1972 war ein fruchtbares Jahr der Rockmusik. Wenn man sich die Liste der Alben aus dieser Zeit ansieht, könnte man heute noch vor Rührung eine Träne verdrücken. „Ziggy Stardust“ von David Bowie, „Machine Head“ von Deep Purple, „Exile on Main Street“ von den Stones, „School‘s Out“ von Alice Cooper oder „Transformer“ von Lou Reed, um nur einige zu nennen, erblickten das Licht der Welt. Doch der Melody Maker, die frühere Bibel der Rock-Musikfachzeitschriften aus Großbritannien, wählte „Argus“ von Wishbone Ash zum Album des Jahres. Es war und ist die erfolgreichste Platte der Band, die damals auf Platz drei der UK-Charts landete und deren Songs später Bands wie Iron Maiden oder Judas Priest musikalisch stark beeinflussten.
Viele Songs dieses Albums hatten die rund Fans zuletzt auch im Augsburger Spectrum von Wishbone Ash erwartet. Doch Überraschung, Überraschung - während Gründungsmitglied Andy Powell und seine Truppe bei den vergangenen Auftritten immer viele Lieder aus ihrer dominierenden LP auf der Setlist hatten, war es diesmal etwas anders. Klar, „The King will come“, „Blowin Free“ oder „Throw down the Sword“ durften nicht fehlen. Aber ansonsten griffen (endlich einmal) Wishbone Ash auch auf Material zurück, das sie bisher zu oft versteckten. Wie „You rescue me“ oder „Runaway.“ Etwas enttäuschend war, dass nur rund 200 Leute an diesem Abend dabei waren. Es sind vorwiegend ältere Damen und Herren, die in der Location zu Gast sind. Dass es so viele Lücken im Lokal gab, liegt vielleicht daran, dass Wishbone Ash keine Partyband sind und keine Songs präsentieren, die man mitsingen oder mitgrölen kann. Die sind schlicht nicht vorhanden.
Gitarren kennzeichnen den Sound von Wishbone Ash
Wishbone Ash zählt eher zur progressiven Richtung wie einst Emerson, Lake and Palmer oder Yes. Songs, die die Sechs-Minuten-Linie unterschreiten, sind rar gesät. Andy Powell und seine Jungs sind eher Geschichtenerzähler mit auch außergewöhnlichen Instrumentalnummern. Das kann dann beim neunminütigen Klassiker „F.U.B.B.“ (1974) schon mal etwas langatmig werden. Anhand der Besetzung - neben Andy Powell mit dem 45-jährigen Mark Abrahams ein weiter Leadgitarrist, dazu der 68-jährige Bassist Bob Skeat - ist das Konzert ohnehin extrem gitarrenlastig. Aber das ist ja auch so gewollt.
Was die Band auf dem Kasten hat, zeigt sich vielleicht am besten bei „The Way of the World“ (1978). Die Band hat einen Heidenspäß auf der Bühne, und das Publikum lässt sich gerne anstecken. Schlagzeuger Mike Truscott läuft zur Hochform auf, und die Bandmitglieder bringen fließend das Intro vom Deep-Purple-Song „Smoke on the Water“ mit ein. Nun, die Stimme von Powell ist etwas gewöhnungsbedürftig. Allerdings ließ sich Powell schon vor Beginn des Auftritts dafür entschuldigen, dass ihm derzeit eine Kehlkopfentzündung zu schaffen macht. Auch der Tee (oder war‘s doch Whisky?), den man dem Sänger im Laufe des Abends immer wieder reicht, macht seinen Zustand nicht besser. Powell ist das Aushängeschild, der Letzte aus der Originalbesetzung der Band, die 1969 im Südwesten von England gegründet wurde.
Andy Powells Motto: Abrocken und Feingefühl in den Fingern
Zudem ist er Perfektionist auf seiner Flying-V-Gitarre. Das verlangt er auch vom Rest der Truppe. Seine Vorgaben sind klar: „Wir brauchen Musiker“, sagte er einmal in einem Interview, „die - wenn es notwendig ist - abrocken können, aber ihre Fingertechnik auch feinfühlig einsetzen, wenn der Song danach verlangt“. Rock und Gefühl standen auch im Spectrum nicht im Widerspruch. Gefühlvoll endete dann schließlich der Abend mit „Peace“, einer Instrumentalnummer. Gut für Powell und seine Kehlkopfentzündung.
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