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Neuaufnahme des Falls: Wurde Clara B. in der Neujahrsnacht 2020 vergewaltigt?

Prozess in Augsburg

Wurde eine 17-Jährige in der Neujahrsnacht 2020 vergewaltigt?

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    Der Prozess um eine mutmaßliche Vergewaltigung wird derzeit neu vor dem Augsburger Amtsgericht aufgerollt.
    Der Prozess um eine mutmaßliche Vergewaltigung wird derzeit neu vor dem Augsburger Amtsgericht aufgerollt. Foto: Silvio Wyszengrad

    Was ist die Wahrheit: Hat der 31-jährige Emir S. in der Neujahrsnacht 2020 die damals erst 17-jährige Clara B. (Namen geändert) mit in seine Wohnung genommen und dort vergewaltigt? Oder war der Sex einvernehmlich und die junge Frau hat den Zufallsbekannten falsch beschuldigt? Wem glaubt das Gericht? Dem Angeklagten, der alles abstreitet? Oder dem mutmaßlichen Opfer? Schon unter normalen Umständen ist die Wahrheitsfindung für das Gericht schwierig. Äußerst heikel wird es aber, wenn die "Kronzeugin" gar nicht mehr im Prozess aussagen und nicht mehr befragt werden kann. Weil sie zuvor gestorben ist. Ein Schöffengericht unter Vorsitz von Susanne Scheiwiller hat jetzt einen zweiten Anlauf genommen, um in dem von vielen ungewöhnlichen Umständen und Widersprüchen begleiteten Fall Clara B. doch noch zu einem Urteil zu kommen.

    Emir S., Vollbart, weißes Hemd, schweigt. Seine Verteidigung überlässt er den Anwälten Renate Bens und Felix Hägele. Die Vorsitzende Richterin und die beiden Schöffinnen an ihrer Seite müssen versuchen, aus Aussageprotokollen, die verlesen werden, aus Gutachten, ärztlichen Diagnosen und neuerlichen Zeugenvernehmungen ein Puzzle zusammenzusetzen, das Grundlage für ein stichhaltiges Urteil ist. Staatsanwalt Markus Eberhard hat in den Akten entdeckt, das es in den Asservaten neben einer Tonaufzeichnung der Aussage von Clara B. bei der Kripo auch noch eine Videoaufzeichnung gibt, die - warum auch immer - bislang unbesehen blieb.

    Mutmaßliche Vergewaltigung: Was bislang bekannt ist

    Soviel kann rekonstruiert werden: In der Neujahrsnacht wird Clara B., die zu diesem Zeitpunkt in der Wohnung des Angeklagten ist, von einem Freund angerufen, der ein "Gutes Neues" wünschen will. Er berichtet als Zeuge im ersten Prozess, dass Clara irgendwie geschockt gewesen sei, geweint habe, aber nichts von einer Vergewaltigung gesagt habe. Auch ein Internetfreund aus Recklinghausen ruft zu dieser Zeit an, hört angeblich Hilferufe von Clara und einen Mann im Hintergrund. Frühmorgens setzt sich die 17-Jährige in einen Zug und fährt zu diesem Freund ins Ruhrgebiet - angeblich, um aus Augsburg "zu flüchten". Einige Monate lebt sie in Recklinghausen. Die Ermittlungen kommen erst elf Monate später ins Rollen. In einer Oberhauser Tankstelle hat sich Clara die Arme "aufgeritzt" - ein Suizidversuch. Eine Funkstreife wird gerufen. Auf dem Weg in die Uniklinik, so erinnert sich ein Polizist, habe Clara spontan gesagt, sie sei vergewaltigt worden. Sie habe geweint, habe einen verstörten Eindruck gemacht und Angstzustände bekommen. 

    Einer Kriminalbeamtin hat sie dann die Ereignisse der Neujahrsnacht geschildert und später bei der Vorlage von acht Fotos unterschiedlicher Männer den Angeklagten als Täter mit einiger Sicherheit wiedererkannt. Kurz zuvor war sie von einem Unbekannten angerufen worden, der ihr nahelegte, den Angeklagten nicht zu erkennen, da dessen Freundin schwanger sei und die Mutter sterben werde, wenn Emir S. ins Gefängnis müsse. Daraufhin wurde der Türke als Urheber der Zeugenbeeinflussung vorübergehend in Untersuchungshaft genommen. Emir S. war 2013 bereits einmal wegen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. 

    Prozess in Augsburg: Gab es früher schon eine andere Vergewaltigung?

    Die ermittelnde Kripo-Beamtin gibt ein weiteres Detail der Aussage zu Protokoll. Danach habe Clara B. auch gesagt, sie sei schon einmal im Alter von etwa zwölf Jahren von einem älteren Mitschüler vergewaltigt worden, habe dies aber nicht angezeigt, sondern sei in einem späteren Prozess gegen den jungen Mann nur als Zeugin vernommen worden. Tatsächlich gibt es über den damaligen Fall eine Prozessakte, die Staatsanwalt Eberhard nun ordern will. Der Prozess wird fortgesetzt. Dann soll der damalige Freund Claras aus Recklinghausen aussagen, die Videoaufzeichnung der Vernehmung Claras wird vorgespielt. Und zur Sprache kommt auch ein tagebuchartiger Handy-Eintrag des Angeklagten, in dem er seine Sicht der Dinge schildert. Danach habe Clara mit ihm freiwillig Sex gehabt. Die junge, psychisch instabile Frau starb im April 2023 im Alter von 20 Jahren an einem Lungenödem. Ihr überraschender Tod wurde den Prozessbeteiligten erst bekannt, als der psychiatrischer Gutachter Oliver Kistner mit ihr reden wollte.

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