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Prozess in Augsburg: Tödlicher Schlag am Königsplatz: Auf einmal wird es still im Saal

Prozess in Augsburg

Tödlicher Schlag am Königsplatz: Auf einmal wird es still im Saal

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    Die Aufarbeitung der tödlichen Gewalttat vom Augsburger Königsplatz hat am Dienstag begonnen. Drei junge Männer sind angeklagt.
    Die Aufarbeitung der tödlichen Gewalttat vom Augsburger Königsplatz hat am Dienstag begonnen. Drei junge Männer sind angeklagt. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Es wird still im Gerichtssaal, als die Videoaufnahmen abgespielt werden. Erst ist eine Gruppe von Jugendlichen und jungen Männern zu sehen. Sie schlendern aus der Fußgängerzone kommend über den Augsburger Königsplatz. Breitbeinig, selbstbewusst, das fast schon altmodische Wort Halbstarke trifft es vielleicht ganz gut. Einer lässt eine leere Zigarettenschachtel fallen und kickt sie weg. Sie sprechen Passanten an. Dann gibt es eine Schubserei, einen Faustschlag von der Seite – und ein Mann sackt plötzlich zu Boden. Er bleibt regungslos liegen.

    Der Mann wird nicht mehr aufstehen. Roland S. stirbt, mit 49 Jahren, vor den Augen seiner Ehefrau. Er stand mitten im Leben, war von Beruf Feuerwehrmann bei der Berufsfeuerwehr in Augsburg, engagierte sich auch privat bei der Freiwilligen Feuerwehr in Neusäß.

    Andrang vor dem Prozess zur tödlichen Attacke am Königsplatz.
    Andrang vor dem Prozess zur tödlichen Attacke am Königsplatz. Foto: Silvio Wyszengrad

    Die Tat am Nikolausabend vorigen Jahres löste Entsetzen und große Trauer in der Stadt aus. Dutzende Feuerwehrleute versammelten sich am Tatort und gedachten ihres Kameraden. Menschen legten Blumen ab, Kerzen leuchteten. Auf der Adventsstimmung in der Stadt lag ein dunkler Schleier. Bundesweit machte die Tat Schlagzeilen. Die ausländischen Wurzeln der Verdächtigen riefen schnell Vertreter des rechten Spektrums auf den Plan. Pegida demonstrierte am Königsplatz, rechte Blogger griffen den Fall auf und stilisierten ihn teils zu einem Zeichen gescheiterter Integration.

    Der Jüngste hat am Augsburger Königsplatz zugeschlagen

    Zehn Monate danach stehen drei junge Männer vor der Jugendkammer des Augsburger Landgerichts. In einem großen Saal des Justizpalasts, keine 300 Meter Luftlinie vom Tatort entfernt. Der jüngste Angeklagte, Halid S., 17, hat dem 49-Jährigen den tödlichen Faustschlag verpasst. Zwei weitere junge Männer, 18 und 20 Jahre alt, sind angeklagt, weil sie bei der Auseinandersetzung am Königsplatz einen Freund des Getöteten zusammengeschlagen haben sollen. Der 51-Jährige erlitt dabei schwere Kopfverletzungen.

    Am Morgen gab es lange Schlangen vor dem Gericht, die ersten Prozessbeobachter hatten schon in der Nacht vor dem Gebäude ausgeharrt.  
    Am Morgen gab es lange Schlangen vor dem Gericht, die ersten Prozessbeobachter hatten schon in der Nacht vor dem Gebäude ausgeharrt.   Foto: Silvio Wyszengrad

    Die drei Angeklagten gehörten zu der siebenköpfigen Gruppe, die an diesem Abend in der Stadt unterwegs war. Sie hatten sich erst im Stadtteil Kriegshaber getroffen, dort Alkohol gekauft und getrunken, Bier, Wodka, Rum, Whisky, Jägermeister. Halid S. sagt vor Gericht: „Wir waren sieben Leute und hatten vier, fünf Liter Alkohol dabei.“ Dann fuhren sie gemeinsam in die Stadt – wo es später, gegen 22.40 Uhr, zum Aufeinandertreffen mit den Opfern kam.

    Eine wichtige Frage im Prozess wird sein: Wie waren die Jugendlichen drauf, als sie durch die Stadt zogen? Angetrunken, aber gut gelaunt und auf Party aus, so wie sie es nun im Prozess berichten? Oder aggressiv, womöglich mit dem Ziel unterwegs, Stress zu machen – so wie es die Ermittler der Kripo zunächst vermuteten?

    Nach der Tat am Kö flohen die sieben Beteiligten

    Nach der Tat flüchteten alle aus der siebenköpfigen Gruppe. In den Tagen danach stellten sie sich aber teilweise selbst oder wurden festgenommen. Dank der Videoaufnahmen vom Tatort war es für die Polizei kein großes Problem, sie zu ermitteln. Seit Ende 2018 überwacht die Augsburger Polizei den zentralen Platz in der Innenstadt mit Kameras, weil er als Kriminalitätsschwerpunkt gilt. Zunächst wurden alle sieben aus der Gruppe eingesperrt, die Staatsanwaltschaft warf ihnen anfangs Totschlag beziehungsweise Beihilfe zum Totschlag vor. Es folgte ein juristisches Tauziehen zwischen Verteidigern und Staatsanwaltschaft. Im März entschied dann das Bundesverfassungsgericht, dass alle außer dem Haupttäter freigelassen werden müssen. Die Verfassungsrichter begründeten ihre Entscheidung unter anderem damit, dass einige nur anwesend, aber nicht an der Tat beteiligt gewesen seien.

    Auch die Staatsanwaltschaft folgt nun dieser Sichtweise. Halid S. wird nicht mehr Totschlag, was einen Tötungsvorsatz voraussetzen würde, sondern Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen. Die Attacke auf den Freund des Getöteten wertet Ankläger Michael Nißl als gefährliche Körperverletzung.

    Viele Menschen hatten im Dezember 2019 am Tatort Kerzen abgestellt - und ein kleines Feuerwehrauto.
    Viele Menschen hatten im Dezember 2019 am Tatort Kerzen abgestellt - und ein kleines Feuerwehrauto. Foto: Silvio Wyszengrad

    Der 51-jährige Freund von Roland S. erzählt am ersten Prozesstag als Zeuge, wie er die Tat erlebt hat. Sie waren an jenem Abend zu viert auf dem Christkindlesmarkt, Roland S., der Freund und ihre beiden Ehefrauen. Er habe auf dem Markt drei, vier Glühwein getrunken und danach im Lokal „Commerzienrat“ noch ein Pils. Danach wollten die Paare nach Hause. Am Kö ging dann alles ganz schnell. Er habe nur gehört, wie jemand nach einer Zigarette gefragt habe. Roland S. sei umgekehrt, es habe ein kurzes Wortgefecht gegeben und einen Schubser. Dann sei sein Freund zusammengesackt. Den Schlag habe er nicht gesehen. „Das ging alles so blitzartig schnell“, berichtet der Mann.

    Der Freund von Roland S. sah nicht, wer ihn schlug

    Er sei rasch zurück, habe kurz nach seinem Freund auf dem Boden gesehen und jemanden weggeschubst. Dann sei auf ihn eingeschlagen worden. Wer das war, könne er nicht sagen. Der 51-Jährige erlitt einen Jochbeinbruch und einen Bruch der Kieferhöhle. Sehr schnell seien zwei Polizisten da gewesen, eine Beamtin habe versucht, seinen Freund wiederzubeleben. Kurz darauf sei ein Krankenwagen gekommen. Dorthin wurde er zur Behandlung gebracht. Und dort erfuhr er nach seinen eigenen Worten dann auch, dass sein Freund tot ist.

    Es reichte ein einziger, wuchtiger Schlag. Halid S. traf das Kinn des Mannes mit solcher Wucht, dass der Kopf auf die Seite schnellte und die Hirngrundschlagader einriss. Er starb an einer Hirnblutung. Jede Hilfe kam zu spät. Halid S. äußert sich im Prozess bisher nicht selbst. Sein Verteidiger Marco Müller verliest eine Erklärung. Darin gibt S. an, er habe nicht damit gerechnet, dass der 49-Jährige durch den einen Schlag sterbe. Und: „Ich wollte nicht, dass es so ausgeht.“ Er bedaure das, was geschehen sei, sehr. S. lässt erklären, einer seiner Freunde habe den 49-Jährigen am Königsplatz nach eine Zigarette gefragt. Darauf habe der 49-Jährige sich umgedreht und mit „Schnauze“ geantwortet. Sein Freund habe dann sinngemäß gefragt: „Was, wie Schnauze?“. Dann sei das spätere Todesopfer auf seinen Freund zugegangen und habe ihn in „aggressiver Weise“ weggestoßen. Halid S. gibt an, er habe zugeschlagen, weil er sich Sorgen um seinen Freund gemacht habe. Er habe gedacht, sein Kumpel sei bei einer körperlichen Auseinandersetzung unterlegen.

    Das Leben des Angeklagten? „Eigentlich ganz normal“

    Der Vorsitzende Richter Lenart Hoesch fragt den 17-Jährigen, wie sein Leben bisher verlaufen sei – es geht vor Gericht immer auch darum, die Persönlichkeit der Angeklagten auszuleuchten. „Eigentlich ganz normal“, antwortet Halid S. Er musste öfter die Schule wechseln, weil seine Eltern mehrmals in einen anderen Stadtteil zogen. Er schaffte aber den Mittelschulabschluss und begann eine Lehre als Elektriker. Er trainierte viel im Fitnessstudio, vier, fünf Mal in der Woche. Am Wochenende traf er sich mit seinen Freunden, man trank viel Alkohol und war unterwegs. Die beiden anderen Angeklagten berichten ähnliches. Der 20-Jährige arbeitete sich sogar von der Förderschule bis zur Mittleren Reife vor. Er engagierte sich ehrenamtlich im Augsburger Projekt „Heroes“. Das richtet sich an männliche Jugendliche aus Ehrenkulturen, es geht um ein gewaltfreies und gleichberechtigtes Zusammenleben. Der 20-Jährige wurde zum „Hero“ (deutsch: Held) ausgebildet, er durfte Workshops mit Schülern abhalten. Ein „Hero“ ist er nicht mehr. Er sei wegen der Tat aus dem Projekt rausgeflogen, sagt er. Sein Verteidiger Moritz Bode erklärt, der junge Mann schäme sich für sein Verhalten.

    Trauernde Feuerwehrmänner im Dezember 20109 am Königsplatz in Augsburg.
    Trauernde Feuerwehrmänner im Dezember 20109 am Königsplatz in Augsburg. Foto: Stefan Puchner, dpa (Archiv)

    Doch sind die jungen Männer so harmlos, wie sie sich geben? Bei der Polizei hat man daran bis heute Zweifel. Beamte der Polizeiinspektion im Stadtteil Oberhausen hatten mehrere aus der siebenköpfigen Gruppe schon seit einiger Zeit im Blick, darunter auch Halid S. Sie schrieben S. und andere einer Art Gang zu, die sich „54“ genannt haben soll – in Anlehnung an die Postleitzahl des Stadtteils Oberhausen. Es soll dabei um kleinere Drogengeschäfte mit Marihuana gegangen sein, auch um Konflikte mit anderen Gruppen. Ein internes Dokument der Polizei, das unserer Redaktion vorliegt, weist auf diesen Verdacht hin. S. entgegnet aber, dass es nie eine „54er“-Gang gegeben habe. Und offenbar ließ sich der Verdacht nicht so erhärten, dass er in die Anklageschrift aufgenommen werden konnte.

    Täter vom Königsplatz soll „ausgeprägte Gewaltbereitschaft“ besitzen

    Die Ermittler gehen bei Halid S. aber von einer „ausgeprägten Gewaltbereitschaft“ aus, wie es in Akten heißt. Das hätten die Ermittlungen, auch zu seinem schulischen Werdegang, ergeben. Auf seinem Handy fanden die Beamten brutale Gewaltvideos, auch Tötungsszenen. Im Jugendgefängnis soll er gegenüber Mithäftlingen gesagt haben: „Ihr seid kleine Wichtigtuer, ich habe schon einen totgeschlagen.“ Halid S. bestreitet vor Gericht allerdings diese Äußerung.

    Angesichts solcher möglichen Sprüche dürfte sich bei der Witwe des toten Feuerwehrmannes alles umdrehen. Die Frau muss am Mittwochmorgen ihren schweren Gang in den Zeugenstand antreten. Ihre Anwältin Isabel Kratzer-Ceylan schildert die Verfassung der Frau mit drastischen Worten: „Es geht ihr schlecht. Die Leere im Inneren, der Schmerz ist unerträglich.“ Die Witwe sei nach außen hin „bewundernswert stark“. So sei sie nur vier Wochen nach der tödlichen Gewalttat wieder zur Arbeit gegangen – vor allem aber, um Halt und Struktur zu bekommen.

    Die Erlebnisse vom Abend des 6. Dezember 2019 haben aber tiefe Wunden bei der Witwe hinterlassen. Die Zeugenaussage sei für die Frau eine „wahnsinnige Herausforderung“. „Sie hat extreme Angst vor der Situation“, berichtet die Anwältin. Denn sie müsse ja nicht nur über ihre Empfindungen sprechen, sondern sich detailliert an den schrecklichen Abend zurückerinnern und dem Gericht schildern, was sich genau abgespielt hat. „Das wird extrem hart für sie“, betont Kratzer-Ceylan.

    Dieser Artikel ist nach Tag eins im Prozess entstanden. Lesen Sie dazu auch den Bericht vom zweiten Prozesstag, an dem die Ehefrau des Getöteten vor Gericht ausgesagt hat. Auf unserer Sonderseite finden Sie zudem alle Artikel über den Prozess in Augsburg zum tödlichen Schlag am Kö.

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