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Prozess in Augsburg: Schüsse im Netto am Kö: Warum war eine Bodycam der Polizei ausgeschaltet?

Prozess in Augsburg

Schüsse im Netto am Kö: Warum war eine Bodycam der Polizei ausgeschaltet?

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    Wollte er Beamte mit einem Messer attackieren? Der 20-jährige Angeklagte im Netto-Prozess mit seinem Verteidiger Werner Ruisinger.
    Wollte er Beamte mit einem Messer attackieren? Der 20-jährige Angeklagte im Netto-Prozess mit seinem Verteidiger Werner Ruisinger. Foto: Silvio Wyszengrad

    Im Prozess um die Schüsse auf einen Ladendieb, der im Netto-Supermarkt am Königsplatz Polizisten mit einem Messer angegriffen haben soll, hat die Jugendkammer beim Augsburger Landgericht gestern etliche Polizisten gehört, die in dem dramatischen Vorfall Mitte Juni 2020 involviert waren. Werner Ruisinger, dem Verteidiger des wegen versuchten Totschlags angeklagten 20-Jährigen, ging es vor allem um zwei Fragen: Hätten die Schüsse, die seinen Mandanten schwer verletzten, durch einen anderen Einsatz verhindert werden können? Und: Warum wurde angeordnet, die Bodycam eines Polizeipraktikanten abzuschalten?

    Einige Polizisten in Augsburg filmen manche Einsätze mit sogenannten „Body-Cams“.
    Einige Polizisten in Augsburg filmen manche Einsätze mit sogenannten „Body-Cams“. Foto: Annette Zoepf (Archivbild)

    Wie berichtet, war der Angeklagte damals beim Diebstahl eines Tetra-Paks Wein erwischt worden, hatte dann im Büro des Ladendetektivs diesen und einen Polizisten mit einem Nothammer sowie einem Messer bedroht. Nachdem er eingesperrt worden war, legte er im Büro Feuer. Deshalb rammte die Polizei die Türe ein. Dann kam es zu den Schüssen. Der 20-Jährige war von sechs Kugeln, teils im Oberkörper, getroffen worden.

    Prozess in Augsburg: Die Situation im Netto am Kö ist plötzlich eskaliert

    Alle gestern vom Gericht unter Vorsitz von Lenart Hoesch vernommenen Beamten schildern übereinstimmend, dass die Situation nach der Brandlegung urplötzlich eskaliert sei. Nach dem Auframmen der Türe sei dichter Rauch aus dem Büro gekommen. Man habe mit Feuerlöschern in den Raum gesprüht, Pfefferspray eingesetzt, um den Angeklagten zum Aufgeben zu bewegen. "Es war chaotisch", erinnerte sich eine Beamtin.

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    Am Freitagabend kam es zu einem Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr am Königsplatz - dabei hat die Polizei wohl auch geschossen.

    Den Angeklagten habe man schemenhaft hin- und herlaufen sehen, etwas metallisch Glänzendes in der Hand. Der 26-jährige Polizist, der später schoss, hatte sich mit einer sogenannten ballistischen Decke ausgerüstet, die unter anderem gegen Messerattacken schützen soll. Als der Angeklagte, so berichtet der Beamte, mit dem Messer in der erhobenen Hand auf ihn zuging, habe er ihn zunächst mit der Decke zurückgestoßen. Und als der 20-Jährige erneut auf ihn zugekommen sei, "habe ich gefeuert, um mich und meine Kollegen zu schützen". Im selben Augenblick gab auch ein danebenstehender zweiter Polizist mehrere Schüsse aus seiner Dienstwaffe ab. Dass der Angeklagte kurz zuvor "Ich stech' dich ab" geschrien haben soll, konnte keiner der vernommenen Zeugen bestätigen.

    Schüsse im Netto - Einsatzleiter erklärt: "Ich musste schnell entscheiden"

    Ausführlich erläuterte der Einsatzleiter der Polizei seine Anordnungen. "Ich musste schnell entscheiden", begründete er, warum man beim Zugriff nicht auf speziell ausgerüstete Einsatzkräfte gewartet habe. "Da kam enorm starker Rauch aus dem Büro. Es war klar, da müssen wir rein", schildert der Außendienstleiter die Zuspitzung des Geschehens. Dann hätten sich die Ereignisse "überschlagen". Die unmittelbare Abgabe der Schüsse auf den Angeklagten hatte der Beamte, so sagte er, nicht mit eigenen Augen gesehen. "Ich hörte Schreie und die Aufforderung, 'Lass das Messer fallen'. Dann ist geschossen worden."

    Immer wieder drehten sich die Fragen auch um die Anordnung, eine Bodycam abzuschalten. Der Einsatzleiter erklärte grundsätzlich, jeder Beamte entscheide selbst, ob er die Kamera die am Körper getragen wird, aktiviert. Das Einschalten werde nicht angeordnet. Fest steht, dass damals mindestens ein Polizeipraktikant die Bodycam laufen hatte. Der Einsatzleiter hatte dann das Ausschalten angeordnet. Er begründete das so: "Wir hatten eine taktische Besprechung, wie wir vorgehen sollen. Dieses Einsatzkonzept ist Verschlusssache. Bei diesem Gespräch hatte eine Bodycam nichts verloren."

    Der Einsatzleiter wandte sich am Ende seiner Aussage vehement gegen den seiner Meinung nach in der Luft liegenden unausgesprochenen Vorwurf, die Polizei habe mit der Abschaltung irgendetwas vertuschen wollen. Er wage im Übrigen zu bezweifeln, dass aufgrund der Situation vor Ort überhaupt etwas Beweiskräftiges zu sehen gewesen wäre, wäre die Bodycam gelaufen. Als Fazit der Geschehnisse sagte der Beamte: "Der Angeklagte hat uns gezwungen, so zu reagieren." Der Prozess wird am 18. Juni fortgesetzt.

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