Louise Hartung (1905 – 1965) war selbst dem Brecht-Kenner Jürgen Hillesheim von der städtischen Brechtforschungsstelle und der Literaturwissenschaftlerin Tanja Kinkel unbekannt. Dabei war Hartung Künstlerin der progressiven Aufbruchszeit der 1920er-Jahre. Im Umfeld Brechts und Kurt Weills in Berlin stieg auch sie als Sängerin und Kabarettistin mit Plattenproduktionen, Theater und Konzerten in jener neuen, wenn auch prekär finanzierten Massenkultur auf. Wie viele von ihnen geriet auch sie direkt nach dem Reichstagsbrand 1933 ins Visier der nationalsozialistischen Ordnungshüter und Schläger. Ihre Erfolge jener Zeit, ihre Mitwirkung an der Uraufführung der "Dreigroschenoper" 1928, ihre politisch-künstlerische Rolle unter den Nazis, ihre Fluchthilfe für den Komponisten Weill und seine Frau wurden nie bekannt.
Zu Brechts 126. Geburtstag holte die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Tanja Kinkel diese Frau, die in der Nachkriegszeit vor allem in der entnazifizierenden Bildungsarbeit für Jugendliche Pionierarbeit leistete, jetzt im Augsburger Brechthaus ans Licht. Auf Einladung von Jürgen Hillesheim las Kinkel aus der noch immer weitgehend unbekannten Briefkorrespondenz zwischen Louise Hartung und ihrer Freundin Astrid Lindgren, der schwedischen Autorin.
Die unerfüllte Liebesbeziehung zwischen Hartung und Lindgren
Die Korrespondenz besteht aus über 600 Briefen. Kinkel holt mit hörbuchreif intonierter Stimme die Freundschaft dieser beiden Frauen sowie ihr politisches und künstlerisches Wirken in der Trümmerzeit der 50er-Jahre aus der Versenkung. Die Briefe fanden sich im Nachlass Lindgrens (1907 – 2002). Sie zeigen die unerfüllte Liebesbeziehung zwischen den beiden Frauen, ist aber vor allem ein Zeitzeugnis der ersten kulturellen Aufbaubemühungen im zerstörten Berlin. Hartung, die ab 1952 als rechte Hand der Leiterin des Hauptjugendamts in Berlin angestellt war, nahm die kulturelle Bildung Jugendliche und Kinder ins Visier, die während des Krieges nahezu geschlossen – so beschreibt es Hartung in ihren Briefen – Teil der Hitlerjugend gewesen waren. Sie organisierte Lesekreise, die als Mittel einer neuen demokratischen Jugendliteratur gegen die nationalsozialistische Indoktrinierung bald in ganz Deutschland kopiert wurden.
1952 stieß Hartung auf die fröhlich-anarchische Pipi Langstrumpf. Astrid Lindgrens Geschichten um die bärenstarke, reiche Pipi und ihren Kampf gegen die Erwachsenen verkörperten das Gegenteil der autoritären Kultur der Nazizeit. Hartung lud die noch unbekannte Lindgren, die gut Deutsch sprach und im Krieg sogar für den schwedischen Nachrichtendienst als Dolmetscherin tätig war, zu Lesungen nach Westberlin und Deutschland ein. Ihre Zusammenarbeit in Kinderheimen, Schulen, Jugend- und Waisenheimen der Nachkriegszeit legten den Grundstein für eine neue Jugendkultur in Deutschland.
Die Nazis erteilten Hartung ein Auftrittsverbot
Hartung selbst hatte Gesang und Musik in Paris und Mailand studiert, mehrere Sprachen gelernt und 1928 in Berlin bei der Uraufführung der "Dreigroschenoper" in der Rolle als eine der drei Huren mitgewirkt. Obwohl sie in Deutschland ein Auftrittsverbot erhielt, kehrte sie 1933 von London zurück nach Berlin, schlug sich als Fotografin durch, versteckte jüdische Freunde in ihrem Haus und verhalf Kurt Weill zur Flucht. Mit Beginn des Krieges fiel das Berufsverbot, die Soldaten an der Front sollten unterhalten werden. Hartung verdingte sich als Sängerin in Lazaretten an der Ostfront. Sie kannte die autoritären Charaktere der Hitlergesellschaft und wusste: Der Neuanfang nach dem Krieg hing auch von einer neuen Pädagogik und Entideologisierung der traumatisierten und manipulierten Kinder ab.