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Vier Lesetipps zum Welttag des Buches am 23. April 2024

Literaturtipps

Was liegt bei Ihnen auf dem Nachttisch? Lesetipps zum Welttag des Buches

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    Ihm zu Ehren fällt der Welttag des Buches auf den 23. April: Dieser Tag ist William Shakespeares Geburtstag. Doch was lesen Augsburger Literatur-Kenner heute, im April 2024?
    Ihm zu Ehren fällt der Welttag des Buches auf den 23. April: Dieser Tag ist William Shakespeares Geburtstag. Doch was lesen Augsburger Literatur-Kenner heute, im April 2024? Foto: Tim Brakemeier, dpa

    Marius Müller aus Steppach, Buchblogger und Leiter der Studienbibliothek Dillingen: Ich habe mich gerade in den "Wald" von Eleanor Catton gewagt, stehe aber noch ganz am Anfang, deshalb kann ich noch gar nicht sagen, wie sich der Roman entwickelt. Die neuseeländische Autorin hat vor einigen Jahren für "Die Gestirne" den Booker Price gewonnen, ein sehr dicker Roman wie nun auch sein Nachfolger. In Eleanor Cattons "Der Wald" geht es um Umweltaktivismus und seine Auswirkungen. Die Gruppe namens Birnam Wood, benannt natürlich nach Shakespeare, will sich ein großes Naturschutzgebiet zu eigen machen, kreuzt dabei aber den Weg eines undurchsichtigen amerikanischen Milliardärs. Was macht das mit der Gruppe? Und wie lange hat der Idealismus Bestand? Bislang liest sich der Roman sehr gut, Catton erzählt mit Humor und in einem lakonischem Ton, der mich oftmals an T. C. Boyles "Blue Skies" erinnert. Ich bin etwa auf Seite 50, gut 450 Seiten liegen also noch vor mir.

    Anne Schuester empfiehlt Olga Grjasnowas Roman "Der verlorene Sohn"

    Anne Schuester, Leitung Sensemble-Theater Augsburg: Ich lese gerade von Olga Grjasnowa "Der verlorene Sohn", eine interessante und sehr detailreich erzählte Geschichte über einen tatarischen Prinzen im 19. Jahrhundert. Der Roman beginnt 1840, als ein Junge aus seiner Heimatstadt entführt wird beziehungsweise als Faustpfand von seinem Vater, einem Imam, an den russischen Zaren ausgeliefert wird. Zu Beginn hofft er, so schnell wie möglich freizukommen, aber mit der Zeit gliedert er sich immer mehr in das Leben am russischen Hof ein. Kennengelernt habe ich die deutsche Schriftstellerin mit ihrem Roman "Der Russe ist einer, der Birken liebt" und ich bin ein bisschen irritiert von dem sehr großen Unterschied zwischen diesen zwei Büchern. Der Debütroman ist thematisch wie auch stilistisch in der Jetztzeit verwurzelt, "Der verlorene Sohn" dagegen ist vom Erzählduktus sehr klassisch. Wie sie die Fremdheitserfahrung des Jungen beschreibt, der zwischen zwei Kulturen steht, finde ich sehr interessant, und vielleicht ist das auch das verbindende Element zwischen den zwei Romanen. Im Moment bin ich im Roman im Jahr 1851 angelangt, wie viele Jahre es noch weitergeht, weiß ich nicht, denn ausnahmsweise habe ich noch nicht gleich am Anfang schon das Ende gelesen.

    Peter Dempf, Schriftsteller: Gerade lese ich zwei Bücher, wenn ich von den notwendigen Sachbüchern einmal absehe.
    Einmal lese ich Oskar Maria Graf, "Unruhe um einen Friedfertigen". Dazu gekommen bin ich, weil ich einem Literaturkreis beiwohne, der sich mit neuer und nicht ganz so neuer Literatur beschäftigt. Wir fanden, dass Graf zu sehr unterschätzt wird. Er beschreibt in diesem Roman, wie sich die Stimmung im Land ins Negative verändern kann: schleichend und unumkehrbar.
    Außerdem lese ich parallel – wie ich eigentlich immer mehrere Bücher gleichzeitig auf dem Schreibtisch habe – Colson Whitehead, "Harlem Shuffle". Ich bin dem Autor erstmals über den Roman "Underground Railroad" begegnet, was mich dazu veranlasst hat, ihn etwas näher kennenlernen zu wollen. Mit den "Nickel Boys" habe ich weitergemacht und auch einen seiner frühen Romane verschlungen: "Zone One". Er passte hervorragend zum Thema Pandemie.

    Jürgen Enninger, Kulturreferent der Stadt Augsburg: Aufgrund meines Zweitstudiums Kulturwirtschaft mit Schwerpunkt Südostasienkunde beschäftige ich mich schon lange mit der Fragestellung, wie sich Kulturen entwickeln und gegenseitig beeinflussen. Dabei begeisterten mich insbesondere die Musiksprachen Asiens und die Frage, wie hier eine Anpassung in Richtung europäische Ausdrucksformen stattfand. Als ich dann ein Austauschprogramm mit Musik-Start-ups in Hongkong und Südkorea startete, faszinierte mich immer mehr deren popkultureller Erfolg. Endlich eine Spur: Asiatische Musikkultur, die nachdrücklich westliche Ausdrucksformen beeinflusst. Auf einer Einladung zu einem Empfang des Goethe-Instituts lernte ich den ehemaligen Leiter des Goethe-Instituts "The Birth of the Korean Cool: How One Nation is Conquering the World Through Pop Culture" von Euny Hong. Die Autorin hat mich fasziniert, indem sie anhand ihrer persönlichen Lebensgeschichte den popkulturellen Aufstieg Südkoreas erzählt und dabei auch Begeisterung für Land und Menschen weckt. Meine Leseempfehlung für Shakespeares Geburtstag, am heutigen Tag!

    Christine Walker liest "Fone Kwas oder Der Idiot" von Georgi Demidow

    Christine Walker, Schriftstellerin: Ein literarisches Fundstück liegt gerade neben mir, mein Mann brachte das Buch vor ein paar Tagen mit – "Fone Kwas oder Der Idiot" von Georgi Demidow. Mit unglaublicher Lakonie schildert der Erzähler darin seine überraschende Verhaftung, die Tortur im überfüllten Gefängnis, die perfiden Verhöre – und seine Finte, wie er das erfundene Geständnis später widerrufen will. Demidow selbst, ein erfolgreicher Physiker, wurde 1938 in Charkiw verhaftet und überlebte den Gulag. In "Fone Kwas" (Jiddisch für "Trottel") literarisiert er einen Teil seiner Erlebnisse: die Willkür des politischen Systems, Verhaftungen unter fadenscheinigen oder gar keinen Anschuldigungen, Gewalt. Einschüchterung ist das Mittel der Tyrannei, massenhafte Willenlosigkeit das Ergebnis. Ein großartiger Text, der bis heute nichts an Aktualität eingebüßt hat.

    Meinolf Krüger, Leiter der Augsburger Taschenbuchhandlung: Ich empfehle Uwe Wittstocks "Marseille 1940 – Die große Flucht der Literatur". Wie schon in seinem Buch "Februar 33 – Der Winter der Literatur" nimmt der Schriftsteller und Journalist die Leser mit an einen Ort der Flucht und Migration während der Nazi-Barbarei. Die vertriebene deutsche Intelligenz wartet und hofft in Marseille auf Transitmöglichkeiten in die Freiheit. Heinrich Mann, Franz Werfel, Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger, Walter Benjamin, Anna Seghers und viele andere sitzen in Frankreich fest. Fesselnd erzählt Wittstock von Mut und Verzweiflung der Menschen und dem Amerikaner Varian Fry, der vielen das Überleben ermöglichte. Tolle Lektüre!

    (Protokolle: Stefanie Wirsching, Richard Mayr, Doris Wegner)

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