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Polizistenmord: Tochter von Raimund M.: „Ich habe meinem Vater immer vertraut“

Polizistenmord

Tochter von Raimund M.: „Ich habe meinem Vater immer vertraut“

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    Die Tochter des mutmaßlichen Polizistenmörders steht vor Gericht.
    Die Tochter des mutmaßlichen Polizistenmörders steht vor Gericht.

    Sie ist frei. Nach fünf Monaten in Untersuchungshaft darf die Tochter des mutmaßlichen Polizistenmörders Raimund M. am Montagabend den Gerichtssaal verlassen und nach Hause gehen. Als Amtsrichter Roland Fink das Urteil verkündet, zwei Jahre auf Bewährung, da huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Kurz darauf wird sie von ihrer Mutter in den Arm genommen. Die 32-Jährige ist mager, wirkt fast zerbrechlich. Vor dem Urteil hat sie die Richter um „eine Chance“ gebeten. „Ich möchte neu anfangen, mit meiner Mama die Situation klären.“

    Die Kisten mit Kalaschnikows interessierten sie angeblich nicht

    Die 32-Jährige aus Kissing (Kreis Aichach-Friedberg) wird nach neun Stunden Verhandlung verurteilt, weil bei ihr im Keller jahrelang Kisten standen, in denen Kalaschnikows, Pistolen und Handgranaten lagerten; außerdem tausende Euro Bargeld und Einbruchswerkzeug. Ihr Vater, Raimund M., 58, hat die Metallkisten dort deponiert, kurz nachdem die Tochter im Jahr 2004 in eine Dachwohnung in dem Haus eingezogen war. Die Ermittler gehen davon aus, dass Raimund M. und sein Bruder Rudi R., 56, Serienräuber sind. Die Brüder sitzen in Untersuchungshaft, weil sie im vergangenen Oktober nachts den Augsburger Polizisten Mathias Vieth, 41, erschossen haben sollen.

    M.s Tochter beteuert im Prozess mehrmals, dass sie vom Waffenarsenal nichts gewusst habe. „Ich habe mir wegen der Kisten nichts weiter gedacht.“ Erst am 29. Dezember wird die Frage, was sich darin befindet, brandaktuell. Gegen Abend bekommt die Tochter einen Anruf von der Mutter und erfährt, dass ihr Vater verhaftet wurde. Später fällt ihr ein Satz ein, den ihr Vater wenige Wochen zuvor gesagt hat. „Wenn mit mir oder Rudi was ist, geh’ in den Keller und hol’ dir aus den Kisten, was du brauchst.“ M. zeigte der Tochter auch die Schlüssel für die Kisten, die in einer Kommode im Haus der Eltern lagen.

    Zwei Stunden erzählt die Tochter ihre Version

    Deshalb holt sie noch am 29. Dezember die Schlüssel, öffnet die Kisten – und ist, wie sie erzählt, schockiert. „Ich dachte mir, in welchem falschen Film bin ich hier?“ Sie lässt die Waffen im Keller, öffnet aber zwei Tage später noch mal die Kisten und nimmt einen Plastiksack mit in ihre Wohnung. Rund 38.000 Euro liegen darin. Die Scheine versteckt sie hinter einer Sockelleiste der Küche, einige Rollen Münzgeld lässt sie draußen. „Ich hab’ mir gedacht, was kann ich aus den Kisten brauchen?“, sagt sie. Schon am Tag darauf finden Polizisten bei einer Durchsuchung die Waffen. Dabei mimt sie so überzeugend ihre Überraschung, dass die Beamten ihr das zuerst abnehmen. Doch als kurz darauf feststeht, dass sie auf einer Waffe einen genetischen Fingerabdruck hinterlassen hat, wird sie verhaftet. Danach zeigt sie den Beamten dann das Geldversteck, aus eigenem Antrieb.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Die Augen der 32-Jährigen sind gerötet, als sie im Prozess aussagt, ihr Make-up ist von Tränen verwischt. Dennoch erzählt sie zwei Stunden lang meist ruhig ihre Version des Geschehens. Als sie über das Verhältnis zu ihrem Vater spricht, kann sie das Schluchzen aber nicht unterdrücken. „Ich habe ihm immer vertraut, ich war stolz auf ihn.“ Vom kriminellen Vorleben ihres Onkels Rudi, der 1975 in Augsburg einen Polizisten getötet hat, habe sie gewusst. Aber von einem Doppelleben ihres Vaters habe sie nichts geahnt. Als sie die Waffen entdeckte, habe sie ihren Vater innerlich einen „Vollidioten“ genannt.

    Auch der Ex der Tochter wird verurteilt

    Dass die Tochter nun lange genug im Gefängnis saß – in diesem Punkt sind sich im Prozess alle einig. Beim Strafmaß gehen die Vorstellungen aber auseinander. Stefan Mittelbach, der Verteidiger der Frau, plädiert für eine siebenmonatige Bewährungsstrafe. Die Tochter, sagt er, sei in einem Dilemma gewesen. Sie habe nicht gewusst, was sie mit den Waffen tun soll. Zur Polizei wollte sie nicht gehen, um ihren Vater nicht ans Messer zu liefern. Bewährung fordert auch Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger, obwohl das Geständnis der Tochter bei ihm einige Zweifel hinterlasse. Er beantragt eine zweijährige Strafe.

    So kommt es auch. Das Gericht urteilt wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei, Diebstahl. Den Diebstahl hat die Tochter am Arbeitsplatz, einem Labor, begangen. Sie hat ihrem Vater drei Fläschchen einer Chemikalie besorgt, die DNA-Spuren vernichtet. Verurteilt wird auch der Ex-Freund der Tochter, zu einer einjährigen Bewährungsstrafe. Die Richter sind überzeugt, dass der 31-Jährige beim Verstecken des Geldes half. Der Zimmerer beteuert seine Unschuld. Sein Anwalt Moritz Bode fordert vergeblich einen Freispruch.

    100 Zuschauer beim Prozess

    Das Interesse am Prozess ist groß. Rund 100 Zuschauer drängen sich anfangs im großen Sitzungssaal des Strafjustizzentrums. Unter den Beobachtern ist auch der Augsburger Anwalt Walter Rubach. Er vertritt die Witwe des erschossenen Polizeibeamten. Die Frau will im Prozess gegen die Brüder, der für den Herbst erwartet wird, als Nebenklägerin auftreten. Damit, dass die Tochter freikomme, könne er leben, sagt Rubach. „Es scheint, als ob sie mit ihrem Vater genug gestraft ist.“

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