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Prozess in Augsburg: Angeklagter zu Schüssen im Netto am Kö: "Ich wollte erschossen werden"

Prozess in Augsburg

Angeklagter zu Schüssen im Netto am Kö: "Ich wollte erschossen werden"

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    Wollte der junge Mann, der in einem Supermarkt auf Polizisten losging, sich erschießen lassen?
    Wollte der junge Mann, der in einem Supermarkt auf Polizisten losging, sich erschießen lassen? Foto: Peter Fastl (Archivbild)

    Im Prozess um die Schüsse auf einen Ladendieb im Netto-Supermarkt am Königsplatz im Juni 2020 sind erstmals die möglichen Motive des Angeklagten zur Sprache gekommen. In der Untersuchungshaft im Gefängnis München-Stadelheim sagte der 20-Jährige gegenüber dem forensischen Psychiater Cornelis Stadtland, das Leben habe für ihn keinen Sinn mehr gemacht, er habe sich von der Polizei "umbringen lassen wollen". Deshalb sei er mit einem Messer in der erhobenen Hand auf Polizisten zugegangen. Zugleich hatte er dem Gutachter versichert, er habe weder einen Polizisten verletzen noch töten wollen. "Ich wollte nur selbst sterben." Ein zweiter Sachverständiger ist sich allerdings ziemlich sicher, dass der Angeklagte zur Tatzeit keine suizidalen Gedanken gehegt hatte.

    Der Psychiater Thomas Schwarz stellte die Frage in den Raum: "Warum hätte er sich umbringen wollen?" Er ist vielmehr überzeugt, dass sich der Angeklagte nicht erschießen lassen wollte. Möglicherweise seien die Äußerungen wenige Wochen nach der Tat auf Tipps von Mithäftlingen zurückzuführen, um ein günstigeres Urteil zu erreichen.

    Schüsse im Netto: Angeklagter hatte zur Tatzeit 1,65 Promille

    Die Jugendkammer unter Vorsitz von Lenart Hoesch vernahm am Donnerstag noch einmal mehrere Polizisten, die an jenem 19. Juni vergangenen Jahres vor Ort im Einsatz waren. Ein Beamter der Bereitschaftspolizei sagte, es sei ungewöhnlich, dass der Angeklagte keine Reaktion auf Rauch und Pfefferspray gezeigt habe, dass er sogar noch nach den Schüssen am Boden sich gegen Erste-Hilfe-Maßnahmen gewehrt habe. Für den Psychiater Thomas Schwarz durchaus erklärbar: Der Angeklagte habe zur Tatzeit etwa 1,65 Promille Alkohol intus gehabt sowie starke Dosen diverser Medikamente. "Er stand sehr stark unter Strom, alles ist an ihm abgeprallt". Zudem sei die Polizei für ihn ein "rotes Tuch" gewesen, "wie für einen Stier". Er empfinde sich als "Opfer der Polizei".

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    Am Freitagabend kam es zu einem Großeinsatz von Polizei und Feuerwehr am Königsplatz - dabei hat die Polizei wohl auch geschossen.

    Neben den dramatischen Ereignissen im Supermarkt, bei dem der Angeklagte von sechs Schüssen, teils im Oberkörper, getroffen worden war, untersucht das Gericht noch weitere 14 kleinere Vorfälle in den Monaten zuvor. Dabei geht es vor allem ebenfalls um Ladendiebstähle sowie Widerstandshandlungen gegen Polizisten.

    Netto-Prozess: Mutmaßlicher Ladendieb ist seit Jahren abhängig

    Wie aus den Ausführungen der Sachverständigen hervorgeht, war der 20-Jährige schon viele Jahre lang alkohol- und drogenabhängig, offenbar auch genetisch bedingt. Mit acht Jahren soll er seinen ersten Rausch erlebt haben, mit zwölf rauchte er Haschisch und mit 16 konsumierte er bereits LSD und Kokain. Thomas Schwarz beschrieb den 20-Jährigen als "autonomen, starken Einzelgänger", der sich zuletzt dem Obdachlosenmilieu genähert, Geld geschnorrt habe.

    Das Feuer im Büro des Ladendetektivs im Netto-Markt will der Angeklagte gelegt haben, um im Rauch erschossen zu werden, wie er dem Sachverständigen Stadtland sagte. Thomas Schwarz hingegen glaubt, dass der Angeklagte Feuer entfacht hat, um den Rauch zur Flucht zu nutzen. Der Angeklagte selbst (Verteidiger: Werner Ruisinger und Florian Schraml) hat sich zum Kern des Tatgeschehens bislang vor Gericht nicht geäußert. Der Prozess wird Ende Juli fortgesetzt.

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