Die Meinungsfreiheit, in der Verfassung verankert, ist ein hohes Gut. Dasselbe gilt für die Menschenwürde, die unantastbar ist. Vor allem in der politischen Diskussion stehen sich diese beiden hohen Rechtsgüter oft konträr gegenüber. Ob zum Beispiel ein Post auf Facebook nun beleidigend, ein Video oder eine Karikatur zum Flüchtlingsthema volksverhetzend ist – darüber streiten sich selbst Juristen. Und Gerichte urteilen unterschiedlich. Was nun ein Polizist, 54, zu spüren bekam, der gestern im Berufungsprozess vor der 4. Strafkammer beim Landgericht mit einer erheblich höheren Geldstrafe bedacht wurde als im Erstverfahren beim Amtsgericht. Wegen Beleidigung zweier Grünen-Politiker und wegen zweier Fälle der Volksverhetzung muss der seit Dezember 2019 vom Dienst suspendierte Beamte der Inspektion Mitte 9900 Euro (90 Tagessätze zu je 110 Euro) berappen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Der Polizeikommissar, der erst nach einer Berufsausbildung 1993 zur Polizei wechselte, betrieb einen öffentlichen Facebook-Account, der auch von Kollegen eingesehen wurde. Der Beamte, der nach der Freistellung vom Dienst weiter sein Nettogehalt von 3500 Euro bezieht, thematisierte in seinen Posts vor allem die Migrationspolitik sowie Kritik an Politiker der Grünen, so unter anderem an Claudia Roth und Anton Hofreiter.
Die Staatsanwaltschaft wurde aufmerksam, ermittelte, und hielt schließlich 33 Posts mit Karikaturen, Fotos und Videos für strafbar, so wegen Beleidigung, Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Im ersten Prozess vor dem Amtsgericht folgte Richterin Greser noch der juristischen Einordnung von Strafverteidiger Walter Rubach. Der hatte argumentiert, selbst Beleidigungen unterhalb der Gürtellinie seien nicht strafbar, wenn sie in einem Kontext zur sachlichen politischen Kritik stehen. Sein Mandant habe sich auch nicht der Volksverhetzung schuldig gemacht, denn seine Posts hätten nicht zum Rassenhass oder zur Gewaltanwendung aufgestachelt. So hatte das Erstgericht den Polizisten im Juli 2021 nur in einem Fall der Beleidigung zu einer Geldstrafe von 4400 Euro verurteilt, im Übrigen aber freigesprochen. Für beleidigend hielt das Gericht einzig eine Kollage, bei dem das Gesicht von Claudia Roth mit dem Hinterteil eines Pferdes verglichen worden war. Sowohl der Beamte wie auch die Staatsanwaltschaft gingen in die Berufung.
Bereits vor dem Berufungsprozess gab es Gespräche hinter den Kulissen
Bereits vor dem Berufungsprozess hatten Gespräche hinter den Kulissen zwischen dem Vorsitzenden Richter Michel Nißl, der Staatsanwaltschaft und Anwalt Walter Rubach stattgefunden, bei denen dem Verteidiger eine andere rechtliche Einschätzung signalisiert wurde. Diese führten gestern im Berufungsprozess zu einer entsprechenden Verständigung, mit der auch die beiden Schöffen der 4. Kammer einverstanden waren. Der Deal: Der Angeklagte nahm seine Berufung zurück, räumte neben der bereits verurteilten Beleidigung noch drei weitere Fälle ein und bekam vom Gericht die Zusicherung einer Geldstrafe von bis zu 90 Tagessätzen, womit er nicht als vorbestraft gelten würde. Staatsanwältin Elisabeth Akindele beantragte außerdem die Einstellung der restlichen 29 angeklagten Fälle.
Warum der Beamte, der sagt, Polizist sei schon immer sein "Traumberuf" gewesen, derart geschmacklose Posts ins Internet stellte, blieb im Prozess weitgehend im Unklaren. Anwalt Rubach betonte immer wieder, sein Mandant sei "weder Rassist noch ausländerfeindlich noch ein Feind des Staates". Der Angeklagte sei als Kontaktbeamter in einem Asylheim eingesetzt gewesen, habe persönliche Kontakte zu einer Flüchtlingsfamilie gehabt. Für sein Verhalten sei schwer eine Erklärung zu finden. Möglicherweise hätten die Erfahrungen im Dienst bei der Inspektion Mitte zu einem "rauen Ton" unter den Kollegen geführt. Der Angeklagte selbst sprach von vielen Überstunden und Samstagsdiensten, die ihn belastet hätten.
Claudia Roth verglich der Polizist auf Facebook mit einem Pferd
Am Ende der dreistündigen Verhandlung stand die Verurteilung von je zwei Fällen der Beleidigung und der Volksverhetzung. Neben dem Pferdevergleich von Claudia Roth sah das Gericht auch eine Bildkollage mit einer Flasche "Stroh-Rum" und dem Konterfei von Anton Hofreiter, Untertitel "stroh-dumm", als beleidigend. Für Volksverhetzung hielt das Gericht eine sexuelle Anspielung auf ein Kamel in Zusammenhang mit Flüchtlingen sowie ein Post, bei dem es um die Hautfarbe hell und dunkel im Vergleich zu heller und dunkler Wäsche geht. Richter Nißl fand in der Urteilsbegründung klare Worte. Der Angeklagte sei nicht Opfer dienstlicher Umstände, sondern er sei Täter, er habe den "Pfad des Rechts verlassen". Auch ein schwerer Dienst rechtfertige nicht ein derartiges Verhalten, das das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttere. "Braune Soße hat hier nichts zu suchen", mahnte der Vorsitzende Richter. Anwalt Walter Rubach sagte im Anschluss an die Verhandlung, der Beamte werde das Urteil akzeptieren. Nach Rechtskraft frühestens in einer Woche wird das Disziplinarverfahren gegen den suspendierten Polizisten weiter betrieben. Ein Ergebnis ist nicht vorhersehbar.
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