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Nachruf: "Er gehörte zu Augsburg": Zeitungsverkäufer Vladimir Kennerknecht ist tot

Nachruf

"Er gehörte zu Augsburg": Zeitungsverkäufer Vladimir Kennerknecht ist tot

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    Über 20 Jahre lang verkaufte Vladimir Kennerknecht in Augsburg seine Straßenzeitung "Die Wurzel". Wie nun bekannt wurde, ist er vor einigen Wochen gestorben.
    Über 20 Jahre lang verkaufte Vladimir Kennerknecht in Augsburg seine Straßenzeitung "Die Wurzel". Wie nun bekannt wurde, ist er vor einigen Wochen gestorben. Foto: Silvio Wyszengrad (Archiv)

    An Vladimir Kennerknecht kam keiner vorbei, zumindest wenn man den Stadtmarkt durch das Tor neben Feinkost Kahn betrat. In dem Durchgang saß nahezu täglich auf einem Stuhl der große Mann, grauer Rauschebart, Kappe auf dem Kopf, freundliches Gesicht. Eine seiner beliebten Stellen in der Innenstadt, wo er seine Straßenzeitung Die Wurzel verkaufte. Wie jetzt bekannt wurde, ist Vladimir Kennerknecht tot. Er soll bereits vor zwei oder drei Monaten gestorben sein – so genau weiß man das nicht. Ein Nachruf auf einen Mann, der zum Stadtbild gehörte, mit dem etliche Augsburgerinnen und Augsburger auf der Straße gerne plauderten, aber den offenbar keiner wirklich kannte.

    Teil der Gesellschaft zu sein, war Vladimir Kennerknecht, der eher als Außenseiter galt, wichtig. "Ich will das Gefühl haben, gebraucht zu werden", sagte er einst in einem Interview mit unserer Redaktion vor rund drei Jahren. 67 Jahre alt war er da. Nur zu Hause herumzusitzen war ihm zuwider. Natürlich brauchte er das Geld, das er durch den Verkauf seiner eigenen Straßenzeitung verdiente. Das sagte er selbst offen. "Was ich an Rente bekäme, entspräche dem Sozialsatz." Fast monatlich brachte Kennerknecht eine neue Ausgabe heraus, er war stolz darauf. Das Titelbild war immer gleich, die Zeitung freilich nicht aufwendig produziert, inhaltlich bot sie interessante Beiträge und viele Kontaktadressen und Nummern für Hilfebedürftige, sagen diejenigen, die ihm Die Wurzel regelmäßig abkauften. Menschen schätzten seine Freundlichkeit, sein Wissen über das, was in Augsburg passierte und dass er niemandem sein Produkt aufdrängte, das er über 20 Jahre lang auf offener Straße anpries. Für Hans-Peter Kahn, Chef des Feinkostgeschäfts in der Annastraße, gehörte "Vladi", wie er ihn nannte, dazu.

    Einst bekam er eine Karte für den Augsburger Opernball geschenkt

    "Er war sehr freundlich. Egal, ob einfache oder gebildete Leute, viele ratschten gerne mit ihm. Unsere Kunden kannten ihn." Oft habe man ihm von Feinkost Kahn einen Kaffee herausgebracht. "Wir schalteten auch Werbung in seiner Zeitung." Kahn erinnert sich, wie einer seiner Kunden Kennerknecht einst eine Karte für den Augsburger Opernball schenkte. "Er lieh sich dafür extra einen Anzug aus. Vielleicht kaufte er sich sogar einen - so genau weiß ich das nicht mehr." Der Vladi, meint Kahn, sei generell ein "schlauer Hund" gewesen, der seine Meinungen mit Vehemenz vertreten konnte. An einen gewissen Starrsinn, der dem Verstorbenen bescheinigt wird, kann sich auch Silvia Hank von "Tür an Tür" erinnern.

    Ende der 90er-Jahre half Kennerknecht zunächst beim Verkauf der Straßenzeitung Riss, die beim Augsburger Verein angesiedelt war. Bald genügte das Heft aber nicht mehr seinem Anspruch. Vladimir habe sich die Riss eher als ein Stadtmagazin vorgestellt, berichtet Hank. "Er wollte, dass wir häufiger mit der Zeitung erscheinen, aber das war mit einem ehrenamtlichen Team nicht machbar. Deshalb gingen wir getrennte Wege." Respekt habe sie davor, dass Kennerknecht über 20 Jahre lang sein eigenes Produkt vertrieb. Mit wenigen Mitteln. In seinem Leben musste der bärtige Mann offenbar früh lernen zu kämpfen.

    Was Vladimir Kennerknecht einmal über sich preisgegeben hat

    Wie er unserer Redaktion einst erzählte, kam er in der DDR als Sohn einer

    Ein Nachbar Kennerknechts erzählt, dass der Zeitungsverkäufer, der zuletzt in einer Erdgeschoss-Wohnung am Kappeneck wohnte, gerne mit einem Messer das Unkraut am Fußweg beseitigte. "Ich mochte ihn sehr. Wenn ich ihn fragte, wie es ihm gehe, sagte er: 'Junge, gut, gut. Alles gut'." Ein Satz, den er bei Fragen nach seinem Wohlbefinden offenbar immer äußerte. Wie es ihm wirklich ging, wusste nur er. Dass sein Fehlen eine Zeit lang nicht auffiel, mag daran liegen, dass Kennerknecht immer wieder phasenweise aus dem Stadtbild verschwand. Wohin wusste niemand. Plötzlich war er wieder da. Jetzt ist er für immer gegangen.

    Bewegende Fragen stellen sich nach seinem Tod

    Die Nachricht von seinem Tod, über den der Augsburger Blogger Arno Loeb auf Facebook informierte, verbreitete sich schnell. Nutzer äußerten sich in den Kommentaren betroffen. Unter ihnen auch die Augsburger SPD-Stadträtin Sieglinde Wisniewski. Sie hatte oft Kontakt zu Kennerknecht, der seine aktuellen Wurzel-Ausgaben persönlich in der Fraktion vorbeibrachte. "Sieglinde, magst du nicht inserieren?", habe er sie mal höflich gefragt. Sie tat das gerne, sagt sie, etwa mit Weihnachtswünschen. "Er besuchte mich daheim, um die Rechnung vorbeizubringen. Dann saßen wir bei einem Kuchen, oder was ich gerade da hatte, zusammen. Es waren immer ergiebige Gespräche." Es tue ihr unendlich leid um ihn. Die Stadträtin bewegt vor allem, dass offenbar niemand seinen Tod mitbekam. Auch sie nicht. "Starb Vladimir einsam? Wer kümmerte sich um seine Beerdigung? Wo ist sein Grab?" Fragen, die sie beschäftigen und die sie traurig machen.

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