Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Prozess in Augsburg: "Jetzt ist alles weg": Im Schockanrufer-Prozess fließen bei den Opfern Tränen

Prozess in Augsburg

"Jetzt ist alles weg": Im Schockanrufer-Prozess fließen bei den Opfern Tränen

    • |
    Der Angeklagte, hier mit seinem Verteidiger Michael Weiss, soll Mitglied einer Schockanrufer-Bande sein. Der 27-Jährige muss sich vor dem Augsburger Landgericht verantworten.
    Der Angeklagte, hier mit seinem Verteidiger Michael Weiss, soll Mitglied einer Schockanrufer-Bande sein. Der 27-Jährige muss sich vor dem Augsburger Landgericht verantworten. Foto: Ina Marks

    Die Schilderungen der Frauen vor der 15. Strafkammer des Augsburger Landgerichts sind bitter. Die Opfer erzählen, wie sie mit Schockanrufen um ihre Ersparnisse von mehreren Tausend Euro gebracht wurden. Eine Seniorin etwa hat ihren gesamten Schmuck im Wert von 30.000 Euro verloren. Bei den Zeugenaussagen fließen Tränen. Der Anblick der aufgelösten Rentnerinnen lässt selbst den Angeklagten nicht kalt. Das kürzlich gestartete Verfahren gegen ein 27-jähriges mutmaßliches Bandenmitglied zeigt einmal mehr, wie skrupellose Täter Schreckmomente am Telefon eiskalt ausnutzen. Und es geht um ein Kilo Kokain, das eine erboste Frau wohl in den Müll warf. 

    Tipps bei Schockanrufen

    Gesundes Misstrauen ist keine Unhöflichkeit!

    Der Anrufer macht Druck? Das ist Teil der Masche. Legen Sie einfach auf.

    Die echte Polizei oder Staatsanwaltschaft fordert niemals Vermögen von Ihnen, um Ermittlungen durchzuführen!

    Verwandte fordern sofortige finanzielle Hilfe? Seien Sie misstrauisch und kontaktieren Sie diese!

    Übergeben Sie nie Geld oder Schmuck an Unbekannte!

    Wenn ein Anrufer Geld oder andere Wertsachen von Ihnen fordert: Besprechen Sie dies mit Familienangehörigen oder Ihnen nahe stehenden Personen.

    "Sie sind nicht die Einzige, der das passiert ist." Mit diesen Worten versucht die Vorsitzende Richterin Martina Neuhierl an diesem Verhandlungstag mehrmals, Opfer zu beruhigen. Manche von ihnen sind aufgelöst, auch wenn die Taten bereits im Jahr 2022 passiert waren. Die Polizei hat, wie berichtet, nach monatelangen Ermittlungen im Sommer 2023 einen 27-Jährigen in Wien festgenommen. Er soll als Logistiker der Bande die sogenannten Abholer organisiert haben. Jene also, die Opfern vor Ort Geld und Wertgegenstände abknöpfen. In manchen Zeugenaussagen schwingen Selbstvorwürfe mit. "Ich gehe regelmäßig zu einem Rentnertreff. Erst ein Vierteljahr vorher war ein Polizist bei uns, der über die Schockanrufe informierte, und dann passiert mir das selbst", erzählt eine 81-Jährige vor Gericht. 

    Prozess in Augsburg: Sie packte ihren wertvollen Schmuck in ein "Sackerl"

    5000 Euro hat die Rentnerin an die Betrüger verloren. Schlimmer scheint ihr seelisches Leid. Seit der Tat sei ihr Leben nicht mehr das, was es einmal war, sagt sie mit zittriger Stimme. "Ich war danach in Psychotherapie, nehme heute noch Antidepressiva, leide unter Panikattacken." Sie bekomme diese verzweifelten Rufe der Enkelin am Telefon nicht aus dem Kopf. Sie sei damals überzeugt gewesen, dass es die Stimme ihrer Enkelin war, die sie um Geld gebeten habe. Genau das sagen auch die anderen Opfer vor Gericht. 

    Die ein oder andere Betroffene erzählt der Richterin zwar, dass sie erst gezweifelt habe, als sich eine Frau am Telefon als Polizistin vorstellte und die Geschichte von einem tödlichen Unfall erzählte, angeblich verursacht von Enkelin oder Tochter. Sie habe anfangs an einen Trick-Anruf geglaubt, so eine 89-Jährige. Doch dann kam vermeintlich ihre Enkelin ans Telefon. "Sie weinte und schluchzte und rief: Oma, Oma, hilf mir. Ich muss ins Gefängnis für 14 Jahre, wenn du mich nicht rettest. Ich habe eine Schwangere überfahren, die ist jetzt tot." Für sie sei dies ein unglaublicher Schock gewesen. 50.000 Euro seien von ihr gefordert worden.

    2500 Euro Bargeld, Gold und Silber im Wert von 3000 Euro und verschiedene Ringe, Colliers und Armreifen im Gesamtwert von 30.000 Euro habe sie in ein "Sackerl" gepackt und einem Herrn vor ihrem Haus übergeben. Angeblich ein Angehöriger des Unfallopfers. "Der unglaubliche Druck, der die gesamte Zeit auf mir lastete, war in dem Moment weg." Ihr kostbarer Schmuck allerdings auch. Die Frau, die im August 90 Jahre alt wird, erklärt Richterin Neuhierl, dass sie mit der Tat weitgehend abschließen konnte. Es seien zwar besonders schöne Schmuckstücke gewesen, meint die rüstige Seniorin, "aber es sind nur materielle Werte und damit tröste ich mich". Weitere Opfer haben offenbar mehr daran zu knabbern. 

    "Das waren meine Ersparnisse", sagt eine 65-Jährige. Tränen fließen. Eine 86 Jahre alte Frau erzählt, dass sie gerade an die 10.000 Euro aus einem ausgezahlten Bausparvertrag daheim hatte. Sie übergab alles. Eine 70-Jährige berichtet, wie sie jahrelang auf ein Auto gespart und endlich knapp 14.000 Euro beisammen hatte. "Jetzt ist alles weg." Schluchzend verlässt die Augsburgerin den Gerichtssaal. Die Schilderungen der Opfer scheinen den Angeklagten, der von Anwalt Michael Weiss verteidigt wird, zu bewegen.

    Mutter des Angeklagten hat offenbar Kokain im Wert von 26.000 Euro weggeworfen

    Immer wieder läuft sein Gesicht rot an, es wirkt, als ob ihm Tränen in die Augen schießen. Dann verbirgt er sein Gesicht hinter den Händen. Eine Entschuldigung ist an diesem Prozesstag von ihm nicht zu hören. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Polen, der schon einmal wegen Drogen eine Haftstrafe verbüßt hat, nicht nur banden- und gewerbsmäßigen Betrug vor. Er soll zudem rund 1,6 Kilogramm Kokain sowie rund 1,3 Kilogramm Ecstasy und 500 Gramm Marihuana nach Deutschland gebracht haben. Der 27-Jährige möchte umfassend darlegen, wie es so weit mit ihm kommen konnte. Er erzählt, wie er nach einer Haftentlassung schnell wieder in schlechte Kreise geriet, rückfällig wurde, wieder Kokain nahm. 

    "Ich versuchte, meinem Konsum hinterherzukommen und zu finanzieren", begründet er seine Dealer-Tätigkeiten. Eines Tages seien bei ihm daheim, er wohnte wieder bei seiner Mutter, ein Kilo Kokain im Wert von etwa 26.000 Euro angekommen. "Gutes Zeug", sagt er. Er habe es weiterverkaufen wollen. Doch seine Mutter habe das Kokain entdeckt. Wütend auf ihren Sohn warf die Frau offenbar nicht nur die Drogen in den Müll, sondern ihren Sohn von zu Hause raus. In dem Verfahren sind weitere sieben Verhandlungstage angesetzt.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden