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"Trommeln in der Nacht": Erste Brecht-Aufführung in Augsburg: Wie "angedonnert" saß das Publikum

"Trommeln in der Nacht"

Erste Brecht-Aufführung in Augsburg: Wie "angedonnert" saß das Publikum

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    Die Münchner Kammerspiele gaben im Dezember 1922 im Augsburger Stadttheater ein Stück eines jungen Augsburgers: „Trommeln in der Nacht“ von Bertolt Brecht.
    Die Münchner Kammerspiele gaben im Dezember 1922 im Augsburger Stadttheater ein Stück eines jungen Augsburgers: „Trommeln in der Nacht“ von Bertolt Brecht. Foto: akg-images, picture alliance

    Am 13. Dezember 1922 gaben die Münchner Kammerspiele mit „Trommeln in der Nacht“ in Augsburg ein Gastspiel. Dies war das erste Mal, dass ein Drama von Brecht in seiner Heimatstadt aufgeführt wurde.

    In einer Besprechung der Bayerischen Arbeiterzeitung bemerkte Alexander Abusch dazu: „Bei einem Gastspiel der Münchner Spieler im Augsburger Stadttheater saß die ganze Blase des kleinbürgerlichen Theaterpublikums wie angedonnert vom Inhalt des Brechtschen Stücks.“ Erst zweieinhalb Monate vorher, am 29. September 1922, war „Trommeln in der Nacht“ in den Münchner Kammerspielen zur Uraufführung gekommen.

    Bereits am 13. Februar 1919 war die allererste Fassung dieses Dramas, das ursprünglich „Spartakus“ hieß, fertiggestellt. Erst Mitte Januar hatte der 20-jährige Autor damit begonnen. Ein äußerer Anlass dazu war, dass sich Anfang Januar die Anzeichen einer Schwangerschaft bei seiner Jugendliebe Paula „Bi“ Banholzer bemerkbar machten. Die drängenden Sorgen des werdenden Vaters bildeten für ihn den Anstoß zu dem etwas verzweifelt wirkenden Vorhaben, ein finanziell möglichst erfolgreiches Stück zu schreiben. Als er Lion Feuchtwanger am 4. April das fertige Manuskript überreichte, unterstrich er, dass er das Drama „ausschließlich des Geldverdienstes wegen verfasst“ habe. 

    Das Lazarett hielt Bertolt Brecht in Augsburg

    Doch dieses Datum des 4. April 1919 zeigt, dass das Heimkehrer- und Revolutionsstück „Trommeln in der Nacht“ mit der erst Tage danach ausgerufenen Münchner Räterevolution nichts zu tun hat. Überhaupt spielt die immer als selbstverständlich angenommene Anregung durch Münchner Erlebnisse bei seiner Darstellung von Gewaltakten radikaler Kräfte keine Rolle, da sich Brecht vom 1. Oktober 1918 bis zum 20. Januar 1919 ausschließlich in seiner Heimatstadt Augsburg aufhielt. Am 1. Oktober 1918 trat er nämlich seinen Dienst als Wehrpflichtiger an und konnte aufgrund seines Medizinstudiums als Militärkrankenwärter in einem Reservelazarett in Augsburg bleiben. 

    Weil sich abzeichnete, dass seine Freundin Paula von ihm schwanger war, wollte Brecht ein finanziell möglichst erfolgreiches Stück schreiben.
    Weil sich abzeichnete, dass seine Freundin Paula von ihm schwanger war, wollte Brecht ein finanziell möglichst erfolgreiches Stück schreiben. Foto: Suhrkamp Verlag

    Entgegen den offiziellen Demobilisierungsplänen gelang es ihm, schon am 9. Januar entlassen zu werden, und damit schied er auch aus dem Soldatenrat aus, dem er damit nur eineinhalb Monate angehörte. Am selben 9. Januar 1919 kam es in Augsburg in Zusammenhang mit dem Berliner Januaraufstand zu schweren Unruhen und Ausschreitungen, wie sie bis dahin bei politischen Auseinandersetzungen in Augsburg noch nicht vorgekommen waren. Spartakistisch beeinflusste Radikale versuchten dabei, bürgerliche Zeitungen zu stürmen und drangen in das Firmengebäude der Neuen Augsburger Zeitung neben dem alten Stadtbad ein. Revolutionäre Aktionen in seiner Heimatstadt fallen damit zeitlich mit Brechts Rückzug von politischen Aktivitäten und der Konzentration auf schriftstellerische Tätigkeit auch aus Verantwortung für seine schwangere Jugendliebe zusammen.

    Diese Konstellation überträgt Brecht in abgewandelter Weise auf sein Drama, wo ebenfalls am 9. Januar 1919 in einer einzigen Nacht der Held des Stücks, der lange verschollen geglaubte Kriegsgefangene, bei der Heimkehr aus nordafrikanischen Lagern seine einstige Braut schwanger vorfindet, sich aus Verzweiflung über ihre Untreue den spartakistischen Vorhaben, Zeitungen zu erstürmen, anschließt, aber revolutionären Aktivitäten absagt und sich ihr zuwendet, als die Liebenden sich wiederfinden. 

    Getippt wurde die "Augsburger Fassung" im Büro des Vaters von Bertolt Brecht

    Über ein halbes Jahrhundert lang lag allen Aufführungen und Interpretationen von Brechts Drama neben einer Bearbeitung nach dem Zweiten Weltkrieg der Text des Ende 1922 erschienenen, Paula Banholzer gewidmeten Erstdrucks zugrunde. Erst in den 1980er Jahren wurde ein bis dahin völlig unbekannt gebliebenes Typoskript des Stücks aus dem Jahre 1920 aufgefunden. „Augsburger Fassung“ wurde es genannt, da es im Büro von Brechts Vater in der Haindl’schen Papierfabrik getippt worden war. Aber nicht nur der Entstehungsort dieser Fassung ist Augsburg, sondern, was bislang unbeachtet blieb, die Handlung des Dramas spielt auch in den frühesten Fassungen ganz in der Heimatstadt des Autors. Auffallendstes Merkmal dafür ist der Schauplatz des zweiten Akts: das Lokal heißt hier noch „Grünes Haus“, was im Erstdruck von 1922 in „Piccadillybar“ geändert wird. Das „Grüne Haus“ war das renommierteste Weinrestaurant der Zeit in Augsburg und lag mitten im Zentrum der Stadt neben dem berühmten einstigen Fuggerhaus in der Annastraße. Wer mit der Topographie der Stadt vertraut ist, erkennt auch in anderen Örtlichkeiten der frühen Fassung, dem „Vorstadtwinkel“, dem Weg „hinunter“ dorthin, den Holzbrücken und Gassen die Heimatstadt Brechts wieder. Auf einen späteren Schauplatz wie das Zeitungsviertel in Berlin weist da noch nichts hin. 

    Die erste Aufführung eines Dramas von Brecht in seiner Heimatstadt bringt damit eine nach Berlin verlegte Fassung eines Stücks zurück, das ursprünglich in Augsburg angesiedelt war und mit dem persönlichen Umfeld und den Erlebnissen des zwanzigjährigen Autors im Januar 1919 in seiner Heimatstadt verknüpft war. Seine Einsicht in den illusionären Charakter der damaligen radikalen Mobilisierung hat dies befördert, sodass nach Brechts Überzeugung „am End doch so etwas wie ein Abbild der ersten deutschen Revolution herauskam“. 

    Dr. Helmut Gier hat mehr als 25 Jahre die Augsburger Staats- und Stadtbibliothek geleitet, bis er 2012 in den Ruhestand trat. Seine Analyse von „Trommeln in der Nacht“ findet sich in umfassender Form im soeben erschienenen Brecht-Jahrbuch 47 der Internationalen Brecht-Gesellschaft.

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