Als der Angeklagte den Saal betritt, klicken die Kameras. Hinten, im Zuschauerbereich des Saals im Amtsgericht Augsburg, ist kaum noch ein Stuhl frei. Das Interesse an der Verhandlung ist groß, nicht nur jenes der Medien. Was mit den ungewöhnlichen Umständen und der Örtlichkeit zu tun hat, an der sich Teile der Straftaten abgespielt haben. Es geht um einen Fall, der die Augsburger Domsingknaben geschockt hatte, ein Chor mit mehr als 300 Mitgliedern, Jungen wie Männern. Eine Institution, auch außerhalb der Stadt.
Der Angeklagte hatte Kinder und Jugendliche des berühmten Chors heimlich in höchst intimen Situationen gefilmt. Anfang des Jahres war gegen den Mann Anklage erhoben worden, am Donnerstag lief der Prozess gegen ihn. Dem Angeklagten war die Situation im Saal sichtlich unangenehm, als Richter Bernhard Kugler ihn nach persönlichen Verhältnissen fragte. Auf die Frage, ob Geburtsdatum und -ort in den Akten korrekt notiert seien, antwortet er zögerlich mit „Ja“. Als der Staatsanwalt detailliert beschrieb, welche Dateien die Ermittler bei ihm gefunden hatten und was auf ihnen zu sehen ist, drehte sich der 26-Jährige zur Seite und wandte sich vom Publikum ab.
Die Taten hatten sich zwischen August 2017 bis September 2020 abgespielt. In dem Zeitraum war der junge Mann angestellte Hilfskraft der Domsingknaben gewesen, ein sogenannter „Management Assistant“. Seit Jahren ist er dort nicht mehr tätig, arbeitete zuletzt für einen Chor in einer anderen Stadt. Als die Ermittlungsbehörden im Jahr 2022 auf die Augsburger Domsingknaben zugingen, fielen manche Betroffene aus allen Wolken. „Bis die Polizei auf uns zukam, hatten sowohl Mitarbeiter als auch Familien und Sänger selbst keinerlei Anhaltspunkte für seine mutmaßlichen Taten“, hieß es bereits vergangenes Jahr aus der Geschäftsführung gegenüber unserer Redaktion.
Prozess in Augsburg: Schock für Chor „Domsingknaben“
Laut Anklage habe der 26-Jährige die Kinder und Jugendlichen aus dem Umfeld des Chors heimlich beim Urinieren, bei der Selbstbefriedigung oder beim Duschen gefilmt. Ermittler fanden bei ihm rund 160 entsprechende Videoaufnahmen. 35 Betroffene wurden identifiziert. Nur in neun Fällen sei es möglich gewesen, Tatorte und Tatzeiten so genau zu konkretisieren, dass eine Anklageerhebung erfolgen konnte, hieß es von der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Bamberg.
Der Mann soll diese Aufnahmen unter anderem in Räumlichkeiten der Domsingknaben angefertigt haben, aber nicht nur: Die Anklage listet weitere Fälle auf, in denen er versteckte Kameras etwa in Hotels, einer Sporthalle und einmal gar in der Toilette des Elternhauses eines Jungen anbrachte. Schwer wogen zudem weitere Vorwürfe, darunter ein Fall des sexuellen Missbrauchs, der im Jahr 2017 geschehen war. Damals habe der Mitarbeiter einen 13-Jährigen zum Übernachten in seiner Wohnung eingeladen, heißt es in der Anklage; er habe den Jungen zuvor bei den Domsingknaben kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Der Angeklagte soll sich am Körper des Jungen gerieben haben, als dieser neben ihm im Bett eingeschlafen war.
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Beim Verdächtigen stießen die Ermittler zudem auf 100 kinderpornografische Bilder, die der Mann auf seinem Handy gespeichert hatte. Aufgekommen war der Verdacht, nachdem deutsche Ermittler einen Hinweis von Kollegen aus Großbritannien erhalten hatten, dass der 26-Jährige womöglich entsprechendes Material haben könnte. Die Durchsuchung des Mannes führte letztlich auch zu den Videos der gefilmten Domsingknaben, die der 26-Jährige ebenfalls privat gespeichert hatte.
Im Prozess vor dem Jugendschöffengericht unter Richter Bernhard Kugler regte Verteidiger Marc Wederhake ein Rechtsgespräch an, danach verschwanden die Beteiligten für einige Zeit hinter verschlossenen Türen. Ergebnis des Deals: Wenn der Angeklagte gesteht, erhält er im Gegenzug eine Bewährungsstrafe zwischen einem Jahr und neun Monaten und zwei Jahren. Anwalt Wederhake sagte für den 26-Jährigen, dieser räume die Taten ein, sein Mandant wolle den Opfern ersparen, als Zeugen aussagen zu müssen. Er wolle Verantwortung übernehmen. „Er weiß, dass er großen Mist gebaut hat“, sagte der Anwalt. Hintergrund der Taten sei eine „sexuelle Fehlleitung“ seines Mandanten, der deswegen seit Längerem in Therapie sei. Der 26-Jährige bat bei den Geschädigten im Gerichtssaal um Entschuldigung.
Das Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richter Bernhard Kugler verurteilte den 26-Jährigen letztlich zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, was keine Überraschung mehr war, nachdem Verteidigung und Staatsanwaltschaft in ihren Plädoyers jeweils diese Strafhöhe gefordert hatten. Die Strafe wurde nach Jugendstrafrecht verhängt, weil der Angeklagte einen großen Teil der Taten noch als Heranwachsender begangen hatte.