Trendsetter sind dazu verdammt, immer Trend zu sein. Wenn einer mal keine Lust mehr darauf hat, als öffentliche Galionsfigur für die eigene Errungenschaft, dann beschädigt er diese nachhaltig. The Bad Plus wurden schon kurz nach ihrer Gründung im nach Hoffnungsträgern lechzenden Jazz in den Heiligenstand erhoben. Sie starteten 2001 als das mithin innovativste Pianotrio des Genres, das eigentlich alles anders machte als die mitunter etwas bräsig swingenden Vorgänger. Sie verarbeiteten, was ihnen im täglichen Leben in die Quere kam, von Strawinsky, Ligeti, Ornette Coleman, Abba, Queen, Kraftwerk, Pink Floyd, Black Sabbath, David Bowie, über Neil Young bis Nirvana.
The Bad Plus jazzen in Augsburg, aber ganz ohne Klavier
Reizvoll wäre es schon gewesen, mal beim Publikum im Botanischen Garten nachzufragen, wer denn beim mittlerweile fünften Highlight-Konzert des Augsburger Jazzsommers eigentlich noch in Erwartung eines Pianotrios gekommen war. So jedoch dürfen die Menschen an diesem schwülen Sommerabend ein Quartett erleben, bei dem ein elementarer Bestandteil des legendären Rufs von The Bad Plus völlig fehlt: der Klimperkasten!
Die Gründe für diesen Paradigmenwechsel mögen vielfältiger Natur sein und liegen sicherlich am Zerwürfnis mit dem Klavier spielenden Gründungsmitglied Ethan Iverson, der das Trio 2017 verließ. Statt seiner entschlossen sich die beiden anderen Urmitglieder Reid Anderson (Kontrabass) und Dave King (Drums), zwei der wichtigsten und prominentesten Improvisatoren der New Yorker Szene ins Boot zu holen: den Tenorsaxofonisten Chris Speed und den Gitarristen Ben Monder. Nach kurzweiligen 90 Minuten im Botanischen Garten gilt es festzuhalten: eine gute Entscheidung! Die suchende DNA von The Bad Plus gibt es nach wie vor, also das, was sie vor gut 23 Jahren über Nacht in die Schlagzeilen hievte. Wenn auch nicht als Trend.
Kantig, rau, experimentell: so klingt The Bad Plus heute
Natürlich braucht es Zeit, um sich an das runderneuerte klangliche Outfit dieser prominent besetzten Band zu gewöhnen. Speed und Monder teilen sich die Melodieführung, verschachteln ihre Stimmen, lassen sie mitunter bis zur Schmerzgrenze gegeneinander laufen, um sie dann wieder friedlich-schiedlich in einem simplen Unisono zu vereinen. Ein Stück wie „Sick Fire“ aus der Feder von Dave King steht symbolisch für den gesamten Paradigmenwechsel: kantig, rau, experimentell, weniger poppig, dafür umso paritätischer. Und das musikalische Prinzip weist immer noch genügend Parallelen zur Piano-Gründerzeit auf: Anderson stimmt einen verhangenen Basslauf an, King sucht trommelnd einen Groove, während Speed und Monder auf den fahrenden Zug springen und im Wind surfen.
Immer wieder gibt es rockähnliche Patterns, etwa in „Motivatons 2“, bei denen Dave King den Beat nicht wie im Jazz üblich über die Hi-Hat, sondern über die Snare laufen lässt und Ben Monder kurzzeitig Riffs klampft, bis Chris Speed mit einem schroffen Zwischenruf die alte (Un-) Ordnung wieder herstellt. Freie Fahrt fortan für die beiden Neuen: Vor allem wenn sich das schrundig windende Saxofon mit der knackig verzerrten Gitarre zu einer Stimme verzahnt, dann bewegt sich die Ausrichtung an den Grenzen von Avantgarde-Jazz, Noise Music und Grunge. Natürlich gibt es Kontraste. Die wunderbar brodelnde Ballade „The Bright Future“ etwa, in der Speed die Melodie mit heiseren Linien vom Dunkel ins Licht führt, oder „Not Even Close To Far Off“, bei dem Moder auf treibenden Basslinien seine adrenalinhaltigen Gitarrenakkorde wie Geschenke ausbreitet und nachhaltig unter Beweis stellt, warum ihn David Bowie 2016 für seinen Schwanengesang „Blackstar“ engagierte.
Quartett-Jazz beim Jazzsommer im Botanischen Garten
Im Laufe des Abends dürfte jedem klar geworden sein, dass sich hier eine Combo gefunden hat, die zwar noch den alten, legendären Namen trägt, aber mit ihren verschlungenen, zerebralen Melodien längst in aufregende neue Richtungen aufgebrochen ist. Die Zuschauerinnen und Zuschauer, die trotz der bedrohlich dunklen Wolken über dem Botanischen Garten bis zum letzten Ton ausgeharrt haben, honorieren dies mit langanhaltendem Beifall. Der Lohn für ein Combo, die nach einer langen Zeit der Transformation endlich wieder zur Ruhe gekommen ist. Nicht als Trio, sondern als Quartett.
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