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Prozess in Augsburg: Schüsse im Netto am Kö: 20-Jähriger zu fast sechs Jahren Jugendhaft verurteilt

Prozess in Augsburg

Schüsse im Netto am Kö: 20-Jähriger zu fast sechs Jahren Jugendhaft verurteilt

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    Nico M. ist unter anderem des versuchten Totschlags schuldig gesprochen worden. Er war in der Netto-Filiale am Königsplatz auf Polizisten losgegangen.
    Nico M. ist unter anderem des versuchten Totschlags schuldig gesprochen worden. Er war in der Netto-Filiale am Königsplatz auf Polizisten losgegangen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten hat die Jugendkammer beim Landgericht am Dienstag den 20 Jahre alten Nico M. verurteilt. Die Kammer wertete den versuchten Messerangriff auf Polizisten bei einer Festnahmeaktion in der Netto-Filiale am Königsplatz am 10. Juni 2020 juristisch als versuchten Totschlag. Das Urteil nach zwölf Prozesstagen umfasst zahlreiche weitere Delikte von der Beleidigung über tätlichen Angriff auf Vollzugsbeamte bis zur versuchten schweren Brandstiftung während einer völlig desolaten Lebensperiode des Angeklagten in den drei Monaten vor dem Drama im Supermarkt, bei dem Nico M. durch sechs Schüsse aus Polizeipistolen lebensgefährlich verletzt worden war. Die Verteidiger sind mit dem Urteil nicht einverstanden.

    Das Gericht unter Vorsitz von Lenart Hoesch ordnete im Urteil auch die Unterbringung zur Therapie in einer geschlossenen Einrichtung an, die maximal zwei Jahre dauern kann. Würde der Schuldspruch in Kürze rechtskräftig, könnte Nico M., der bereits ein Jahr in Untersuchungshaft einsitzt, nach einer zweijährigen erfolgreichen Therapie sogar auf Bewährung freikommen. Die Verteidiger des 20-Jährigen, Werner Ruisinger und Florian Schraml, sagten nach dem Urteil, sie seien mit der rechtlichen Würdigung der Kerntat nicht einverstanden und überlegten, ob sie in Revision gingen. Die Anwälte waren lediglich von einem tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte ausgegangen und hatten einen Tötungsvorsatz verneint. Sie hatten dreieinhalb Jahre Jugendhaft insgesamt für angemessen gehalten. Der Vertreter der Anklage, Staatsanwalt Benjamin Junghans hatte sechseinhalb Jahre Jugendhaft gefordert.

    Netto-Ladendieb hat schon in der Kindheit Drogen konsumiert

    In der 20 Minuten dauernden Urteilsbegründung skizzierte Richter Lenart Hoesch kurz das Leben des jungen Mannes, der schon in der Kindheit Drogen konsumierte, teils sogar zusammen mit seinem Vater, den das Gericht dem kriminellen Milieu zuordnete. Zuletzt hatte sich Nico M. bettelnd in Augsburg herumgetrieben und erhebliche Mengen Alkohol und Rauschgift zu sich genommen.

    Am Tattag hatte er einen Tetrapack Wein im Wert von einem Euro in der Netto-Filiale unter seinem Pulli durch die Kassen geschmuggelt, war vom Ladendetektiv gestellt und dann in dessen Büro gebracht worden, wo er sich zunächst völlig ruhig verhielt. Als ein Polizist Nicos Messer, das der Detektiv ihm abgenommen hatte, sicherstellen wollte, rastete der damals 19-Jährige plötzlich völlig aus, griff sich das Messer und drohte dem Polizisten, ihn abzustechen. Der sperrte Nico im Büro ein, worauf dieser Feuer legte.

    Noch nach den Schüssen im Netto am Kö musste Nico M. fixiert werden

    Mehrere Versuche, Nico durch Pfefferspray und Löschschaum in dem völlig verqualmten Büro zur Aufgabe zu bewegen scheiterte. Deshalb rammten Polizisten die Türe auf, danach erschien Nico mit dem Messer in der Hand im Türstock, wurde einmal zurückgestoßen. Als er erneut mit erhobener Messerhand auf die Beamten zuging, schossen zwei aus ihren Pistolen insgesamt sechs Kugeln ab, die Nico im Oberkörper und an einem Arm trafen. Wie vollgepumpt mit Adrenalin der Heranwachsende damals war, führte Richter Hoesch an einem Beispiel vor Augen: „Der Angeklagte musste sogar nach den Schüssen noch mit Gewalt am Boden fixiert werden.“

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    Am Freitagabend kam es zu einem Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr am Königsplatz - dabei hat die Polizei wohl auch geschossen.

    Für das Gericht, so Hoesch, habe sich letztlich durch zahlreiche Zeugenaussagen ein "stimmiges Bild“ ergeben. Die Stichbewegung mit dem Messer hätte, wäre sie ausgeführt worden, einen der Beamten tödlich verletzen können. Nico M. habe zwar nicht mit direkten, aber mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Deshalb sei die Tat als versuchter Totschlag zu werten. Nico M. nahm das Urteil äußerlich völlig ruhig entgegen.

    Hören Sie sich dazu auch unsere Podcastfolge über spannende Kriminalfälle in Augsburg an:

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