Es ist April 2023, als ein 53-jähriger Augsburger einen Brief bekommt. Inhalt ist ein Strafbefehl, der Mann hatte massiv gegen Verkehrsregeln verstoßen. Nun gibt es eigentlich zwei Optionen: Der Mann akzeptiert die Strafe – oder er erhebt Einspruch und es kommt zu einer Gerichtsverhandlung. Der Augsburger wählt jedoch einen dritten Weg. Er fordert von einer Richterin und Gerichtsangestellten Dokumente und Urkunden – und droht mit konkreten Konsequenzen, sollten sie ihm nicht ausgehändigt werden. Die Folge: ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen Nötigung. Der Fall ist typisch – für die Art, wie Reichsbürger in Augsburg Behörden und Gerichte herausfordern.
In der eher diffusen Reichsbürger-Szene gibt es einen gemeinsamen Nenner: die Überzeugung, dass der Staat, seine Behörden und Gerichte keine Daseinsberechtigung haben. Viele Angehörige bezeichnen Deutschland als Firma oder "GmbH", wobei sie sich darauf berufen, dass das Deutsche Reich angeblich fortbestehe. Die Grenzen zum Rechtsextremismus sind dabei oft fließend. Laut bayerischem Verfassungsschutzbericht nutzen Reichsbürger oft verschwörungstheoretische Argumentationsmuster – ähnlich wie die sogenannten "Selbstverwalter". Diese wiederum behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus der Bundesrepublik austreten, weshalb sie auch nicht mehr an deren Gesetze gebunden seien.
Reichsbürger-Prozess gegen Prinz Reuß: Eine Spur führt in die Region
Eine bislang beispiellose Ausprägung der Reichsbürger-Ideologie zeigt sich anhand eines spektakulären Falls, der derzeit am Oberlandesgericht Frankfurt verhandelt wird. Eine Gruppierung um Heinrich XIII. Prinz Reuß soll einen politischen Umsturz geplant haben. Auch im südlichen Landkreis Augsburg kam es in diesem Zusammenhang zu einer Durchsuchung. Der Angeklagte Thomas T. aus dem Landkreis Ansbach, der bisherigen Erkenntnissen zufolge als "rechte Hand" des Anführers fungierte, hat dort nach unseren Informationen eine Wohnung oder ein Haus.
Abseits davon sollen sich mehrere Verdächtige aus dem Ermittlungskomplex im Jahr 2022 auch in Bayern nach einem geeigneten Standort umgeschaut haben, in denen eine Art Quartier oder eine Zentrale hätte eingerichtet werden können. Sie sollen nach Informationen unserer Redaktion mehrere Kasernen angesteuert haben, nach Erkenntnissen der Ermittler waren darunter eine in Landsberg am Lech – und die Lechfeld-Kaserne in Graben im Landkreis Augsburg. Der Gruppe wird vorgeworfen, geplant zu haben, die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland gewaltsam zu beseitigen und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen.
Von mutmaßlichen Delikten dieser Art und Qualität ist man in Augsburg weit entfernt. Doch auch hier machen sich Reichsbürger und Selbstverwalter regelmäßig bemerkbar. Der weit überwiegende Anteil der Auseinandersetzungen findet auf Papier statt, wie im Fall des 53-jährigen Verkehrssünders. Regelmäßig erhalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt Augsburg krude Schreiben. Da wird mal Oberbürgermeisterin Eva Weber als "Chefin der Stadt Augsburg GmbH" betitelt, mal dienen Fingerabdrücke als Signatur, mal wird eine Mischung verschiedener Ideologien dargelegt, verbunden mit verbalen Angriffen und Drohungen. Auch die Augsburger Gerichte sind nach eigener Auskunft häufiger mit Unterlagenflut, abstrusen Forderungen und Verzögerungsmaschen von Reichsbürgern konfrontiert.
Körperliche Zwischenfälle sind die absolute Ausnahme, Behörden-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in der Regel auch für den Umgang mit Reichsbürgern und Selbstverwaltern geschult. Immer wieder kommt es aber auch zu unmittelbaren Konfrontationen. So wie im Februar 2023. In der Augsburger Innenstadt unterstützte die Polizei damals eine Gerichtsvollzieherin bei einem Termin – nicht umsonst, wie sich herausstellen sollte. Denn der 55-Jährige, auf den sie trafen, weigerte sich nach Polizeiangaben nicht nur, seinen Ausweis vorzuzeigen. Der Mann, der als Reichsbürger gilt, beleidigte und bedrohte die Gerichtsvollzieherin und die Beamten massiv. Weshalb ihn anschließend eine Strafanzeige erwartete. Insgesamt registrierte die Polizei im vergangenen Jahr in Augsburg fünf Straftaten, die eindeutig Angehörigen der Reichsbürger- und Selbstverwalter-Szene zuzurechnen waren. Zweimal ging es dabei um Erpressung, dreimal um Nötigung oder Bedrohung.
Reichsbürger müssen bei Verdacht Waffen abgeben
Wie das Polizeipräsidium Schwaben-Nord auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, sind derzeit im Augsburger Stadtgebiet 80 Reichsbürger bekannt. Meist würden sie "durch eigeninitiative Schreiben an verschiedenste Behörden auffällig, in denen sie beispielsweise die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland bekunden". Kommt ein entsprechender Verdacht auf, nimmt die Polizei Überprüfungen vor. Bestätigt er sich, wird die Person als Reichsbürger eingestuft. Sie gelte damit offiziell als "unzuverlässig", da man annehmen müsse, dass sie "sich als außerhalb der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland stehend definiert und deshalb die Besorgnis besteht, dass es zu Verstößen gegen genau diese Rechtsordnung kommt". In der Praxis heißt das etwa, dass Reichsbürgern die Legitimation, eine zugelassene Waffe zu besitzen, abgesprochen werden kann. Sie müssen dann Waffe und Berechtigung abgeben. Solche Verfahren sind in Augsburg aber sehr selten.