Dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe lautet das Urteil gegen einen 21-jährigen Angeklagten, der in Augsburg drei Opfer schwer im Gesicht verletzt hatte. Bei einer der Taten hatte der Angreifer seinem Opfer frühmorgens auf dem Königsplatz mit einem Teleskopschlagstock fünf Zähne ausgeschlagen. Es war nicht der einzige Fall brutaler Gewalt.
Falsche Freunde, Alkohol, Drogen. Dieser Mix könnte es gewesen sein, warum er derart aggressiv reagiert habe, meinte der Angeklagte im Prozess. Ja, er sei einer aus der sogenannten Gruppe 59, alles junge Leute aus dem Hochfeld, die ihren Gruppennamen von der Postleitzahl ableiten. Rund ein Dutzend junger Männer und Frauen wartete während der Verhandlung vor dem zusätzlich bewachten, coronabedingt nur spärlich bestuhlten Sitzungssaal im Strafjustizzentrum. Öffnete sich die Tür, riefen sie ihren Kumpel Aufmunterungen zu. Einen Kopf kleiner als die anderen Männer im Saal, schmächtig – kaum jemand würde dem 21-Jährigen auf Anhieb derartige Gewalttaten zutrauen, wie er sie vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Richterin Angela Friehoff gestand.
Am Königsplatz schlug er ihm fünf Zähne nahezu aus
Zunächst ging es um eine Attacke im November 2019 in der Hochfeldstraße im Wohnumfeld des Angeklagten. Nach einem fehlgeschlagenen Drogengeschäft traten der Angeklagte und ein weiterer Tatverdächtiger einem Mann mehrfach mit den Füßen gegen den Kopf. Das Opfer erlitt Prellungen und einen Jochbeinbruch. Dann die Tat vom Januar 2020 am Königsplatz: Vor der Ihle-Bäckerei-Filiale begegnete morgens um 5.15 Uhr ein 25-Jähriger einer Gruppe junger Leute, darunter der Angeklagte. Er sei nach einer Zigarette gefragt worden, erinnerte sich der 25-Jährige, dann habe er unvermittelt vom Angeklagten einen Hieb mit dem Schlagstock ins Gesicht erhalten. Fünf Zähne mehr oder weniger ausgeschlagen, die Lippe blutig, drei Tage im Krankenhaus, zahlreiche Zahnarztbesuche, abwechselnd Gefühllosigkeit und Schmerzen – so berichtete es der Geschädigte vor Gericht.
Nach einer öffentlichen Fahndung stellte sich Augsburger selbst
Eine der Videokameras am Königsplatz zeichnete die Gewalttat auf. Ein halbes Jahr später schlug der Angeklagte erneut zu. In der Hallstraße begegneten sich an einem Juliabend 2020 zwei Gruppen junger Leute. Erst klatschte man sich ab, dann versetzte der Angeklagte einem Gegenüber unvermittelt einen Kampfsport-Fußtritt gegen den Kopf. Auch hier erlitt das ahnungslose Opfer mehrere Gesichtsverletzungen. Als die Polizei öffentlich nach dem Angreifer fahndete, stellte sich der junge Mann schließlich selbst. Im Oktober 2020 landete er in München-Stadelheim in Untersuchungshaft, wo er bis heute sitzt. Hinter verschlossener Tür vereinbaren das Gericht, die Staatsanwaltschaft, Nebenklage und die Verteidigung einen Strafrahmen zwischen 40 und 46 Monaten Freiheitsstrafe für den Fall, dass der Angeklagte ein Geständnis ablegt. Das tat er und ersparte dem Gericht eine möglicherweise umfangreiche Beweisaufnahme.
Unstrittig unter allen Beteiligten war, den Angeklagten gemäß Jugendstrafrecht zu beurteilen. Staatsanwalt Daniel Kulawig forderte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten, er kritisierte vor allem die Brutalität des Angeklagten. Verteidiger Felix Dimpfl verwies vor seinem Plädoyer auf eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten auf das werthaltige Geständnis seines Mandanten, dessen Reue und Einsichtigkeit sowie die Bereitschaft zur Wiedergutmachung. Der Rechtsanwalt bat das Gericht, den Angeklagten, der seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft sitzt, aus dem Gefängnis zu entlassen, da keine Fluchtgefahr bestehe.
Eltern verfolgen fassungslos den Prozess
Und er bat, dem Angeklagten, der ohne Einkommen ist, die Verfahrenskosten zu erlassen, da er wohl jahrelang für Behandlung seines Opfers zu bezahlen haben werde. Apropos Kosten: Mittels eines sogenannten Adhäsionsantrages erledigte das Strafgericht eine zivilrechtliche Auseinandersetzung wegen Schmerzensgeldes gleich mit. Einen Betrag von über 7000 Euro an Schmerzensgeld, Schadensersatz, Behandlungs- und Prozesskosten hat Nebenklägervertreter Michael Neuhierl für den geschädigten 25-Jährigen errechnet. Sollte der Angeklagte seinen Zahlungsverpflichtungen im vereinbarten zeitlichen Rahmen nachkommen, gebe man sich mit 5400 Euro zufrieden. Dieser Vereinbarung stimmten die Beteiligten zu, sie ist Bestandteil des Urteils.
Darin zeigte Richterin Friehoff auf, dass Heranwachsende zwar statistisch gesehen immer weniger Straftaten begingen, aber wenn es zu Verstößen komme, dann erlebe man heftigere Gewaltexzesse. Diesen Folgen gelte es, entschieden entgegenzutreten. An eine Aufhebung des Haftbefehls sei nicht zu denken. Drei Jahre und sechs Monate schickte das Jugendschöffengericht den Angeklagten ins Jugendgefängnis verbunden mit der Aufforderung, die verbleibende Zeit dort zu nutzen, gegen das Aggressionspotenzial anzugehen. Zuletzt blieben dem Angeklagten wenige Minuten mit seinen Eltern, dann musste er zurück ins Gefängnis. Mutter und Vater hatten teils fassungslos das Verfahren gegen das älteste ihrer vier Kinder verfolgt. Es flossen Tränen.
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