen von Privatpersonen gegeben – Firmen und Institutionen hatten ein Problem mit den drei Mohren. Eine Umbenennung sei immer mal wieder diskutiert worden. „Die ,Black Lives Matter‘-Bewegung hat die Entscheidung dann beschleunigt“, erklärt der Hotelchef. Zwischen 50.000 und 60.000 Euro wird die Einführung des neuen Namens Maximilian’s kosten. Das Hotelrestaurant heißt schon seit 1997 so.

    Der Soziologe sieht mehrere Gründe für Umbenennungen

    Reiner Keller ist auch ein Augsburger, zumindest von Berufs wegen. Er leitet den Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Augsburg. Umbenennungen wie beim Drei Mohren sieht er als ein Zeichen für eine gestiegene Sensibilität. „Das hat immer einen gesellschaftlichen Vorlauf.“ Protestaktionen, wie es sie in der Vergangenheit auch in der Fuggerstadt gab, seien erste Anstöße, die mit der Zeit mehr Menschen teilten. Er versucht diese Zunahme an Diskussionen mit einer Metapher zu beschreiben: „Das kann man sich vorstellen wie verschiedene Rinnsale, die immer mehr zusammenfließen und öffentlich breiter und präsenter werden.“

    Der alte Name ist überall, sogar an dieser unscheinbaren Holzkiste.
    Der alte Name ist überall, sogar an dieser unscheinbaren Holzkiste. Foto: Silvio Wyszengrad

    In Berlin haben die Verkehrsbetriebe kürzlich angekündigt, den U-Bahnhof „Mohrenstraße“ umzubenennen. Und auch der Lebensmittelhersteller Knorr gibt seiner „Zigeunersauce“ einen neuen Namen. Während bei der U-Bahn-Station noch keine neue Bezeichnung feststeht, soll die Sauce „Paprikasauce Ungarische Art“ heißen. Warum scheint nun der Zeitpunkt für Umbenennungen gekommen?

    Tahir Della von der „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) sagt, dass es seit mehr als 30 Jahren Initiativen gebe, die sich in diesem Themenfeld engagieren, denen aber lange nicht zugehört worden sei. Dieses Engagement werde jetzt von der jüngeren Generation aufgegriffen. Della, der wegen seiner Hautfarbe selbst schon häufig diskriminiert wurde, sieht somit durchaus einen Konflikt verschiedener Generationen.

    Als weiteren Faktor benennt er die Proteste nach dem Tod des Afro-Amerikaners George Floyd im Mai 2020. Ein Polizist in den USA hatte sein Knie mehr als sieben Minuten lang auf Floyds Hals gedrückt, Passanten filmten das Vorgehen. „Wir haben schon in Deutschland reihenweise Fälle gehabt, wenn ich an Halle, an Hanau, den NSU-Komplex denke. All das sind Ereignisse gewesen, wo wir schon eine tiefergehende Rassismus-Debatte gebraucht hätten. Die hat so nie stattgefunden.“ In Halle hatte im Oktober 2019 der schwer bewaffnete Rechtsextremist Stephan B. versucht, in eine Synagoge einzudringen, um die dort anwesenden Menschen zu töten. Als ihm das nicht gelang, erschoss er zwei Personen. In Haunau gab es im Februar 2020 einen rechtsextremistischen Anschlag mit neun Toten. Della glaubt, dass jetzt das brutale Video vom Tod George Floyds „deutlich gemacht hat, was da in unserer Gegenwart stattfindet“.

    Soziologe Keller sieht nicht einen einzigen Punkt als ausschlaggebend an, sondern mehrere Faktoren. Da sei die gestiegene Mobilität auf der Welt. Junge Erwachsene reisen ins Ausland, um zu arbeiten, der Austausch mit Menschen aus anderen Ländern war noch nie so leicht wie heute. Das habe die Grundlagen bereitet, dass sich viele Menschen stärker mit diesen Themen auseinandersetzten. Die Sensibilität für Diskriminierung sei gestiegen, ebenso die Bereitschaft, sich dagegen zu engagieren, aber auch die Anerkennung historischer Verantwortungen der Kolonialgeschichte. Über die sozialen Medien könnten sich Initiativen heute schnell vernetzen. Doch auch in der Vergangenheit habe es Kämpfe um Anerkennung gegeben: „Es haben früher beispielsweise die Frauenbewegungen für das Wahlrecht gekämpft und auch gegen bestimmte Begriffe, mit denen Frauen bezeichnet wurden.“

    Umbenennung des Hotel Drei Mohren: Vorbild für andere?

    Eine grundsätzliche Auseinandersetzung verschiedener Generationen erkennt Julika Mücke, Mitglied des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung, in den Protesten gegen Alltagsrassismus nicht: „Es ist ja immer die Frage, wer auf der Straße sichtbar ist. Statistisch gesehen ist es schon so, dass in Deutschland eine gebildete jüngere Mittelschicht protestieren geht. Aber das sind nicht die einzigen, die da eine Rolle spielen.“ Manche Aktivisten säßen in den Städten in Parlamenten, andere seien in Gruppen vor Ort aktiv. Ungeachtet des derzeitigen „Rechtsrucks in Europa und der Welt“ habe sich ein „öffentliches Aufmerksamkeitsfenster“ geöffnet, sodass über bestimmte Aspekte wie koloniale und rassistische Namensgebungen gesellschaftlich diskutiert werden könne. „Für Leute, die von Rassismus betroffen sind, ist das immer ein Thema.“ Die weitere Entwicklung der Proteste ist für die Kulturwissenschaftlerin schwer vorhersehbar: „Bei Protesten und aktivistischen Bewegungen hängt viel davon ab, was sonst in der Welt passiert. Themen werden manchmal auch wieder an den Rand gedrückt.“ Doch Mücke vermutet, dass sich der gesellschaftliche Druck erhöht und die Akteure, wie Firmen oder Stadträte, handeln müssen.

    Die Mehrheit der Bürger kann mit Umbenennungen wie in Augsburg nichts anfangen. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag unserer Redaktion sprechen sich 72,1 Prozent der Befragten gegen Namensänderungen aus, 18,1 Prozent sind dafür, der Rest ist unentschlossen. Auch viele Augsburger wollen sich mit der Umbenennung „ihres“ Traditionshotels nicht so recht anfreunden. Sie beklagen eine „Vernichtung alter Traditionen“ und werfen der Hotelleitung vor, vor einer „Minderheit von Aktivisten“ eingeknickt zu sein. Obwohl die Black-Lives-Matter-Bewegung die Diskussion über Alltagsrassismus auch in Deutschland vorangebracht hat, hat sich an den Ansichten vieler Bürger zur Umbenennung des Drei Mohren nicht viel geändert. Der Name habe nichts mit Rassismus zu tun – im Gegenteil: Das Hotel wurde so genannt, weil ein Gastwirt in der Maximilianstraße einst drei schwarze Mönche beherbergt hatte. „Drei Mohren“ sei damit kein Ausdruck von Rassismus, sondern von Gastfreundschaft und Ehrerbietung gegenüber Menschen anderer Herkunft.

    Nicht alle „Mohren“ verschwinden

    So oder so: In den kommenden Monaten soll das Top-Hotel nach und nach mit seinem neuen Namen versehen werden. Schilder müssen an vielen Stellen des großen Hauses mit 132 Zimmern und Suiten ausgetauscht werden. „Selbst auf den Darstellungen des Fluchtwegs steht er“, sagt Direktor Gandenheimer. Auf einem Steinschnitt, der im Eingangsbereich des hoteleigenen Sternerestaurants Sartory hängt, sind drei opulent gekleidete und golden verzierte Mohren abgebildet, die ein Getränk und ein Obstschale reichen. Wie die bekannten Büsten am Eingang wird der Steinschnitt ebenfalls hängen bleiben. „Er steht unter Denkmalschutz“, sagt Theodor Gandenheimer.

    Doch wie wird es außerhalb Augsburgs weitergehen? Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen glaubt, „dass wir erst am Anfang stehen. Die Umbenennung des Hotels hat Signalwirkung.“ Der öffentliche Raum sei stark von rassistischen Darstellungen geprägt, „ob das Statuen, Denkmäler, Apotheken oder Straßennamen sind“. Für Della ist es auch die Frage, auf welche Werte sich eine Gesellschaft beruft. Es gehe nicht darum, jemandem etwas wegzunehmen, sondern eine Gesellschaft zu haben, die frei von Diskriminierung ist.

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